Bewerberprofil mangelhaft

Zwei junge Mädels, kurze Strecke. Kaum Zeit zu reden, dennoch zwischenrein folgender Dialog:

„Taxifahren ist doch sicher auch ein entspannter Job, oder?“

„Sagen wir es so: er kann es sein, mit der richtigen Einstellung.“

„Naja, immer rumfahren, Leute kennenlernen …“

„Klar, mir macht’s auch Spaß. Dafür ist halt das Geld nicht so üppig.“

„Ach, das‘ ja nich so wild. Ich zieh ja demnächst auch nach Berlin, da könnte ich mir das auch vorstellen. Das is‘ doch voll die gute Idee, ich fahr dann einfach auch Taxi!“

„Naja und immerhin werden Fahrer gesucht!“

„Des‘ ja cool! Ja voll ey, ich werd Taxifahrerin! Aber hey, da muss man sich doch sicher auch so ’n bisschen auskennen in der Stadt und so, oder?“

„Ähm ja. Ich würde sogar sagen: mehr als ein bisschen.“

„Oh. Na dann doch nicht.“

Manchmal sind die Anforderungen an manche Jobs aber auch echt furchtbar überraschend … 🙂

Im Geld schwimmen

Im Geld schwimmen … man wird das als Taxifahrer wohl nie so recht können, so lange wir hier nicht auch Ein-Euro-Banknoten einführen. Es gibt natürlich einige fleißigere Kollegen da draussen, aber dass auch unfleißige Kutscher sich zu enormem Reichtum aufschwingen können, war mir neu. Bis neulich.

Da stand ich am Ostbahnhof, gerade an die letzte Rücke herangefahren. Neben mir hält ein Taxi und ein junger Mann, offensichtlich asiatischer Abstammung, steigt aus. Er eilt zunächst zur anderen Straßenseite, macht dann aber kehrt und fragt mich, ob ich ihn nach Mariendorf bringen könnte. Eine gute 20€-Tour – nach ungefähr anderthalb Minuten warten.

„Äh, na sicher doch!“

„Und wäre es für sie auch in Ordnung, wenn wir über Hermannplatz und Mariendorfer Weg und Rixdorfer fahren?“

„Klar, ganz wie sie wollen.“

„Schön, ihr Kollege wollte das nicht.“

Aha. Der Kollege hat sich also eine überdurchschnittliche Tour entgehen lassen, weil er mitten in der Nacht nicht den Weg fahren wollte, den sich der Kunde gewünscht hat. Das klingt bekloppt, meine Neugier war geweckt. Mal abgesehen vom rechtlichen Tara (Berförderungspflicht, Taxiordnung …): Hä?

Aber das Nachfragen hat sich gelohnt. Der Kunde war ein wirklich netter Kerl. Ein wenig redselig vielleicht, aber nicht einmal ansatzweise unfreundlich oder problematisch. Der Weg, den er sich überlegt hatte, war nahezu der kürzeste und er bevorzugte ihn, weil er angeblich im Berufsverkehr stressfreier ist. Also im Grunde noch nicht einmal eine Nachfrage wert. Die hatte der Kollege offenbar auch nicht, aber er soll auf den Fahrtwunsch geantwortet haben:

„Na, eher fahren wir beide zusammen gegen die nächste Wand!“

Nicht gerade die Einstellung, mit der man Stammkunden wirbt. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Der Kollege aber erkannte das Problem auch und hat dem Fahrgast verkündet, dass das so nix werden würde mit ihnen beiden und er ihn jetzt zum Ostbahnhof bringen würde, wo er sich ein anderes Taxi nehmen könnte. Da sie nur ums Eck gestartet waren, standen zuletzt 3,80 € auf der Uhr, die der ganz augenscheinlich mehr als fassungslose Fahrgast auch anstandslos bezahlen wollte. Ich hätte ja einen Teufel getan, bevor ich auf die Idee gekommen wäre. Letztlich blieb es aber auch hier beim Versuch, da der Fahrer anscheinend sagte:

„Ich brauch das Geld für die Fahrt nicht! Ich schwimm im Geld!“

Ich habe natürlich keine Anhaltspunkte dafür, ob die Geschichte so stimmt. Sie wurde mir von meinem ziemlich aufgeregten Kunden erzählt, allerdings sehr detailliert und glaubwürdig. Er hatte auch die Konzessionsnummer des Kollegen und großes Interesse daran, diese an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten.

Ich selbst hatte eine recht vergnügliche Fahrt mit über 3 € Trinkgeld und einem netten, wenn auch etwas fassungslosen Fahrgast. Und bis jetzt die immergleiche Frage:

WTF?

Karma?

„Reicht da vielleicht auch ’ne Kurzstrecke?“

Zack!

„Werden wir sehen, wird aber eng.“

Ich hab den Knopf gerade noch drücken können, eine Sekunde später wäre diese Chance vorbei gewesen. Aber gut, stört mich nicht. Am Ende hat das Taxameter rund 150 Meter vor dem Ziel gepiept. Es war eine blöde Stelle zum Anhalten und bevor ich überhaupt auf „Kasse“ drücken konnte, stand die Uhr bereits auf 4,30 €. Nachdem ich ausgeschaltet hatte, hab ich mal fünfe grade sein lassen und die beiden wirklich netten jungen Leute noch von der Hauptstraße bis vor die Tür gebracht. Ja, die 150 Meter hätten mir nochmal ca. 1,20 € bringen können, aber wayne?

In einem der dunkelsten Seitenarme der Landsberger Allee stehend kassiere ich also einen Fünfer und entlasse die zwei. Als die Tür dann nochmal aufgeht, denke ich zuerst daran, dass etwas im Taxi vergessen wurde. Nein. 🙂

„Bringste mich nach Blankenburg?“

Manchmal hilft Liebsein scheinbar wirklich enorm.

Auch eine gute Idee:

Warum nicht einfach mal das Fenster einen Spalt offen lassen, wenn man das Auto in die Waschanlage stellt?

Man muss ja alles mal mitgemacht haben.

Glücklicherweise war es wirklich nur ein winziger Spalt – nicht ohne Grund hatte ich ihn nicht bemerkt. Ganz offensichtlich war das Auto zuvor mit eben jener Unzulänglichkeit auch 18 Stunden auf der Straße rumgestanden.

Was natürlich nicht heißt, dass ich besonders glücklich war, als ich es bemerkte. Naja, ein dreiminütiger Halt am Straßenrand und 5 Blatt Küchenrolle reichten letztlich aus, das Desaster in Grenzen zu halten. Sitze, Scheibe und Türverkleidung abgewischt, 800 Meter weiter hatte ich bereits zufriedene Winker im Auto. Gehört wahrscheinlich einfach dazu …

Ein Jahr im Taxi (5)

Das Fahrtende, eine Straßensperre und das andere Rechts:

Dank vorsichtiger Fahrweise, allerlei Unterbrechungen und nicht zuletzt des riesigen Umwegs wegen landeten wir vor dem Bahnhof Karlshorst erst rund eine halbe Stunde nach Fahrtbeginn und immerhin mit satten 24 € auf der Uhr. Letzteres bereitete mir keine großen Sorgen, ich wusste ja, dass er einen Fuffi bei sich trug. Im Gegensatz zum Handy (mit dem er immer noch „telefonierte“) hat er ihn auch nie fallenlassen. Er zückte ihn auch gleich bei der Preisansage, öffnete die Türe und sprach dann:

„Ach nee, komm. Wir machen das anders.“

Abgesehen davon, dass er das natürlich bei weitem nicht so gekonnt ausgedrückt hat wie ich in obigem Satz, sträubte sich mir schon beim grundsätzlichen Gedanken an eine weiterführende Fahrt alles. Ich war endlich auf dem richtigen Weg gen Heimat, der Typ stand kurz vorm Übergeben und so langsam wollte mir nicht einmal mehr ein Fünfer extra irgendwie verlockend erscheinen. Ich hatte auf einen Hunni spekuliert und nun lag der Zeiger auf kurz vor 140 €, was hätte ich mehr erwarten sollen?

„Bring mich mal nach Hause, ist hier gleich ums Eck!“

Also gut. Ich via Navi auf eine kleine Nebenstraße gepeilt, rund zwei Kilometer entfernt. Hut ab, dass er den Weg bis vor einer Minute noch zu laufen gedachte. Das Telefonat mit der Freundin war inzwischen auch beendet und ich glaube, keiner von uns dreien wusste, ob das absichtlich passiert ist.

Als ich auf seine Straße zufuhr, kam uns eine Sperrung in die Quere. Ich versuchte sie zunächst rechts zu umfahren, was allerdings misslang. Links herum schien es zu klappen, dann aber folgte eine zweite Sperrung und die Umfahrung gestaltete sich schwieriger. Meinte zumindest mein Navi. Das wollte nur die gesperrte Straße nehmen, keine andere. Nun schaltete sich mein neuer Freund ein und versuchte mich, mit seinem Smartphone zu lotsen. Was daran scheiterte, dass es ebenso nur die eine Straße als Zufahrt kannte. Ich war drauf und dran, ihn rauszuschmeißen, weil sein Ziel zu Fuß in 200 Metern erreicht gewesen wäre und wir inzwischen locker zwei Kilometer Umweg hin und her durchs Wohngebiet hinter uns hatten. Aber mein Fahrgast war der festen Überzeugung zu wissen, wie wir ankommen.

Am Ende bin ich dann doch durch die eigentlich gesperrte Straße gefahren, mir ist nichts anderes mehr eingefallen. Da standen wir dann an der Kreuzung zum Ziel aller Begierde. Wohin nun? Welche Hausnummer?

„Rechts!“

„Rechts, sicher?“

Ich fragte nicht ohne Grund. Zum einen war der Kerl nach wie vor besoffen, zum anderen war das das äußerst kurze Endstück der Straße und es schienen sich keine Wohnhäuser dort zu befinden.

„Ja ja, einfach rechts!“

„Und dann?“

„Weiter.“

Und so standen wir dann vor dem abgeschlossenen Tor eines Industriegeländes. Man gönnt sich ja sonst nichts. Also drehen, abermals nachfragen, hin und her manövrieren – und am Ende war natürlich klar, dass er nur „links“ hätte sagen können müssen. Als wir endlich vor seiner Tür standen, zeigte die Uhr 29,60 € an. Die mir hochverdient vorkamen.

„Dange Dange, s‘ voll judsdumich herbrachdasd! Mama 30.“

40 Cent Trinkgeld. Manchmal kommt einem die eigene Hilfe ja fast schon übermäßig wertgeschätzt vor … 🙁

Ein Jahr im Taxi (4)

Eine Entscheidung, ein Umweg und eine offene Türe:

Ich fuhr weiter in Richtung Innenstadt. Immer etwas unter erlaubter Höchstgeschwindigkeit, dennoch donnerte sein Kopf bei jedem Schlagloch, jeder Bodenwelle und jedem Gulli gegen die Seitenscheibe. Pock  … pock. Pockpockpock, ups, doch zu schnell!

Ganz so schlecht war das gar nicht, er drohte nämlich ohnehin, am Telefon einzuschlafen und nach jedem Pock war wenigstens wieder ein Artikulationsversuch zu hören. Während er weiter einsilbig blieb, vernahm ich zwischen den Straßen-, Motor- und Kopfgeräuschen aus dem Handy den ein oder anderen Wortschwall seiner Holden – allerdings ohne sie zu verstehen. Die sicher verzweifelten und nicht mehr ganz so liebevollen Sätze quittierte er mit verschiedenen Grunzlauten, gelegentlich benutzte er auch vereinfachtes Suff-Deutsch wie z.B. „H-miab“ (Hol mich ab!).

Als ihm dann in Baumschulenweg das Handy aus der Hand rutschte und er dabei noch sparsamer guckte als eine KiK-Werbung, bin ich abermals rechts rangefahren und hab ihm nahegelegt, sich vielleicht doch gegen ein Weiterfeiern zu entscheiden. Er fand die Idee mit der üblichen Begeisterungsfähigkeit eines Betrunkenen auch umgehend super und gab als neues Fahrtziel den S-Bahnhof Karlshorst an. Da wir dafür in der Zwischenzeit ausreichend in die falsche Richtung gefahren waren, sollte die Tour dennoch gut 25 € bringen und außerdem viel eher auf meinem Weg liegen. Na bitte.

Ich drehte unter Einbeziehung der nächsten Querstraße großzügig und fortan waren wir endlich auf Heimatkurs. Bereits an der ersten Ampel murmelte er in hektischer werdenden Intervallen:

„Halten. Halten! Haltenhaltenhalten!“

Es kam, was kommen musste: er lehnte sich aus dem Auto und versuchte, den Gehsteig vollzureihern. Wenn wir ehrlich miteinander sein wollen: nicht einmal das hat er mehr hinbekommen. Anstatt sich seiner Alkoholika ernstlich zu entsorgen, würgte er angestrengt aber erfolglos. Drei-, viermal in die Wildnis gerotzt, danach purzelte er mit purpurrotem Kopf wieder ins Taxi. Im Brustton der Überzeugung winselte er ins immer noch angeschaltete Telefon:

„Schatz, ich muss sterben.“

Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich es gerne sehe, wenn meine Fahrgäste kotzen – aber bei dem Hansel war klar, dass es seinen Zustand wenigstens verbessert hätte. Es ist ja auch nicht so, dass man aus purem Spaß am Brockenlachen die Landschaft düngt. Mein Fahgast behielt seine Giftstoffe aber offenbar lieber bei sich.

Naja, er hatte sie sicher auch teuer bezahlt, es sei ihm gegönnt.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

Abonniert doch den RSS-Feed von GNIT. Mehr von Sash gibt es außerdem bei Facebook und bei Twitter.

Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Ein Jahr im Taxi (3)

Das Sky und die Fehlfahrt:

Nachdem der Streifenwagen wieder verschwunden war, drehte ich mich zu meinem verbliebenen Fahrgast um und sah ihn fragend an.

„Sky.“

sagte er, lächelte mich an und schloß die Türe.

„Äh, Sie wollen nicht mit ihm mitgehen?“

„Nee. Sky.“

Ich war zwar etwas unsicher wegen des Typens, den wir gerade im Wald aussetzten, aber der stapfte inzwischen gemütlich in Richtung Bahnhof zurück. Ich hoffte einfach, er würde es schaffen. Nur 400 Meter Fußweg – und immerhin war es eine Hauptverkehrsstraße. Ich startete erneut auf den Fernsehturm zielend und vergaß dabei ganz, dass ich vorschnell „Kasse“ gedrückt hatte. Die 3,60 € verschwanden von der Uhr. Naja, scheiß drauf! Neu drücken bedeutete maximal 60 Cent Verlust – wer will bei so einer Tour schon kleinlich sein?

Schneematsch wurde von der Straße aufgewirbelt, die 1925 gewann Land. Immerhin ja letzte Tour …

Das Adlergestell zeigte sich um halb zwei Uhr in der Nacht mehr als nur ruhig, kilometerweit begegnete uns kein anderes Fahrzeug. Der Typ hinter mir schien im Laufe der Zeit aber immer mehr in den Alkoholrausch abzudriften. Ich kenne das langsam: Fitte, angeheiterte Leute fallen aus der kalten Dezembernacht ins Auto, plötzlich sind es 25°C mehr, trockene Heizungsluft, monotone Geräusche, sanftes Schütteln – und plötzlich merken sie, dass sie doch besser mal auf die letzen 3 Wodka verzichtet hätten.

Mein Beobachtungsexemplar dieser Spezies kramte sein Handy hervor und rief seine Freundin an. Binnen weniger Minuten formulierte er keine klaren Sätze mehr, sondern beschränkte sich auf einsilbige, tonlose Wortfetzen:

„Schatz …“

„Voll …“

„Bfertg!“

„Mhm.“

Unsere Fahrt dauerte noch gar nicht so lange, aber als er dazu überging, seine Freundin am Telefon um Hilfe anzuflehen, hab ich ihn nochmal gefragt, ob er wirklich noch in einen Club zum Feiern will.

„Ja …“

„Sky?“

„Sky.“

OK, ist ja nicht mein Problem.