Brazilian Way of Life

Manchmal läuft es einfach. Ich bin am Montag rausgefahren, was ich ja eigentlich gar nicht mehr mache. Zu beschissen die Umsätze, zu schade meine Zeit dafür. Aber da am Freitag das Autochen gestreikt hatte, fehlte mir noch ein kleines bisschen Geld für meinen Wochenumsatz. Nicht viel, mehr als 55 € wollte ich nicht einfahren, aber an Montagen kann sich sowas eben auch mal ziehen. Wie erwartet winkerlos bin ich also am Ostbahnhof angekommen. Dort jedoch konnte ich mich nicht mal in die Schlange einreihen, da ein Kollege mich gleich rangewunken hat.

„Sach mal Kollege: Du kannst fünfe mitnehmen, oder?“

„Jepp, kann ich.“

„Dann nimm doch hier mal die 5 Leute mit.“

Fantastisch.

Die Kommunikation war nicht eben einfach, denn die fünf laberten mich einfach mal selbstverständlich in einer fremden Sprache zu. Was ich zunächst für italienisch hielt, stellte sich im weiteren Verlauf als portugisisch heraus, denn die Familie kam aus Brasilien. Es war der Tag vor ihrer Abreise und sie hatten unbedingt noch eines zu erledigen: Ein Foto von der Siegessäule machen!

Und exakt deswegen nahmen sie ein Taxi. Ich sollte sie zur Siegessäule bringen, ihnen dort Zeit für ein Foto geben und sie anschließend in ihr Hotel am Potsdamer Platz bringen. Was für eine geile und irgendwie absurde Tour!

Binnen kürzester Zeit hatten wir uns auf Englisch als Sprache zur Verständigung geeinigt und ab da kannte die Mutter kein Halten mehr. Sie war offenbar die einzige der Sprache wirklich mächtige und hat mich ausgequetscht wie sonstnochwas. Ein Großteil des Gesprächs drehte sich letztlich darum, warum Deutschland so ein schönes, sauberes und wirtschaftlich starkes Land ist – und ja, sie kannten nur Berlin!
Ein bisschen zurechtrücken musste ich ihre Meinung da, kann ich als Linker ja gar nicht anders 😉

Allerdings ist es auch immer wieder horizonterweiternd, mal mit Menschen zu reden, die unsere Probleme als Luxusprobleme wahrnehmen. Und so hatten wir eine angenehme und dennoch angeregte Diskussion über die richtige Mischung von Glück und Ordnung. Zugegeben: Ein bisschen anstrengend war es auch, denn mein Englisch versagt auch irgendwann, wenn es um Vokabeln zu „deutschen Tugenden“ geht.

Schade war indes, dass ihre Reisekasse zu knapp befüllt war, um mir endlich mal mein brasilianisches Geld abzukaufen, das ich seit dieser Tour immer mit mir rumtrage, ohne es jemals losgeworden zu sein – was aber auch daher rührt, dass ich es oft einfach vergessen habe …

Das Trinkgeld war zwar am Ende unterirdisch, aber das macht die Tour nicht schlecht. So viel kultureller Austausch in einer halben Stunde, so schnell Montags mal 21 € verdient, es gibt genügend Gründe, abschließend zu sagen, dass das eine gute Geschichte war.

8 Kommentare bis “Brazilian Way of Life”

  1. Zero the Hero sagt:

    „Ein Großteil des Gesprächs drehte sich letztlich darum, warum Deutschland so ein schönes, sauberes und wirtschaftlich starkes Land ist – und ja, sie kannten nur Berlin!“

    Die Katastrophe als positives Beispiel…ich wußte nicht, daß es in Brasilien so schlimm aussieht 😉
    btw: schon gewußt, daß Brasilien eine sehr lange Grenze zur EU hat?

  2. Opa Hans sagt:

    Hm, meines Erachtens muss man nur die Augen aufmachen und ab und zu Zeitung lesen um zu erfahren, dass Deutschland ein schönes, sauberes und wirtschaftlich starkes Land ist. Das heißt ja nicht, dass hier alles super ist.

  3. Sash sagt:

    @Zero the Hero:
    Nein, wusste ich nicht …
    Und Berlin scheint in der Tat ein gutes Beispiel zu sein, wenn man aus Brasilien draufschaut.

    @Opa Hans:
    Klar, was anderes hab ich denen auch nicht erzählt. Im direkten Vergleich steht Deutschland natürlich meistens gut da, das ist mir ja auch bewusst.

  4. Christian sagt:

    Ähm, Sash… Du willst uns jetzt nicht weis machen, dass du seid fast 2 Jahre mit dem Geld spazieren fährst? 🙂

  5. Sash sagt:

    @Christian:
    So lange ist das schon her? Hm, also, was soll ich sagen? Ich bin vielleicht manchmal ein bisschen verplant … oder so …

  6. Bernd K. sagt:

    Also nicht ganz verpeilungsfest. 😉

  7. Sash sagt:

    @Bernd K.:
    Nee, was die Verpeilungsfestigkeit angeht, brauch ich Nachhilfe oder so 😉

  8. […] hab ich neulich erst eingestanden, dass ich es bisher nicht geschafft hab, mein brasilianisches Geld loszuwerden, also umzutauschen. […]

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