Araber, Juden und die EM 2012

Oder: „Die Iraner isse besoffen!“

Obwohl ich bei dieser Fußball-EM für mich bisher ungewöhnlich viele Spiele gesehen hab, ist mir das ganze Getue auch dieses Mal wieder auf den Wecker gegangen. Ich unterhalte mich zwar auch als nicht sonderlich fußballinteressierter Mensch mal gerne über ein Ergebnis (ist ja nicht so, dass mich das Wetter – sonst gerne Smalltalk-Thema – rasend begeistern würde!), aber irgendwie hatte man dann doch wie immer das Gefühl, die vorherrschende Logik wäre folgende:

„Ich brülle lauter und beleidige dein Heimatland besser, also gewinnt mein Team – und zwar zurecht!“

Dass nicht einmal die meisten Kollegen irgendeinen Zugang zu meiner Aussage „ist mir eigentlich egal, ob die Deutschen gewinnen“ fanden, versteht sich ja leider fast schon von selbst. Die meisten Leser hingegen werden wissen, dass ich nicht viel von Patriotismus – und noch weniger von Nationalismus – halte. Dass ich Multikulti noch immer nicht für ein Schimpfwort halte, liegt neben vielem anderen auch an meinen Fahrgästen. Viele von euch haben über die Spinner meiner „Alles eins„-Tour gelacht, heute nacht gab es Nachschub.

Erst kurz zuvor hatte ich ein paar Torfköpfe im Auto, die glaubten, dank der EM-Spielberichte aus der BILD könnten sie nun gut informiert über europäische Finanzpolitik reden, da tippelten zwei massige junge Männer mit eher südländischem Aussehen zu meinem Taxi am Ostbahnhof. Ähnlich der Gestalten der oben verlinkten Tour waren sie mir erstmal nicht unbedingt sympathisch, aber das änderte sich schnell. Ich hab klargestellt, dass ich keine Festpreise mache und sie akzeptierten das. Dann jammerten sie zwei- bis dreisprachig über das eben erst beendete EM-Spiel zwischen Spanien und Frankreich. Sie hatten wohl unterschiedliche Wetten plaziert, Heimatstolz trieb offenbar keinen der beiden:

„Ach, sag isch: Hör nicht auf den da hintern! Der ist von Iran!“

„Jaja Mann! Aber den Holzkopf vorne ist Jude!“

„Immer vorsichtig mit Mensche von Iran, sag ich!“

„Geh doch heulen bei wie heißt der? Netanjahu?“

Da hatte ich mir ja gleich das Weltkrisengebiet schlechthin ins Auto gepackt. Super! Im Gegensatz zu ihren oftmals aber doch eher … naja … festgefahrenen Landsleuten nutzten die beiden den ja nicht gerade lächerlichen Konflikt allenfalls zum gegenseitigen Necken. Da könnten sich einige mal ein Scheibchen von abschneiden!

„Alta, bis‘ du morgen Scheißen-England oder Italien?“

„Kein Plan, was wetten?“

„Alta, wirst du so verlieren, weil du morgen England bist!“

„Voll egal, wo ich bin: Deutschland putzt eh weg! Wird Deutschland Aropameister!“

„Haha! Has‘ gehört dem Iraner? Sagt Arabermeister!“

„Hab ich net!“

„Hat gesagt Arabermeister, der alte Araber!“

Daraufhin fingen sie an, die wichtigste Frage all derer zu klären, die bis auf ihre nationale keine sonstige Identität zu haben scheinen: Ob denn „die Araber“ im deutschen Team deutsch seien. Ein Bisschen hatte ich immer noch Sorgen, das könne eklig werden, aber am Ende haben sie sich darauf geeinigt, dass „wer hat Pass und will spiele für Deutschland is Deutsche!“ Und dass sie so wie sie spielen ruhig Arabermeister werden könnten … 😉

Mit der Zeit hatte ich Tränen in den Augen, weil die beiden echt lustig geworden sind. Der Iraner, so wurde mir erzählt, würde nur so dusseliges Deutsch reden, weil er erstmals Alkohol hätte trinken können und der offenbar wirklich aus Israel stammende andere bekam vorgeworfen, dass er ja nun nur für die Italiener sei, weil die wiederum weniger trinken würden als die Engländer, was seit heute – im Namen Allahs! – überhaupt keine gute Idee mehr sei. Oder so.

Die beiden haben einfach eine perfekte Parodie geliefert auf all die unnützen Scharmützel da draußen, auf all die Scheiße, die im Namen von Nationen und Kulturen täglich passiert.

Natürlich, die Welt ist nicht so einfach wie eine Taxifahrt vom Ostbahnhof nach Charlottenburg! Aber verdammt, was würden wir alle gut daran tun, es wenigstens mal auf diesem Weg zu versuchen!

Auf die Fresse!

Meine Schadenfreude hält sich meist in engen Grenzen. Insbesondere wenn mir Menschen sympathisch sind. Und eigentlich war mein zukünftiger Kunde das auch. Dummerweise hab ich mir das Lachen echt nicht verkneifen können, als er mich rangewunken hat und sich direkt danach einmal der Länge nach auf den Gehsteig geschmissen hat.

Allerdings war das auch nicht so fies, wie es sich jetzt anhört, denn er lachte selbst über sein Mißgeschick und fragte umgehend, ob ich ihm gute B-Noten für die Landung geben würde – was ich bejahte 🙂

Verletzungen gab es übrigens auch nicht zu beklagen, lediglich einen geringfügig beschleunigten textilen Verschleiß.

Was mir im Nachhinein aufgefallen ist: Ich hab lange niemanden mehr hinfallen sehen, insbesondere keine Kampftrinker. Der Typ jedenfalls war nüchtern wie ein Limo-Werbeplakat.

Irre Iren

„We come from Ireland!“

So etwas ähnliches hatte ich durchaus erwartet. Die englische Sprache war zwar zu erkennen, aber ihr Dialekt, die Lautstärke und der Alkoholpegel sorgten für einen ziemlich matschigen Singsang. Erfahrungsgemäß sind es dann eben Iren. Sie gehörten zur größten Gruppe Nachtschwärmer – der, die ins Berghain nicht reingekommen sind. Glücklicherweise machte sie das keineswegs so fuchsig wie viele andere, sie waren eher ausgelassener Feierlaune und sahen ihr Abblitzen bei den Türstehern als eine Art zu erwartende Wendung des Spiels „getting drunk in Berlin“.

Einen anderen Club wollten sie natürlich dennoch empfohlen haben. Das Watergate, normalerweise mein erster Vorschlag, lehnten sie gleich ab mit der Begründung, da seien sie schon zuvor nicht reingekommen. Obwohl die drei Jungs jetzt also wahrscheinlich mindestens zwei Stunden an irgendwelchen Clubs angestanden hatten, die sie nicht reinlassen wollten, waren sie noch lustig genug, mich zu fragen, ob ich nicht etwas anderes empfehlen könnte, wo man sie auch wieder wegschickt.

Ich habe dann beschlossen, sie zum Tresor zu bringen. Unter den Clubs in Berlin hat er ja durchaus noch einen brauchbaren Ruf – wobei ich als Nicht-Clubber immer die Vermutung habe, dass da eigentlich gar nicht mehr viel los ist und der Laden einfach nur von seiner Geschichte als erster Techno-Club lebt. Das Schöne an dem Club für mich als Taxifahrer ist, dass ich den Kunden eigentlich immer versprechen kann, dass die Schlange kurz ist. Etwas, das natürlich auch bei den Iren jetzt für Heiterkeit sorgte. Da man auf dem Weg ohnehin dort vorbeikommt, habe ich nebenbei noch das Kater Holzig empfohlen – falls sie später doch noch was anderes in Laufnähe suchen sollten. Obwohl natürlich noch völlig unklar war, ob die Locations ihnen zusagen würden und ich die Weitergabe von Infos – so ich sie habe – einfach nur als netten (aber unspektakulären) Service sehe, schlug die Begeisterung umgehend Wellen. Lautstarke natürlich, Iren und so …

Zu guter Letzt wurde für die Fahrt von 6,80 € ein Fuffi gezückt und ich hab die Jungs gefragt, ob sie nicht vielleicht doch noch etwas kleineres hätten.

„Even some coins would be great. Today I didn’t get any coins …“

Wünsch-Dir-was kann man mit Iren als „best cabdriver in the whole fucking city of big awesome berlin“ erstaunlich gut spielen. Die 6,80 € hatte ich binnen Sekundenbruchteilen beisammen. Als der letzte das Auto verlassen hatte, hatte ich in meiner Hand sage und schreibe 11,50 €. Einer der Jungs beugte sich nochmal ans Fenster und meinte:

„Are this enough coins my friend? I hope not, because I still have one fucking coin left and it would be such a fucking great pleasure to give it to you!“

Allen Ernstes! Damit hatte ich dann zwölf Euronen und war finanziell besser bedient, als hätte ich die Truppe trinkgeldlos bis nach Charlottenburg verfrachtet.

Auch wenn die Ausdrucksweise der Jungs einen starken Hang in Richtung Geschmacklosigkeit hatte: was viele bei den betrunkenen Jugendlichen vergessen, ist, dass sie hier in dieser Stadt sind, um Party zu machen und es jedem danken, der ihnen dabei hilft. Und wenn es durch kleine Informationshäppchen ist. Vielleicht bin ich auch mal zu alt für die Lautstärke. Bis dahin aber lasse ich mir diese Kundschaft nicht schlechtreden. Denn oftmals sind es diese schrägen Vögel, die genau das aufbringen, was vielen anderen abgeht: Wertschätzung für meine Arbeit, echte ehrliche fucking Wertschätzung!

Vampirgedanken

Da ich heute ja hier bei GNIT nicht gerade mit viel Text um mich geschmissen habe und dennoch ein entscheidender Tag des Jahres ist, wollte ich kurz auf meinen neuen Eintrag in meinem privaten Blog hinweisen, in dem ich einmal mehr Stellung zu meinem Nachtleben in Anbetracht des längsten Tages des Jahres nehme:

Die Erleichterung des Vampirs

Hat nämlich auch viel mit der Arbeit zu tun.

Jagderfolg?

„Ich muss zu der … wie hieß das nochmal?“

„Jägerklause.“

Etwas seltsam, dass der Typ außerhalb des Autos ihr Fahrtziel nannte. Aber ich hab mich wohl oder übel an ihn wenden müssen, als ich sicherstellen wollte, dass ich die richtige Gaststätte im Kopf hatte. Vom Berghain aus im Übrigen nicht gerade eine Wahnsinnstour, siehe die Karte unten.

Die schon etwas angeschlagene junge Frau nahm mit Verwunderung und kindlicher Neugier unser kurzes Gespräch zur Lokalität auf und als wir dann unterwegs waren, fragte sie mich betrübt, ob es wirklich nur so kurz sei. Ich konnte das schlecht verneinen:

„Naja, Luftline sind es wohl nur so 300 Meter, aber mit dem Auto müssen wir einmal um den ganzen Block.“

Trotz der eher nicht so lohnenden Tour hab ich übrigens über den Parkplatz beim Neuen Deutschland abgekürzt, weil es nicht nur 100 Meter Weg, sondern auch die einzige Ampel auf der Strecke erspart. Ein witziges Fleckchen halbprivater Verkehrsfläche übrigens, das nachts dank uns Taxlern sicher mehr befahren wird als tagsüber.

Meine Kundin drohte mir wegen der kurzen Fahrt gleich ein ordentliches Trinkgeld an und ich erfuhr nebenbei, dass der Typ uns mit dem Fahrrad zu folgen gedachte. In dem Moment habe ich mich richtig gefreut, dass ich für die Tour nicht auch noch ein Fahrrad verstauen musste, was ja bekanntlich auch mal länger dauern kann, als es der eine Euro Zuschlag wert wäre.

Wieso wir zur Jägerklause fuhren, konnte sie mir nicht erklären und als wir nach rund einer Minute Fahrt dort standen und auf ihre „Begleitung“ warteten, wurde das Fragezeichen auf ihrer Stirn immer größer.

„Naja, vielleicht wohnt er ja hier irgendwo.“

meinte sie schließlich.

Das könnte eine Erklärung sein und sagte mir einiges über den wahrscheinlichen weiteren Verlauf des Abends. Da hat wohl eine Art Jagd lustigerweise bei der Jägerklause ihr erfolgreiches Ende genommen.

Für mich übrigens auch, denn das Trinkgeld glich in der Tat aus, dass die Strecke nur so kurz war. 🙂

Hier der Weg in voller Länge (ohne die Abkürzung, die kennt Google nicht):


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Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Chauffeure und Heizer

Es gibt gute Gründe, jungen Leuten kein Auto zu geben, das mehr kann als sie. Oder mehr kann, als sie können sollten. Mit den gemütlichen Familienkutschen meiner Eltern hab ich nach dem Bestehen meines Führerscheins genügend Mist gebaut, um irgendwann zu wissen, was zu viel des Guten ist. Ob es mir, meiner Berufswahl oder irgendwelchen anderen Leuten gut getan hätte, hätte ich Zugriff auf ein Auto jenseits der 200 PS gehabt, wage ich zu bezweifeln. Jetzt umso mehr.

Wir Taxifahrer stehen ohnehin im Ruf, zu fahren wie die letzten Rüpel und Rampensäue. Ein gutes Beispiel dafür war ich nie – obwohl ich mir die 5 bis 15 km/h über Vmax ja auch nicht abgewöhnen kann. Zumindest an manchen Stellen. Am Wochenende war ich mal wieder Beifahrer im Taxi und ich habe zwei Dinge gelernt:

Erstens stimmt das Klischee mit den Heizern unte den Taxifahrern durchaus mal und zweitens kann ich nun besser verstehen, dass Kunden sich doch so selten beschweren. Ich hab es nämlich – obwohl ich Blogger bin und das immer wieder sage in dem Fall auch nicht gemacht. Ich war einfach zu sehr beschäftigt mit mir und der Welt (wir haben das Taxi zum Krankenhaus genommen, weil ich kaum Luft gekriegt habe), als dass ich mich um einen Fahrer kümmern wollte, der sowieso demnächst geblitzt wird. Ich hab z.B. einfach vergessen, mir die Konzessionsnummer für eine spätere Beschwerde aufzuschreiben.

Am Anfang war ich richtig froh, dass er ein wenig flott war. Warum nicht? Ging ja immerhin ins Krankenhaus. Wir haben zwar klargestellt, dass es so gesehen kein dringender Notfall war, aber gepasst hat es mir. Die erste Ampel hat er gleich bei Kirschgrün genommen. Knapp, aber immerhin. Dann ist der die Landsberger mit locker 80 entlanggeschossen (wobei ich um die Uhrzeit dort auch locker 70 gefahren wäre), was eigentlich nur dann gewundert hat, als er um die Ampel am Blumberger Damm zum Abbiegen noch kriegen wollte, plötzlich nochmal hochbeschleunigt hat. Sonntag morgens um 4 Uhr waren die Straßen natürlich frei – aber bei Ampeln bin ich ja doch ein wenig skeptisch …
Aber alles in allem war es keine Traumfahrt mit dem jungen Typen. Dass er kurz angefragt hat, wie er von uns aus am Besten fahren soll, hat mich nicht gestört. Ich kenne das bestens: Da steht man mal in einer anderen Ecke und überlegt, wie das jetzt von dieser Seite aus ging. Er hatte definitiv noch im Kopf, wo das UKB lag, ist wahrscheinlich noch nie von Marzahn aus rangefahren. Dass er dann zusätzlich zum schnellen – und auch wirklich hektischen – Fahren gemeint hat, er müsse sich die Hälfte der Strecke mit einem Kumpel unterhalten, hat die Sache abgerundet. Zugegeben: er hat gefragt, allerdings eher rhetorisch. Trotz wirklich sehr netter Gesprächsfetzen mit uns am Anfang war binnen zwei Minuten in dem Auto klar, dass wir eine weitere Erledigung in einer langen Liste waren. Schnell schnell weg mit uns und ansonsten fährt er, macht er die Ansagen, ist es sein Wagen. Kann man machen, machen sogar viele Kollegen so, bei mir sitzt der Dienstleistungsgedanke etwas tiefer. Zumal mit netter und hilfsbereiter Kundschaft.

Geschäftsmänner mit iPod im Ohr, die gerne schnell zum Flughafen wollen, lieben den Typen wahrscheinlich. Der würde die 12 Minuten vom Ostbahnhof zum SXF schaffen, zum BER wahrscheinlich auch.

Ich hab mich selten so überwinden müssen, aber er hat nur einen Euro extra gekriegt. Für Null hat es nicht gereicht, denn wie gesagt: grundsätzlich war er ja nett und zumindest tempomäßig engagiert – aber seine Strafzettel gegenfinanzieren wollte ich dann auch nicht über Gebühr …