Ich glaube nicht…

Nach meinem Zeug, das ich so im Auto verteilt habe, wird nur sehr selten irgendwas gefragt. Warum auch? Sicher: Hier mal eine Frage, ob ich vielleicht einen Kaugummi abtreten könne, dort mal eine Frage nach den Getränken. Aber das passiert vielleicht einmal alle zwei Monate.

Ansonsten sieht man ja nicht viel von mir herumliegen. Handy und Kamera sind seitdem sie mir geklaut wurden, möglichst versteckt untergebracht, und ansonsten liegt bloß ein bisschen Lesestoff auf dem Armaturenbrett herum und ein bisschen benötigter Papierkram: Quittungsblock, Schichtabschreiber und mein kleines Statistik-Büchlein.

Ich lege Bücher und Zeitschriften in der Regel so ab, dass man nicht direkt erkennt, um was es sich handelt. Vielleicht ist das nur eine doofe Marotte, ich selbst hab so ein bisschen das Gefühl, es ist ein letztes Stückchen Privatsphäre. Der Platz im Taxi ist recht begrenzt, insbesondere da ich den meisten Platz ja für die Fahrgäste freihalten muss. Ich würde mir gerne einen Rucksack in den Beifahrer-Fußraum packen, aber letztlich muss ich auf zugängliche Plätze ausweichen.

Und – wenngleich ich meist unverfängliche Sachen wie Nachrichtenmagazine oder triviale Unterhaltungsliteratur lese, denke ich nicht, dass das ein geeignetes Thema ist, um wildfremde Menschen darauf zu stoßen. So schön die Diskussion im Einzelnen sein könnte – wehe wenn bei Literatur verschiedene Meinungen aufeinanderprallen! 🙂

„Entschuldigen sie, ist das die Bibel?“

„Bitte, was?“

„Oh, ich wollte nur fragen, ob das Buch, das sie da liegen haben, die Bibel ist…“

Seht ihr, genau das ist das Problem!
Die Frage ist im Übrigen wirklich fies, denn zu dem Zeitpunkt wusste ich nun wirklich nicht, ob ich da irgendeinen religiösen Fanatiker oder sonsteine Gestalt im Auto habe, die mir jetzt ein Ja oder ein Nein entsprechend schlecht auslegt.

Glücklicherweise war beides nicht der Fall. Aber eine grandiose Fehleinschätzung war es dennoch. Das Buch war „Die Möglichkeit einer Insel“ von Michel Houellebecq. Vielleicht nicht gerade ein Buch für Moralapostel 😉

13 Kommentare bis “Ich glaube nicht…”

  1. Missac sagt:

    Wenn ich Bahn fahre, dann mache ich mir um meine Bücher immer solche Stoffumschläge mit so lustigen Titeln wie „Mordsbuch“ oder „Lieblingsbuch“. Ich finde auch, es geht keinen was an, was ich lese. 😉

  2. Da lobe ich mir elektronische Bücher. Da kann man wunderbar über die Qualität der Technik diskutieren, mit der sich gelesen werden, muss aber nicht die gelesenen Inhalte preisgeben.

  3. Sash sagt:

    @Missac:
    Das ist auch nicht schlecht 😀
    Da hab ich noch gar nicht dran gedacht…

    @Der Maskierte:
    Das ist wahr. Allerdings steigt dann wieder die Diebstahlsgefahr…

  4. nadar sagt:

    Ich habe nichts dagegen, wenn im Taxi oder in der Bahn jemand erkennt, was ich lese. Im Taxi könnte man fast sagen, dass ich es darauf anlege. Es soll ja das Vorurteil geben, dass Taxifahrer relativ ungebildet sind (neben den dreißig Prozent mit Dr.-Titel :P).

    Übrigens geht es in der Bibel nicht immer moralisch oder hochanständig her. Dort wird unter anderem gemordet und gemeuchelt, Ehe gebrochen und Blutschande getrieben, um ein paar wenige Sachen zu nennen.

  5. Sash sagt:

    @nadar:
    Den Gedankengang kenne ich schon auch. Aber die meisten die mit mir reden, erwarten so oder so keine Bild-Zeitung auf dem Armaturenbrett, und die die eine solche vermissen sind die letzten, mit denen ich mich übers Lesen unterhalten will. Da tut es dann um des lieben Friedens Willen halt auch mal das Wetter.
    Und das mit der Bibel war natürlich so auch nicht gemeint. Dass das ein ziemlich blutiges Werk ist, darf ja als Allgemeinbildung gelten 🙂

  6. MsTaxi sagt:

    Nun ja, mein ebook-reader sieht dank Schutzumschlag aus wie eine Ausgabe des Neuen Testaments, ich wurde unlängst von Kollegen gefragt, wann ich meine Bibel endlich mal durchhätte. *g* Aber der gespeicherte Inhalt würde ohnehin mehr verblüffen als sonstwas, alles wild durcheinander von den Genres und Ansprüchen her.

    Aber ein etwas übergriffiger Fahrgast bereute seine Attacke auf meinen Lesestoff im selben Moment. Ich hatte mein Buch zwischen den Deckel der Mittelkonsole und dem darunter befindlichen Staufach geklemmt, damit ich es nicht zuklappen musst (ja, ich Buchrückenmörder, ich geh ja schon in die Ecke). Der Fahrgast, der auf dem Beifahrersitz saß, griff sich das Buch, las Titel und Autor und steckte das Buch kommentarlos wieder zurück. Mein Kommentar rieb dann noch Salz in die Wunde: „Sorry, wenn Sie die BLöd-Zeitung oder die Hürriyet hätten haben wollen, die wurden heute vom Lesezirkel nicht geliefert“ (man merkt, ich war etwas sauer wegen des Grabschens nach meinem Buch). Sein bisheriger Tomatenfarbton im Teint vertiefte sich zu Feuerwehrrot. Es gab zwar weder Kommentar noch Entschuldigung, aber ein saftiges Trinkgeld.

  7. Mickey sagt:

    Hey Sash,

    Eine gute Schicht wünsche ich dir! Würde mich freuen wenn du
    bei Gelegenheit mal etwas über „Die Möglichkeit…“ schreiben
    könntest. Habe es selbst vor ein paar Monaten gelesen und war
    mir danach nicht ganz sicher wie ich dazu stehen soll. Da würde
    mich doch deine Meinung mal interessieren.

    Grüße!

  8. Hendrik sagt:

    „@Der Maskierte:
    Das ist wahr. Allerdings steigt dann wieder die Diebstahlsgefahr…“

    Auch nicht Ärger als bei (früher) Mp3 Playern und (etwas später) iPods – die waren preislich schließlich auch in der Kategorie 100€+…
    Von mir aus könnte mein Taxifahrer auch Das Buch Mormon herumliegen haben…
    wenn er versuchen würde seine Sichtweise dazu aufzudrängen, das ist dann was anderes. Kann ich mir bei Taxifahrern im allgemeinen allerdings nicht vorstellen.

  9. Anna sagt:

    Das Buch hab ich auch gelesen. Es war ja so furchtbar, ich musste mich echt quälen… Gegen Ende fand ichs dann solala, aber trotzdem: Einen so sau-unsympathischen Helden zu basteln und sich den viel interessanteren Nachfolgern nur so nebenbei ein wenig zu widmen… Und der Porno! Meine Fresse war das pornös, an sich nix schlimmes, aber diese Altmänner-Phantasien immer… *schauder*
    Und der Typ im Buchladen meinte „Super Science Fiction, wirklich zu empfehlen, ich kenn dich ja, du magst ja so Weltende und so..:“
    Der kricht noch auffe Mütze. 😉

  10. Sash sagt:

    @Anna:
    Ich muss sagen, ich fand Elementarteilchen auch deutlich besser. Aber es ist nicht so, dass ich das Buch nicht mögen würde. Irgendwie gut ist es ja schon.

  11. Anna sagt:

    Wer das Buch nicht kennt: Achtung SPOILER

    Ja, „irgendwie gut“ triffts. 😉 Darum musste ich es auch trotzdem auslesen. Und wie uns Menschen als halbe Tiere gegen Ende beschreibt, und diese neue Art als Gegensatz, schon gute Ideen. Was mir auf den Zeiger ging, war ja das „Intelektuellen-Geschwafel“: Ich kanns nicht ab, wenn Autoren in einer Story mit Namen und Titeln vermeintlicher „Kunst, die man kennen muss“ um sich werfen, nach dem Motto „Wer das liest und die nicht kennt, ist nicht gebildet genug – na fühlt ihr euch schon doof?“ – dabei ist es egal, ob ich die angesprochenen Werke kenne oder nicht, die Art is mir trotzdem uääh.
    Was sehr cool war, war ja die Idee, Scientology entwirft die nächste Menschen“art“ – muahaha! Herrlich, eine „weiterentwickelte“ Menschenrasse auf Basis der „Battlefield Earth“ Idee – sehr geil auch, als der eine Typ zugibt, sich den ganzen Mist mal auf nem Berg auf nem Pilze Trip ausgedacht zu haben! Herrlich!
    Tja, ein zweischneidiges Schwert. =)

  12. Anna sagt:

    „wie ER uns beschreibt“ und natürlich nicht „Intelektuellen“ sondern „Intel-eck-tuällen“ *facepalmformyself*

  13. Sash sagt:

    @Anna:
    Das Witzige ist: Ich hab mir in den letzten Tagen auch mal – bezüglich ganz anderer Dinge – gedacht: „Boah, wat der alles gelesen hat, muss man das kennen?“
    Dann ist mir aufgefallen, dass sich das zwangsläufig ergibt, wenn man schreibt. Gut, vielleicht kenne ich eher die einschlägigen Witze aus der Anfangszeit des Internets als die französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts – aber man merkt als „Autor“ schnell, dass man seinen Erfahrungshorizont irgendwie an die Leser weitergibt. Ob das nun von oben herab gemeint ist, oder nur so wirkt, das ist mitunter vielleicht gar nicht so leicht festzustellen – als Leser, wenn man andere Dinge kennt.

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