Flexibler

„Hier! Anwesend!“

rief ich über den Vorplatz des Ostbahnhofes. Kunden sind an meinen Wagen herangetreten, während ich mich mit Kollege Eddy unterhalten habe. Er stand ein paar Plätze vor mir, deswegen stand ich bei ihm und nicht er bei mir. Aber der Kunde hat die freie Fahrzeugwahl…

Ich bin kurz rübergesprungen, da kam er mir schon entgegen. Er war so um die 30, unterwegs mit seiner Freundin, beide zusammen in etwa das Unauffälligste, was ich in den letzten Wochen gesehen habe.

„Hi, ich wollte mal fragen: Kurzstrecke geht ja nicht, wenn wir hier stehen…“

„Das ist korrekt.“

„Wir müssten nur bis zur Revaler rüber, könnten wir da vielleicht einfach einen Fünfer machen?“

„Nein.“

Ich bin meist gar nicht so einsilbig bei dem Thema, aber er war sich seiner Sache so unsicher, da haben klare Ansagen am Besten funktioniert.

„Das kostet eher so 6 bis 7 €.“

hab ich versucht, ihm dennoch die Angst vor irgendwelchen Monsterbeträgen zu nehmen.

„Naja, dann ist egal. Wir steigen ein!“

Na also. Ist zwar keine lange Tour, aber ganz ehrlich: Mein Auto stand noch keine 3 Minuten am Bahnhof, da wäre es ja doppelt unverschämt, über die Länge der Strecke zu meckern. Unterwegs meinte er dann:

„Du könntest uns ja vielleicht bei 5 € rauslassen, dann laufen wir den Rest.“

„Das kann ich gerne machen, aber das wird dann nur knapp die Hälfte der Strecke sein, während es mit ein bis zwei Euro mehr bis vor die Türe geht.“

„Du bist sicher Angestellter.“

„Ja, so sieht es aus.“

„Ja sorry, ich will ja auch nicht, dass du deinen Chef bescheisst oder so.“

„Das freut mich, da hätten sie auch keine Chance.“

„Ja, so ist es halt. Ich dachte, ich frag mal. Andere sind da ja ein bisschen flexibler…“

Ich hab mir auf die Lippen beißen müssen für die restlichen 2 Minuten im Auto. Ich hätte ja einiges sagen können, aber ich hab gedacht: Friede sei mit den Unwissenden. Flexibler? Das ist natürlich auch eine Möglichkeit, es zu umschreiben. Während ich mit einer Fahrt unter Tarif ja nur grob die Hälfte des entgangenen Geldes vermisse, würde mir als Selbstständiger die Kohle ja komplett fehlen.

Ich bin kein Unmensch und ich drücke gerne mal ein Auge zu, wenn es irgendwo angebracht erscheint. Aber wieso sollte ich auf Geld verzichten und das Vetrauen meiner Chefs untergraben, die mich diesbezüglich eben genau null kontrollieren? Die keine Sitzkontakte eingebaut haben, das Auto nicht via GPS verfolgen? Die es mir erlauben, Privatfahrten zu machen? Warum sollte ich das tun zu Gunsten irgend eines dahergelaufenen Kunden, einen der nicht einmal durch besondere Freundlichkeit auffällt oder irgendwie glaubhaft machen kann, dass es für ihn wichtig wäre?

Wir sind ja alle froh, wenn wir mal irgendwo was sparen können. Da nehme ich mich nicht aus, wirklich nicht. Aber ist es echt so, dass man bei einer Tour für 6 € im Taxi glaubt, da wäre viel Spiel nach unten?

Ich sehe schon, das wird so ein Artikel, bei dem es nachher so aussieht, ich würde wie viele Kollegen ständig über meinen Verdienst jammern 😉
Das wollte ich nun nicht – wenngleich der Januar gerade echt gemein zu mir ist…

Trinkgeld gab es für die Tour natürlich keinen Cent. Meinetwegen. Mir soll es ja recht sein, dass sie ein Taxi und nicht die S-Bahn (eine Station!) genommen haben.  6,00 € sind 6,00 €! Aber wären sie 400 Meter selbst gelaufen, hätten sie mit der Bahn 2,80 € gezahlt. Wären sie 100 Meter gelaufen und hätten auf einen Kollegen zum Ranwinken gewartet, hätten sie 4,00 € für die Kurzstrecke gezahlt. Aus irgendeinem mir nicht bekannten Grund war das zu viel Aufwand. Nicht, dass ich 2 € Aufpreis für 100 Meter für gerechtfertigt halte, aber in Anbetracht der Alternativen wüsste ich nicht, weswegen ich ihnen hätte entgegenkommen müssen.

Ich will nicht zu gehässig sein, aber ich hab nicht vor, meine Dienstleistung unter Wert zu verkaufen. Ich verdiene pro Wochenendschicht (und denkt dran: Das sind die guten!) irgendwas zwischen 70 und 100 € – wenn ich stur nach Tarif die kürzesten Strecken fahre und durchschnittliches Trinkgeld kriege – dafür, dass ich eben nicht in einen Club oder eine Kneipe gehe, dafür dass ich mich nicht betrinken kann, sondern den Betrunkenen meine Dienste anbiete, um sie sicher und bequem nach Hause zu bringen. Der Rest der eingenommenen Kohle geht fürs Arbeitsmaterial drauf, für die in manchen Fällen sogar sinnvoll eingesetzten Steuern und Abgaben – und dafür, dass meine Chefs die Organisation des Ganzen übernehmen (wofür ich mir dann wiederum kein Wochenende frei nehmen muss). Ist das wirklich so viel, dass man sich da noch beschweren muss, wenn man sowieso gleich tanzender- und saufenderweise sein Geld verprassen will?

Und das frage ich als Mensch, der monatlich Miete für ein Zimmer zahlt, damit meine Kumpels eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit haben. Als Mensch, der der Bettlerin vor meinem Supermarkt von der Kohle gelegentlich zwei oder drei Euro zusteckt. Als der, der privat schon so oft Leute auf eigene Kosten von A nach B gebracht hat und gar nicht mehr zählen kann, wie viele Leute er schon irgendwo mal zum Saufen eingeladen hat.

Gewiss, die ein oder andere Ausnahme würde mich nicht umbringen. Auch meinen Chef nicht. Aber was meint ihr, wie viele Leute meinen, sie seien eine Ausnahme wert? Jetzt hat Torsten erst wieder was geschrieben über die Studis, die meinen, ein Taxi müsse umsonst sein, wenn der Fahrer so oder so in die richtige Richtung fährt – was natürlich Blödsinn ist, weil der Tarif noch höher wäre, wenn wir noch mehr Leerfahrten hätten.
Und Mia ist auf eine der vielen Frauen getroffen, die der Meinung sind, Wartezeit zu berechnen, wäre Abzocke – was im Kern aufs gleiche rauslaufen würde.

Ganz im Ernst: Ich bringe euch gerne ohne Kohle von A nach B. Aber das klappt nur, wenn das drumherum anders ist. Es würde letztlich auch bedeuten, dass ich mich dafür aus eurem Kühlschrank ernähren müsste oder laut schnarchend auf eurem Sofa pennend den Tag verbringen.

Bis wir das mal gesamtgesellschaftlich geklärt haben, werde ich wohl nicht umhin kommen, ein paar Euro dafür zu nehmen und nicht ganz so flexibel zu sein…

11 Kommentare bis “Flexibler”

  1. Keinfischkopp sagt:

    Wo darf ich bitte unterschreiben?

  2. […] Wellen schlugen sogar so hoch, daß auch meine beiden Lieblingstaxiblogger Mia und Sash gleich mal aktuelle Beispiele von “Gratis-Kultur” verbloggt haben. Eigentlich so gar […]

  3. Mia sagt:

    Thumbs up! Aber ich nehme dann doch lieber das Geld, als bei meinen teils sehr suspekten Fahrgästen auf der Couch zu nächtigen… 😀

  4. Und sie versuchen es überall. Selbst, wenn ihr die „Super-Sonder-Günstig“-Woche hättet, wo alles nur die Hälfte kostet, würden sie es weiter versuchen.

  5. David sagt:

    Wie S-Bahn? Ich dachte die fahren nicht mehr? *SCNR*
    Ich muss ja sagen, als jemand der eigentlich nie Taxi fährt, und wenn dann bin ich sofort da und es entstehen keine Wartezeiten, aber mir war nicht bewusst dass die Wartezeit des Taxifahrers berechnet wird, obgleich ich das natürlich komplett verstehen kann und der letzte bin, der dagegen protestieren will.

  6. Anonymous sagt:

    Ganz im Ernst: Ich bringe euch gerne ohne Kohle von A nach B. Aber das klappt nur, wenn das drumherum anders ist. Es würde letztlich auch bedeuten, dass ich mich dafür aus eurem Kühlschrank ernähren müsste oder laut schnarchend auf eurem Sofa pennend den Tag verbringen.Bist du auf CouchSurfing.org oder beWelcome.org unterwegs?

  7. […] „Bezahlung“ und „Trinkgelder“ bei meinen ebenfalls schreibenden Kollegen Sasch, Mia und Torsten hoch im Kurs steht. Deshalb habe ich auch während der vergangenen Nacht meine […]

  8. S2B sagt:

    Kann ich mir bei den Arbeitszeiten jetzt nicht vorstellen 😀

  9. Sash sagt:

    @Keinfischkopp:
    Weiß ich noch nicht. Ich rate nur davon ab, es auf dem Monitor zu tun 😉

    @Mia:
    Ich wollte auch nur verdeutlichen, dass es irgendwie nicht ohne Gegenleistung geht. Im Grunde find ich Geld als Tauschmittel auch gar nicht so dumm 🙂

    @Der Maskierte:
    …und das ist das eigentlich Ärgerliche. Nicht der eine Euro, den die ein oder andere Eule gerne sparen würde.

    @David:
    Ja gut, das mit den S-Bahnen war optimistisch 🙂
    Wobei man davon ausgehen kann, dass zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße wenigstens eine der Bahnen nicht komplett ausfällt.
    Das mit der Wartezeit würde ich persönlich auch nicht so eng sehen. Aber wie die Kollegen teils so beeindruckend schreiben: Es gibt die Leute, die das Taxi auf Halb bestellen und dann eine Stunde zum Einsteigen brauchen.

    @Anonymous:
    Nein, bin ich nicht. Ich hab bisher überall wo ich hinkomme persönliche Kontakte 🙂

  10. Taxi 123 sagt:

    Ich frage inzwischen immer wo die „Bettler“ arbeiten und biete an dort einmal vorbeizukommen und dann auch zu feilschen wie auf dem Basar. Mir gibt der Bäcker, der Milchmann und … schließlich auch nicht alles für die Hälfte, nur weil ich Taxifahrer bin.

  11. Panama Jack sagt:

    … und dann sacht der „Gebrauchtwagenhändler! *scnr*

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: