Nachtfahrt

In dem Moment, in dem ich den Schlüssel drehe, fällt sie von mir ab, die Fahrt. Ein älteres Ehepaar, ständig nörgelnd. Nicht müde werdend zu erzählen, wie schlimm es sei, ihre Rentenkürzung betreffe sie massiv, sei unfair, wo sie doch für diese rote Regierung jahrzehntelang geschuftet hätten. Und jetzt dieser Rückflug. Eine halbe Stunde Verspätung wegen so eines lächerlichen Gewitters. Damals, da konnten die Piloten noch fliegen. Und bei den letzten 3 Urlaubsreisen dieses Jahr hat sich auch noch keiner so angestellt. Und ich sollte auch mal besser was richtiges lernen. Ist doch kein Leben, die ganze Nacht besoffene Türken fahren. Sind ja nicht alle so nett wie sie. 19,80 €, machste Zwanzichfuffzich für’n Kaffee!

Die beiden vorderen Fenster gleiten hinunter, das auf der Fahrerseite hakt ein wenig und gibt klappernde Geräusche von sich. Die Nacht kriecht mit wohlmeinenden 20 Grad ins Fahrzeuginnere, die letzten Parfumwolken ziehen in die Biesdorfer Dunkelheit. Der Wind trägt den frischen Duft von Kiefernadeln in meine Lungen, Auszeit von Zigarettenrauch und Smog. Die Wipfel der Nadelbäume schwanken hin und her, wirken auf eine komische Art bedrohlich und sind doch so viel friedlicher als manch menschliche Unzulänglichkeit in den Häusern hinter ihnen.

Der Kies knirscht unter den Reifen, als ich das Fahrzeug mit zweimaligem Zurücksetzen auf dem engen Weg wende. Es ist relativ ruhig, die Geräusche der Stadt werden mich erst ein paar Kilometer weiter wieder umfangen. Von fern dröhnt monoton der inzwischen überschaubare Verkehr der B1. Ein paar Kieselsteinchen springen über ihre Artgenossen, als der Motor nach dem Einkuppeln die Kraft an die Räder übergibt und meine hellelfenbeinfarbene Festung sich vom Untergrund abdrückt. Anderthalb Tonnen Metall fliegen durch die Einfamilienhaussiedlung, mit zunehmender Geschwindigkeit werden die Geräusche gleichmäßiger, gefühlt leiser.

Zwischen Daumen, Mittel- und Zeigefinger spüre ich die Rillen des gummiummantelten Volume-Reglers, und während das Licht der ersten Straßenlaternen nach und nach das Cockpit meines Taxis flutet, genieße ich die bei so unbelebter Straße freie Hand und sorge dafür, dass die ersten Gitarrenklänge von …and justice for all feinfühlig eingefadet werden.

Da das Autoradio qualitativ nicht gerade State-of-the-Art ist und zudem bei meiner zunehmend beschleunigten Fahrt Richtung Innenstadt genügend Nebengeräusche einen angemessen andächtigen Musikgenuß verbieten, stört mich an dieser Stelle auch nicht die oftmals bemängelte Drumlastigkeit des Albums. Genau in diesem Moment, merke ich, ist die Nacht am tiefsten, der Tag also am Nächsten. Eine gelblich fahl leuchtende Laterne nach der anderen wirft ihren Schein auf mich, um anschließend im Rückspiegel zu verschwinden. Lautlos.

Mit dem bisherigen Umsatz zufrieden erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit auf die Straße und die Musik, nicht auf den Gehsteig zu konzentrieren. Am linken Ellenbogen fröstelt mich etwas ob des Fahrtwindes, keinen Gedanken daran verschwendend, dass es wahrscheinlich ziemlich prollig aussehen muss, wie ich den Arm aus dem Fenster hängen lasse. Völlig entspannt lasse ich zu, dass ich den Kopf zur Musik bewege und nur eine einzige Anspannung in diesem Moment hält mich gefangen: Ich versuche, das Vorbeirauschen der Straßenlaternen nicht mit den Drums von Lars Ulrich zu synchronisieren. Relaxt sein ist ok, Führerscheinverlust eher nicht.

Als ich kurz hinter der Rhinstraße herangewunken werde, war ich erst runde 2 Minuten unterwegs. Es gibt sie, diese Momente, die so angenehm sind, dass ich mir erlaube, Musik als Zeitmesser zu verwenden. Und da der Gesang bei …and justice for all erst bei 2:10 einsetzt…

Ich unterbreche die getragene Stimmung professionell. Binnen Sekunden summt der Elektromotor die Scheibe des Beifahrerfensters nach oben, die Musik ist unhörbar leise, und der einzige noch vernehmbare Beat ist das leise Klacken des Blinkers, als ich das Auto vorsichtig nach Rechts steuere.

Ich beobachte ein ums andere Mal Kollegen beim Heranfahren an einen Kunden und ich habe eine gewisse Hoffnung, dass ich meine Seriosität mit dem Fahrstil schon bei dieser ersten Kontaktaufnahme unterstreichen kann. Kein Reifenquietschen, kein hektisches und apruptes Ausscheren aus dem fließenden Verkehr, ein dezentes Halten mit der Fahrertür auf Höhe des Kunden. Aller verkehrsbedingter Stress, so er gegeben ist, bleibt beim ersten Kundenkontakt im Auto. Und so treibt mich ein nur leichter Lenkeinschlag, vergleichbar mit einem Spurwechsel auf der Autobahn, sanft an meine potenzielle Kundin heran.

Eine junge Frau, scheinbar auch gutaussehend. Es ist dunkel an der Stelle, an der sie steht. Ich belustige mich mit ruhigem Gesichtsausdruck über die immer wieder auftretende Unsicherheit bei nächtlichen Fahrgästen, ob sie vorne oder hinten einsteigen sollen. Hinten. Wie fast alle. Ich drehe mich zur Begrüßung um, schenke ihr ein charmantes Lächeln. Sie ist jünger als ich und ich finde sie ziemlich hübsch. Das passiert mir allerdings öfter. Hat wahrscheinlich hormonelle Gründe.

Ihre Kleidung ist sauber, schlägt keine Falten, passt sich ihrem Körper perfekt an, aber ihre zerzausten Haare wirken unordentlich, unpassend. Als sie mir ihre Adresse in Kreuzberg nennt, hebt sie ihren Kopf, und ihrem Gesicht ist anzusehen, dass sie geweint hat. Tränen und insbesondere Versuche, die Tränen zu verwischen, haben Spuren hinterlassen im Make-up. Es war sowieso zu viel, wenn man mich fragen würde. Aber ich bin Taxifahrer, mich fragt man nicht.

Die Tachonadel schnellt, nur unterbrochen durch 3 schnelle Schaltpausen auf knapp 60 hoch. Auf der Lichtenberger Brücke erwischt uns die Helligkeit der nächtlichen Stadt recht plötzlich. Im Rückspiegel sehe ich ihr Gesicht nur schemenhaft, sehe wie ihre Augen  zwischen der Scheibe und ihren dunklen Haaren unablässig Gegenstände am Fahrbahnrand fokussieren, ihnen folgen, sie verlieren und die nächsten anvisieren. Der Inbegriff der Traurigkeit. Auf makabere Weise dennoch schön.

„War ein langer Tag, oder?“

Manchmal frage ich mich, wieso ich in solchen Momenten das Gespräch suche. Egal, wer mich im Auto begleitet, ich werde aller Voraussicht nach immer der flüchtigste Kontakt dieses Tages bleiben. Die intimen Momente im Taxi sind rar gesät, und kaum etwas ist unbefriedigender als Smalltalk, wenn klar ist, dass er nicht ausreicht.

„Ja.“

Es braucht nur ein geringes Maß an Vorsicht, um zu wissen, dass man in solchen Situationen keine Fragen ohne Ausweichmöglichkeit stellt. Die Fahrten, bei denen ich Menschen nach ihrem Ärger befragt habe, sind zahllos. Doch feuchte Augen sind meist zu müde, sich zu verteidigen.
Die Zeit verfliegt nur so, und während ich mich beizeiten in ihrem Blick nach draußen verliere, hätte ich beinahe den Blitzer vergessen, der die Frankfurter Allee davor bewahrt, nachts als Autobahn wahrgenommen zu werden. An der Möllendorffstr. torkeln die ersten Betrunkenen über den Fußgängerüberweg und ich nehme den Typen zur Kenntnis, der beim Pinkeln an ein Verkehrsschild angelehnt, langsam vom Schlaf übermannt wird.

„Wissen sie, mein Freund hat gerade Schluss gemacht…“

schluchzt es leise aus dem Fond.

„…Entschuldigung.“

„Sie brauchen sich für gar nichts entschuldigen. Taschentuch?“

Die rhytmisch blinkenden Lichter, die Flugzeuge davon abhalten sollen, den Fernsehturm zu rammen, spiegeln sich in allerlei Fenstern, die wir nach und nach passieren. Bis zum U-Bahnhof Samariterstraße sind schon zwei Taschentücher verbraucht, und wenngleich ihr Trost noch einige Zeit entfernt liegt, weiss ich zumindest jetzt schon, dass ich sie nicht nachher unter dem Sitz finden werde. Tränen lügen nicht ist nicht nur ein beschissenes Lied, sondern zumindest in der Hinsicht richtig, als ich noch nie von weinenden Menschen zu betrügen oder verärgern versucht wurde.

„Wissen sie, da zieht der Arsch mit dieser Schlampe ab und schreibt mir ’ne SMS, dass es vorbei ist. Warum sind Männer immer so blöd?“

„Ach, wenn ich die Frage beantworten könnte, dann würde ich nicht dazugehören. Und befangen bin ich so oder so. Ich schätze, ich werde ihnen keine Hilfe sein können.“

Lächeln. Lächeln! Na also!

„Brauchen sie noch ein Taschentuch?“

„Ja, danke. Kannst auch du zu mir sagen!“

Am Frankfurter Tor quetsche ich mich noch als letzter bei der grünen Ampel durch und biege links in die Warschauer Straße ab. Am rechten Straßenrand im Halbdunkel rennt ein hilfloser Typ seiner Angebeteten hinterher, die hochnäsig von dannen zieht. Ich blicke kurz in den Innenspiegel und bemerke, dass die Straßenszene ihre Wirkung nicht verfehlt. Als wir die wartenden Betrunkenen vor der Dönerbude, den müden Obdachlosen an der Nachtapotheke, die Skater auf dem Grünstreifen und die von der Polizei angehaltenen Prolls mit ihrem getunten Auto hinter uns gelassen haben und auf den grünen Startschuss zur Überquerung der Oberbaumbrücke warten, ist die Laune auf der Rückbank bereits wesentlich besser. Im Wesentlichen dazu beigetragen habe ich nur durch gelegentliche Einstreuung der Wortfetzen „Ja“, „Das stimmt.“, „Überleg dir das nochmal!“ und „Morgen ist auch noch ein Tag. Soll sogar recht sonnig werden.“

Der Verkehr ist dichter geworden, die Taxen mit den Fahrgästen fürs Watergate stauen sich bereits bis auf die Brücke.

„Wirf einen Blick hier runter. So scheiße ist die Nacht nicht. Behalt lieber den Ausblick in Erinnerung. Versuchen! Vielleicht klappt’s ja!“

Und noch ein Lächeln…

Als wir knappe 2 Minuten später bei ihr vor der Haustüre stehen, sind die Tränen zumindest vorerst wieder trocken. Wir haben noch ein paar Sätze übers Taxifahren verloren, und zwangsläufig kommt sie, die Frage:

„Sag mal, ist es nicht mies, Samstag Nachts arbeiten zu müssen?“

Generalprobe, ob es was gebracht hat…

„Wer sagt denn, dass ich muss? Und wer von uns beiden hatte heute die miesere Nacht? Ich bin zufrieden, keine Sorge!“

Vorletztes Lächeln. Bingo!

„Also dann…“

„Ja, also dann… ähm… danke!“

„Nichts zu danken. Ich bin nur der Fahrer, schon vergessen?“

Und das Letzte… dann verschwindet sie unsteten Schrittes im Durchgang zu ihrem Haus. Ich sehe ihr nach, mache mir einen Moment lang Gedanken darüber, ob sie jetzt gleich weint, wenn sie bemerkt, dass sie den Schlüsselanhänger von ihm geschenkt bekommen hat, oder erst wenn sie in einer halben Stunde im Bett liegt.

Ich sehe mich um, die Straße ist menschenleer. Ich öffne das Beifahrerfenster mit einem Knopfdruck, und drehe den Schlüssel. Der Volume-Regler bewegt sich wie von selbst wieder in die richtige Position. Dieses Mal eine Prise HipHop. Warum nicht? Vielleicht ist das was ich heut Nacht gesehen hab, das was wirklich ist. Beweis mir, dass es nicht so ist! Ich hab die Grenze zwischen Traum und Realität diesmal nicht vermisst…

An der Ecke sitzt ein Typ in meinem Alter. Er sieht im Dunkel nur die hellelfenbeinfarbene Kiste, sieht das Dachschild aufleuchten als das Taxameter auf frei umschaltet, überlegt zu winken, lässt es aber sein. Er ist viel zu betrunken. Er denkt sich, dass er den Scheißjob ja auch nicht machen würde. Jetzt, wo es gerade so schön ist. All das sehe ich ihm an. Aber die Nacht ist zu dunkel, als dass er mein Lächeln sehen könnte.

Und ich beschließe ausnahmsweise, die letzte Fahrt noch nicht abzuschütteln…

Eierlikör

Ich selbst werde zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung wahrscheinlich gerade dabei sein, einen ordentlichen Rausch auszuschlafen und einen unschönen Kater auszubrüten.

Welcher Zeitpunkt könnte passender sein, um zurückzublicken auf eine Fahrt in den letzten Wochen, die eindrucksvoll gezeigt hat, welch kuriose Auswirkungen Drogen haben können.

Zum einen musste ich auf der Oberbaumbrücke recht scharf bremsen, da ein junger Mann die Straße in bedenklichem Zustand zu überqueren gedachte. Er hatte zwar vor, mich zunächst passieren zu lassen, aber seinen Bewegungen nach war das für mich zu riskant. Ein Ausfallschritt seinerseits, und er wäre mir direkt vor dem Auto gelandet, und so hielt ich und gab ihm ein Handzeichen, er möge gehen.

Er war reichlich irritiert, wirkte fast schon verärgert darüber, dass ich seiner Koordinationsfähigkeit ganz offensichtlich nicht traute, schwang sich dann aber dennoch mit seiner Eierlikör-Flasche über die Straße und erreichte den Gehsteig unbeschadet.

Das ist Nachts in Berlin keine seltene Geschichte. Man tut als Autofahrer wirklich gut daran, mit wachsamem Blick durch die City zu cruisen. Dann ist das halb so wild, und man erlangt mit der Zeit eine erstaunliche Mildtätigkeit gegenüber Drogenopfern und Verkehrssündern aller Art. Sehr hilfreich bei dem Job.

Was die Fahrt aber so absurd machte, war die Tatsache, dass mein Fahrgast – ein junger Mann, den ich am Matrix aufgegabelt habe – mit der Geschichte gar nicht klar kam. Zunächst wirkte auch er eher verärgert (allerdings über den Typen, der da so frech auf der Straße rumsteht), dann aber hat sich seine Laune schlagartig verbessert.

Die Tatsache nämlich, dass der Kerl Eierlikör dabei hatte, hat ihm sehr zu schaffen gemacht. Minutenlang hat er sich kaputt gelacht, dass es tatsächlich Leute – und dann auch noch unter 60 – gibt, die sich tatsächlich mit Eierlikör betrinken. Er kam überhaupt nicht mehr klar, und bis zum Ende der Strecke (war ’ne ganz ordentliche Tour) gab es kein größeres Thema mehr als dieses. Selbst als ich eine Anekdote über andere Betrunkene erzählt habe, gelang es ihm nicht, am Ende auf den Satz zu verzichten:

„Und dann ist er wohl heim und hat sich (*prust*) ne Flasche Eierlikör, Eierlikör!, geschnappt. Haha…“

Schon interessant, was einem plötzlich witzig vorkommen kann…

Todes-Deutscher

„Du sein eine Todes-Deutscher?“

So etwas kann herauskommen, wenn man sich in gefühlt 4 Sprachen unterhält. Ich selbst bin nach wie vor auf Englisch und Deutsch beschränkt, aber meine etwas überdrehte letzte Kundin plappert munter los. In Deutsch, Englisch, irgendetwas, das ich als Spanisch bezeichnen würde, und nicht zuletzt in ihrer Heimatsprache: Dänisch.

Dazu kam eine klassische Verplantheit, die sie aber ohne Drogen, lediglich mit „Limo“ erlangt haben will. Den Namen ihres Hotels weiss sie nicht mehr, aber sie kann mir ganz konkret eine Straßenkreuzung nennen. Na gut.

Das Gespräch war nervenaufreibend, weil es schwierig war, aber selten habe ich morgens um 6 Uhr eine derart gut gelaunte Person an Bord gehabt. Ob sie mit Karte zahlen kann? Leider nicht… na gut, dann an eine Bank! Von Sash noch vom Briefmarkenautomaten vor der Türe ins innere der Postbank gelotst, kam sie nach zwei Minuten freudestrahlen wieder heraus und kommentierte die Tatsache, dass sie mit einer Visa-Karte Geld abheben konnte, mit dem naheliegendsten aller Sätze:

„Ich liebe Berlin!“

Und bei der Atmosphäre ist auch klar, dass die Frage nach dem Todesdeutschen keineswegs eine nach einer etwaigen SS-Vergangenheit meinerseits war (Hey, ich sehe morgens um 6 Uhr manchmal ziemlich alt aus 😉 ), sondern auf meine Herkunft an sich bezogen:

„Where du bist genau Berlin von gewohnt leben hier?“

hat sie in etwa gefragt. Ich habe geantwortet, dass ich eigentlich aus Stuttgart komme, und daraufhin fragte sie eben, ob ich „Todes-Deutscher“ sei. Kurz darauf hat sie ihren Fehler bereits erkannt und herzhaft lachen müssen, sie hätte „Totale“ gemeint. Ich habe sie beruhigen können, dass ich mir das schon beinahe gedacht habe.

Naja, selten so viel gelacht, wie in den paar Minuten. Weisheiten, die ich unbedingt allen mit auf den Weg geben muss:

„It is den richtig, wenn egal Arbeiten ist nur du bist glücklich!“

Wie wahr.

Die Leute haben Probleme…

„Hey Taxi!“

kreischte ein Mädel und hatte die Hand schon an meiner Türe. Im Matrix war schon so gut wie Schluss, und nach Sonnenaufgang erweckte der ohnehin meist trostlose Anblick des Warschauer Platzes geradezu Mitleid. Ein paar einzelne Gestalten standen herum und redeten, nicht einmal mehr Musik hat die Situation verschönert. Ein Anblick wie wenn man morgens nach einer WG-Party mit Kopfweh in die Küche geht und feststellt, dass man festes Schuhwerk benötigt, um zur Kaffeemaschine zu kommen.

Es gab sowieso nur eine geringe Chance, überhaupt noch jemanden zu finden, der ein Taxi braucht, da kommt einem solch offensives Vorgehen wie das der o.g. Dame doch entgegen.

Die anderen Mitglieder des kleinen und nicht sehr feinen Kreises jedoch machten keine Anstalten, ihr zu folgen, weswegen sie zurück ging.

„Na dann halt nicht!“

dachte ich. Im Folgenden vernahm ich unschöne Ausdrücke seitens meiner potenziellen Kundin, die sich jedoch an die männlichen Anwesenden außerhalb des Autos richtete. Spätestens als sie dem einen lautstark erklärte, dass sie definitiv viel hübscher als die andere sei, nur ein bisschen dicker (was wahrscheinlich zur Hälfte dem Makeup geschuldet war), habe ich mir gewünscht, der Kelch ginge an mir vorrüber.

2 Minuten später stieg sie mit einer Freundin ein. Nicht ohne sich davor lautstark zu unterhalten, wer jetzt als erster einsteigt. Einblick in Sashs Gedankenwelt:

„Puh, ruhig bleiben und durchatmen. Du machst das schon und im Zweifelsfall ist sie hübscher. In 10 Minuten ist alles vorbei…“

Ich wartete einen Tick zu lange mit meiner Begrüßung, da schrie man mir ins Ohr:

„So ein Scheißtag! Isch hab mein Freund totgeliebt (mit überschlagender Stimme nochmal lustiger!) und der haut jetzt mit so ner Schlampe ab! Ey scheiße Alter! Verstehst du?“

„Äh ja… klingt nicht wirklich gut. Wo darf es denn hingehen?“

„Isch, wir, äh… keine Ahnung. Wo wollen wir hin?“

Naja, man muss ja nicht alles wissen. Ich hab sicherheitshalber die Uhr gar nicht angemacht. Das wird böse enden.

„Ey, naja, wir fahren Warschauer Straße!“

„Also mal ganz im Ernst. Da hinten ist der Eingang zur U-Bahn. Ich fahr gerne einmal drumrum, aber das is‘ vielleicht ’n bisschen teuer für den Spaß.“

„Was?“

„Ey, der hat gesagt, die U-Bahn ist da hinten!“

„Ey, aber isch kann nisch aussteigen.“

„Der sieht des nicht mehr, der is‘ schon ums Eck gegangen!“

„Ey escht? Scheiße, isch sterbe, wenn der sieht, dass wir gar nicht Taxi sind.“

„Ey ok, wir gehn U-Bahn. T’schuldigung!“

Ich freue mich immer über Kundschaft, aber das ein oder andere Mal tut es nicht sonderlich weh, wenn Fahrgäste es sich anders überlegen…

Und was ich stattdessen bekommen habe, könnt ihr morgen früh lesen.

Unübliche Wünsche

„Fahr mal hinter Polizei her!“

Das kannte ich bisher auch nicht. Ich hab das Spielchen auch nicht wirklich lange mitmachen müssen. Kurz nach dem Start erhielt ich eine Zieladresse, die in die entgegengesetzte Richtung lag. Aber was versuchen Fahrgäste nicht alles, wenn die beste Freundin eben zur Identitätsfeststellung mit aufs Revier genommen werden?

Die junge Dame hatte definitiv nicht den besten Abend erwischt. Zwei „Freundinnen“ ihrerseits haben sich offenbar vor dem Matrix verkloppt, und zumindest eine der beiden wurde von den Cops kassiert.

Aus irgendwelchen nicht näher bekannten Gründen musste sie jetzt aber zu just dieser Freundin nach Hause, um auf sie zu warten oder so. Nicht nur, dass sie unterwegs erzählt hat, sie müsse jetzt eben versuchen, die Tür bei der betreffenden Person zu Hause „öffnen“ (wozu sie sich schon „Jungs bestellt“ hat), nein die Tour war auch auf andere Art und Weise witzig. Sie hat den Polizei-Notruf (!) angerufen, um ihrer Freundin die Nachricht zukommen zu lassen, dass sie nun bei ihr zu Hause ist. Mit besonders denkwürdigen Möglichkeiten, Wedekindstraße auszusprechen:

„In Weddiningstraße oder so!“

Warum fahrt ihr Kollegen alle nicht das Matrix an? Das ist echt witzig 😀

Ab in die Verlängerung!

Beim Testspiel der deutschen Nationalmannschaft vorgestern war es nicht notwendig, bei mir im Taxi kurz darauf dagegen umso mehr. Der Umsatz kränkelte trotz der Tatsache, dass ich nach der ersten Tour vom Bahnhof gleich 3 Winker hatte. Da stand ich also nun wieder und vertrieb mir die Zeit mit oberflächlichem Kollegenplausch.

Irgendwann traten dann – was ja glücklicherweise trotz Tageszeit, der Wahl der Halte und dem Fabrikat meines Autos unvermeidlich zu sein scheint – Kunden an mich heran.

Die Anbahnung eines Geschäftsverhältnisses beim Taxifahren ist ja mitunter sehr verschieden. Entgegen der Bestimmungen kommt es zum Beispiel durchaus mal vor, dass man fragt, ob der ziellos herumirrende Mensch am Stand ein Taxi brauche. Andere schmeißen sich ins Auto und bringen ihren Fahrtwunsch bestimmt vor. Wieder andere – so auch mein Fahrgast jetzt – wagen sich erstaunlich forsch ans Auto heran, und werden vorab von einem kurzen Zögern übermannt, dass ihnen die Beschreibung des Fahrtziels abringt.

„Bahnhof Friedrichstraße?“

hiess es in diesem Fall und ich signalisierte mein Einverständnis. Vom Ostbahnhof aus ist das eine gar nicht so schlechte Tour. Nichts, wofür man gerne länger als 45 Minuten warten möchte, aber bei Pi mal Daumen 12 € Umsatz, bzw. 5 € Eigenverdienst ist man sicher nicht beleidigt als Fahrer. Eine Durchschnittstour wie aus dem Bilderbuch.

Ich bin mit den insgesamt 2 Fahrgästen losgefahren, und wir haben uns eigentlich nicht groß unterhalten. Ich habe sie kurz gefragt, weswegen sie ein Taxi nehmen (immerhin fahren mehrere S-Bahnen die Strecke auch), aber außer ein bisschen Kauderwelsch in gebrochenem Deutsch über späte Bahnen kann ich auch nicht vermelden. Sie müssten noch weiter, aber von hier dauert das, bla keks, was man als Berliner Taxifahrer seit Beginn des S-Bahn-Ausfalls 2009 schon kennt.

Alles war soweit super, aber irgendwann meinte der ältere der beiden:

„Sorry, was würden es kosten, wenn sie uns fahren bis Wannsee?“

„Ich denke, so um die 30 €.“

hab ich verkündet. Er nannte mir eine Adresse und signalisierte seine Zustimmung, dass ich da hinfahren sollte. Na klasse! Schicht gerettet! Ich hab dann an den folgenden Ampeln das Ziel ins Navi eingegeben und festgestellt, dass es eher knapp wird. Also hab ich gleich gesagt, dass ich immer noch die Chance hätte, sie zur Friedrichstraße zu bringen, sie es sich also nochmal überlegen könnten, aber es wären wohl eher irgendwas um die 35 €.

Und dank meiner Offenheit haben sie es akzeptiert und sich ohne zu murren für 36,40 € bis ans Ziel bringen lassen. Nichts weltbewegendes, nichts Aufsehen erregendes. Aber in dem Moment sehr schön. Ganz ehrlich!

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Noch nicht ganz…

Unter der Woche zieht es sich manchmal ein bisschen mit dem Arbeiten. Da kommt der „obligatorische“ Hunni nicht zwingend binnen 7 Stunden in die Kasse, manchmal erst nach 10, manchmal gar nicht. Ganz so schlimm lief es eigentlich nicht, als mein Kollege und ich uns am Matrix zufällig trafen.

Er war 8 Stunden unterwegs, ich 7. Er war trotzdem nicht sonderlich willig, noch ewig zu fahren und meinte:

„Die Tour noch, dann hab ich – hoffentlich – den Hunderter drin, dann fahr ich heim! Zum Generator würde mir reichen!“

Ich meinte auch:

„Ja, das kommt hin. Werd ich wohl auch so machen.“

10 Minuten später angelte ein Fahrgast mich weit hinten aus der Reihe und im Losfahren hörte ich meinen Kollegen noch sagen:

„Na dann hat’s ja noch geklappt. Schönen Feierabend!“

„Na, wart’s ab!“

rief ich hinterher.

3 Minuten später stand ich dann ein paar Wagen hinter ihm wieder am Matrix. Er hatte schon so ein süffisantes Grinsen im Gesicht, als zu ihm lief. Tja, er hat dann doch früher mit dem Hunni in der Kasse Feierabend machen können. Mein Fahrgast war nämlich ein ziemlich verstrahlter, wenn auch angeblich drogenfreier Feierwütiger, der sich rund um den Bahnhof völlig verlaufen hatte – er hatte mich ein paar Minuten vorher bereits angesprochen – und nun einfach entnervt war, und wollte, dass ich ihn zum Magnet fahre. Und das ist selbst für Kurzstreckenverhältnisse ein Witz.

Nach einer Kurzstrecke gefragt hat er sogar noch, ich hab ihm dann jedoch gesagt:

„Nee sorry, vom Stand aus nicht! Aber glaub mir: Das wird nicht viel teurer!“

Und so hab ich ihn mit 4,20 € auf der Uhr entlassen, wobei er sich wahrscheinlich noch monatelang selbst geisseln wird ob der Verstrahltheit, für den Weg ein Taxi zu nehmen. Naja, eigentlich hat er es ebenso wie ich mit Humor genommen…

Nachtrag (mit neidgetränkten Pixeln):

Die letzte Tour des Kollegen war – so hat er mir inzwischen berichtet – eine Fahrt zum Berghain. Wie erwartet war dort zu, also ging es zum Mac am Ostbahnhof was futtern. Bei laufender Uhr. Dann ging es nach Hause, und das war in diesem Fall Potsdam! 65 € hat der Kollege noch gemacht, die Sau 😉