Volltreffer-Premiere

Ich stand noch gar nicht so lange am Bahnhof Friedrichsfelde-Ost und schon war da Kundschaft. Tada!

„Einmal in die Marzahner Promenade 26, bitte.“

Wow. Das erste Mal in acht Jahren Taxifahren, dass jemand direkt zu meiner eigenen Adresse wollte! \o/

Gut, das mag bei den Kollegen, die in kleineren Häusern leben, noch etwas länger dauern – aber wenn ich richtig rechne, bringen wir es bei unserem Hausaufgang immerhin auf 17 Parteien; und ich bin ja auch schon zu anderen Adressen in Berlin zweimal gefahren (Ja, nein, Hotels und Clubs meine ich jetzt nicht! 😉 )

Aber gut, das zeigt einem dann nochmal nebenbei, wie groß Berlin ist.

Naja, noch spannender war eigentlich, dass es dann nicht einmal Nachbarn waren, sondern nur deren Besucher. Oder Besucher meiner besseren Hälfte, aber ich schätze, davon wüsste ich. Für einen kurzen Moment hatte ich mir überlegt, sie zu fragen, ob ich als Extra-Service noch die Haustür aufschließen soll, vielleicht noch mit einer lustigen Geschichte wie, dass wir Taxifahrer alle Generalschlüssel hätten oder so, aber das schien mir dann etwas zu creepy. Bei einer lustigeren oder betrunkeneren Truppe hätte ich aber schwach werden können. 😀

Für mich ist die Sache mit den Zieladressen in der Schicht allerdings auch noch unheimlich geworden:

Ich hab heute Abend noch eine Lesertour, die Adressen hab ich schon. Nun hatte ich durchaus vor, die Startadresse noch einmal genauer abzuchecken, damit ich mich nicht dann, wenn’s eilig wird, verfahre oder bei einer Nummer lande, an die man nur von der Rückseite aus rankommt. Hätte ich natürlich online gemacht, aber jetzt hab ich heute nacht eine weitere Fahrt bekommen, die von mir vor der Haustüre quasi bis zu besagter Adresse kurz vor Mitte geführt hat. Ja, auch hier: Exakt die richtige Hausnummer. 0.0

Bin ich also immerhin gewappnet für die nächste Nacht. 🙂

Ach ja: So toll die Tour vor die eigene Tür auch war: Viel besser ist es natürlich, wenn die Hausnummer zwar knapp verfehlt wird, es dafür aber zum Feierabend passt. DAS war heute Nacht nicht so. Ich bin zwar leicht erkältet, aber 23 Uhr wäre als Feierabend – in einer sauguten Schicht noch dazu – echt inakzeptabel gewesen.

Der Miesmacher

Von der Sorte hatte ich lange keinen mehr: Einen Miesmacher vom Dienst. Und zwar sowas von!

Ein bisschen Einleitungsgeplänkel darüber, wo ich herkommen würde, was ich so machen würde, etc. pp. Soweit freut mich das, ich erzähle ja gerne aus meinem Leben, das habt Ihr vielleicht schon bemerkt.

„Und dann machste so’n Scheiß wie Taxifahren?“

Danach kann durchaus noch viel gutes kommen, aber alleine die Tatsache, dass er völlig überhören wollte, dass ich nebenher auch noch schreibe, war eine Aussicht auf das, was noch kommen sollte. Ohne dass er am Ende überhaupt in Erfahrung gebracht hatte, was ich verdiene, schwärmte er mir mitleidig vor, dass ich doch „bei Daimler am Band“ meine 5.000 € im Monat haben könnte und dass Taxifahren ja nun wirklich nix sei.

Wirklich? Es gibt da draußen Berufe, die mir nach nur ein paar Jahren mehr Geld bringen als Taxifahren?

Warum nur hat mir das nie jemand erzählt?

-.-

Ja, es ist eine komische Sache: Ich mag meinen Beruf, obwohl ich weiß, dass er (teils gravierende) Nachteile hat. Ich verstehe auch sehr gut, dass diese Nachteile – also z.B. die Bezahlung – für andere nicht hinnehmbar wären. Aber hey, deswegen müssen ja eben nicht diese Leute diesen Job machen, sondern ich bringe sie heim. Stellt Euch mal den Stammtisch nach der Daimler-Spätschicht vor, wenn die niemanden finden, der sie danach für einen Stundenlohn unter 45 € brutto heimbringt. In der Welt wollen die auch nicht leben!

Und ich will halt im Gegenzug keinen 9-to-5-Job. Das heißt nicht, dass die schlechter wären, aber vielleicht sind die halt was für andere Leute. Natürlich ist bei mir das Geld manchmal knapp und natürlich ärgere ich mich manchmal darüber. Ja, natürlich hab sogar ich schon darüber nachgedacht, ob es mir mit einem anderen Job nicht besser gehen würde. Aber wer hat das nicht? Mal abgesehen davon, dass ich ja nicht einmal mit mieser Bezahlung alleine bin: Was ist denn mit Überstunden zum Beispiel? Soll ich jetzt wirklich jedem Fahrgast, der mir völlig fertig ins Auto steigt, erzählen, dass ich eine Bude anzünden würde, die mich zu Überstunden zwingt? Oder wie sehr ich sie bedauere, dass sie wirklich eine feste Arbeitszeit haben, wegen der sie jetzt das Taxi zum Büro zahlen müssen und ich mir so einen Scheiß ja nie ans Bein nageln lassen würde?

Dass Taxifahren kein Job für alle Menschen ist, ist doch offensichtlich. Aber wie kommt man bitte auf die Idee, deswegen wäre jeder andere besser? Und mal im Ernst: „Bei Daimler am Band“? Gutes Geld, schon klar. Aber sucht das mal unter den Berufswünschen bei Kindern!

Nix gegen eine interessante Debatte um soziale und psychologische Bedingungen in unterschiedlichen Berufsfeldern, immer her damit! So gerne ich die Vorzüge meines Jobs verteidige, so wenig will ich ihn als alleinig beste Wahl darstellen. Aber dieses billige „Ich hab zwar keine Ahnung, wer Du bist, aber ich weiß, was besser für Dich wäre!“ kann mir dann doch gerne gestohlen bleiben.

Ich hab den Typen mich bemitleiden lassen. So ist das halt beim Taxifahren: Da verdient man sich seinen Bonus eben damit, mal eben zehn Minuten einen Idioten vor sich hinbrabbeln zu lassen. Anstatt wie anderswo abzuwarten, bis die Stechuhr 3,22 Stunden später erlösend klickt. Ich hab ihn entlassen mit dem Hinweis darauf, dass ich jetzt einfach spontan Feierabend machen werde. Weil ich gerade eher Bock auf ein paar Bier hätte. Da hat er mich fragend angesehen und ich hab gesagt:

„Ja, kann ich natürlich nicht immer machen. Aber mit der Tour hab ich mein Geld für heute zusammen. Und für 6 Stunden ist das schon ganz ok. Am Monatsende lass ich mir dann für morgen einen Tag Urlaub eintragen, das passt schon.“

Manche wollen’s ja nicht anders.

Tatsächlich hab ich auf dem Heimweg noch Winker gehabt, den Umsatz mit ein paar netten Mädels, die mich total cool fanden, einfach nochmal um ein paar Euro erhöht. Ich nehme an, das mit dem Urlaubstag fällt auch flach, denn anstatt Bier zu trinken, blogge ich nun aus Lust und Laune ein paar Worte über einen Typen runter, der an einem Samstagabend nix besseres zu tun hatte, als mir mal zu erklären, wie toll ich es doch hätte haben können. Wie sehr ich dabei leide, habt Ihr sicher alle bemerkt. 😉

Kleines Lebenszeichen

So, da bin ich wieder!

Abgesehen von fehlenden Taxigeschichten war ich dieses Wochenende vor allem weg vom Internet. Bzw. – und das muss ich schon der Glaubwürdigkeit wegen genauer sagen – ich hatte keine Zeit, mich alleine in Ruhe und schreibenderweise im Internet rumzutreiben. Dafür gab’s Bier, es war also nicht alles schlecht. 😉

Naja, für betreutes Bloggen bin ich defintiv noch ein paar Jährchen zu jung, die Pause war also unausweichlich. Ab heute nach dem Aufstehen ist dann aber sowohl wieder arbeiten als auch wieder Zeit für Blog, Kommentare und all das angesagt. Und ich freu mich drauf.

Also wie so oft: Sollte es Gerüchte über mein Ableben gegeben haben: Sie waren verfrüht! Ich wünsche all Euch Lesern und Kommentatoren einen schönen Donnerstag, ich selbst bin ab heute Abend wieder auf der Piste und obwohl ich noch nicht weiß, was sich während der ersten Septemberschicht so ergeben wird: Ich werde schon aus Prinzip morgen früh was bloggen. Ich kann ja auch nicht ohne (Siehe diesen Text hier).

Bis dann!

Sash

Der normale Stress

Eigentlich lasse ich mich ja aus Prinzip nicht stressen. Deswegen mache ich diesen Job ja. Ich muss nicht mehr Straßenbahnen hinterherrennen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, ich bringe die feiernden Leute gemütlich nach Hause, während sie ohnehin in einer anderen Dimension schweben und die Straßen sind frei.

Aber:

Das ist natürlich auch nur der Optimalzustand. Irgendeinen Stress gibt es immer mal. Hier Hektik, dort ein aufdringlicher anderer Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt auch manchmal Kundschaft mit Sonderwünschen oder Auswurfanstalten. Aber im Normalfall verteilt sich das alles auf zig Schichten.

Heute hatte ich so eine „Glückssträhne“, die ihresgleichen gesucht hat. Der eine Winker fischt mich an einer vielbefahrenen Kreuzung ab und hat es eilig, obwohl ich ihmzuliebe auf dem Fußgängerüberweg angehalten hatte und nun eine 270°-Drehung ohne die Gefährdung anderer zu praktizieren hatte. Die nächsten erwischten mich in einer einspurigen Straße ungefähr 10 Sekunden vor dem Ums-Eck-Schießen eines Feuerwehrlöschzuges und gaben als Ziel allen ernstes irgendeine „Da-wo-Onkel-Paul-mal-besoffen-hingeschifft-hat-Straße“ an. Auf meine zackige Nachfrage sagten sie dann, dass das direkt an der Ecke der „Da-hat-sich-im-Jahr-1853-mal-wer-laut-geäußert-Allee“ liegt.

„OK, dann so: Welcher Stadtteil denn überhaupt?“

„Ach so. Na hier ums Eck!“

-.-

Die dritten hatten es ganz eilig und mussten zu genau dem Flughafen, der mir ein legales Wenden erst nach anderthalb Kilometern erlaubt hätte. Bei Feierabendverkehr mitten in der Nacht. Was halt so passiert.

Natürlich: Hat alles geklappt, haben wir hingekriegt, inklusive kürzestem Weg, Freundlichkeit und nur marginaler Beeinträchtigung der Berliner Rettungsdienste. Muss ja. Irgendwie.

An dieser Stelle einmal mehr ein herzliches Danke an all die Kollegen, die den Job tagsüber machen und das sicher zehnmal öfter haben als ich. Ich will nicht tauschen, ehrlich nicht!

Montag, Hitze, Brille, Werkstatt!

Mein Montag, also der Donnerstag, war nicht so wirklich mein Tag. Ich fühlte mich nur so halbwegs arbeitstauglich und als dann auch noch Cheffe anrief, dass das Auto in der Werkstatt sei, war das für mich gelaufen.

Und wurde es ja so ein klitzekleines bisschen scheißheiß. Das alleine hätte mir den Freitag nicht unbedingt versaut, aber in Kombination mit einem Typen aus Calau, der mich dreimal während meines Schlafes anrief und am Ende doch falsch verbunden war und der Inaussichtstellung meines Chefs, dass ich für die kommenden drei Schichten drei unterschiedliche Autos immer je an der Firma abholen müsse, weil die 2223 leider nicht fertig würde … sagen wir es so: Ich habe mit einem längeren Urlaub geliebäugelt.

Naja, wo ich aber nun schon früh wach war, konnte ich wenigstens gleich meine Brille abholen. Die war nämlich erstaunlich früh fertig geworden und je früher desto besser, sagt man ja. Das ging eigentlich auch recht flott und problemlos, aber kaum, dass ich sie mir zu Hause zweimal testweise aufgezogen hatte, rief Cheffe schon wieder an und meinte, dass mein liebstes Auto doch noch fertig geworden wäre und ich es selbstverständlich nutzen dürfe. Kleiner Haken: Ich musste es binnen 40 Minuten zur Werkstatt schaffen.

Und obwohl ich mich zu diesem Punkt zunächst noch vollständig bekleiden musste, hab ich das am Ende noch gepackt. Inklusive einem Kilometer Laufschritt bei irgendwas um die 32°C.

Nur, dass ich danach nochmal würde duschen müssen, lag auf der Hand.

Aber ja, das Fazit ist: Die 2223 schnurrt wieder, inklusive neuer Bremsen und kompletter Durchsicht – und ich konnte schon mal ein bisschen üben, mit der Brille zu fahren. Und da ich Euch diesbezüglich (so ihr mir nicht eh auf Twitter folgt) ein Foto schulde, sei das hier auch gleich mit eingefügt:

Glasdackel, Quelle: Ozie

Glasdackel, Quelle: Ozie

Ich hab das gute Stück heute gleich mal ein paar Stunden getragen. Müsste ich natürlich nicht, noch gilt mein P-Schein ja bis Oktober, aber als kompletter Neuzugang im Hinterglasland denke ich, dass ein wenig Eingewöhnung vor der Tragepflicht keine dumme Idee ist. Schon alleine, weil ich damit ja noch einen Sehtest machen muss.

Was ich nach ein paar Stunden feststelle: Immerhin keine Kopfschmerzen! Was mich, obwohl ich nach dem Ablegen einen deutlichen Kontrast merke, vermuten lässt, dass es wirklich nicht sooo eine gravierende Augen-Verschlechterung war. Tatsächlich habe ich während der halben Schicht, in der ich die Brille (Sie braucht noch einen Namen!) zum Fahren (fast) immer aufhatte, feststgestellt: Das Bisschen Plus an Sehschärfe macht eindeutig noch nicht das gefühlt eingeschränkte Sichtfeld und die ständige Wahrnehmung des Rahmens an dessen Rand wett. Ich fühle mich derzeit im Gegensatz zum eigentlichen Nutzen ziemlich eingeschränkt und viel unsicherer. Aber ich weiß von allen Brillenträgern, dass das Gehirn den Rahmen ach etwas Eingewöhnung recht schnell ausblenden kann, durch die Sache muss ich jetzt halt durch, es ist nur komisch, zunächst sozusagen eine Verschlechterung zu bemerken.

Ist also alles ein wenig spannend und durcheinander gerade. Das sieht man im Übrigen auch an meinem Bart. Der ist gerade auch in so einer Art Selbstfindungsphase, also nicht wundern! 🙂

„Dann fahren wir einfach zu Dir …“

Das war dann die letzte Stufe:

„Ach komm, dann fahren wir einfach zu Dir!“

Aber da war die Fahrt schon gelaufen. Und zwar sowas von.

Angefangen hatte sie eigentlich super. Die Frau trat am Ostbahnhof an mein Taxi und fragte höflich, ob ich sie nach Hellersdorf bringen könnte, Cottbusser Straße. Na und ob! Als ich irgendwann fragte, welche Nummer genau, antwortete sie freundlich, dass sie mir das gerne zeigen würde. Ich hatte hunderte Touren mit ähnlichem Wortlaut, wirklich kein Grund zur Sorge. Dann aber schlug der Zeiger fast schon schlagartig um auf „Das endet mit der Polizei“:

„Wissense, wir halten besser vorher noch bei Wolfgang. Das ist mein Freund. Ich werde sie sicher nicht komplett bezahlen können.“

Soweit geht das ja fast noch. Aber meine Alarmglocke war angeschaltet:

„Wo wohnt Ihr Freund Wolfgang denn?“

„Na, direkt bei mir ums Eck. Hier, Cottbusser. Oh nein, warten Sie, der ist ja umgezogen. Ich bin heute aber auch durcheinander. Ich war ja vorher mit ihm unterwegs, Wissen Sie, ich bin ja Lehrerin …“

Zu dem Zeitpunkt standen ungefähr 22 € auf der Uhr und es war klar, dass ich die nie kriegen würde. Also zumindest nicht heute und nicht von ihr oder Wolfgang. Oder Hartmut, die Namen hatte sie jetzt auch durcheinander gebracht, heute war aber auch so ein stressiger Tag! Da mir klar war, dass das ohnehin zeitaufwändig wird und es bei nicht erhaltenem Geld völlig egal ist, wie hoch der Betrag ist, hab ich sie noch bis zur Cottbusser Straße gebracht. Natürlich ohne Ergebnis:

„Wissen Sie, das sieht inzwischen alles so anders aus, ich erkenne die Häuser gar nicht mehr wieder. Die bauen hier aber auch so viel neu gerade!“

Weder Wolfgang, noch Hartmut, noch der inzwischen neu in die Gang aufgenommene Sven winkten mich heran, also musste es nun dann endlich sein:

„Wissen Sie was: Das ist gar nicht schlimm. Aber sehen Sie, ich als Taxifahrer bin da jetzt leider etwas überfordert. Ich kann Sie jetzt ja nicht ohne irgendeinen Anhaltspunkt die ganze Zeit durch Hellersdorf fahren. Das wird teuer und es wird ja auch schon dunkel. Ich rufe jetzt mal die Kollegen von der Polizei an, die können sehr schnell rausfinden, wo sie hinmüssen.“

Erfreulicherweise gab es keine Gegenwehr. Puh.

Ich hab den Cops schnell geschildert, worum es geht: Orientierungslose Person, irgendwas um die 70 bis 80 Jahre, Standort, fertig. Und dann ging das Warten los. Und es dauerte. Unter anderem wohl auch, weil Ortskunde eben eine Spezialität von Taxifahrern und nicht von Polizeifunkern ist, die auch mal übersehen, dass es einen Unterschied zwischen Hellersdorfer Straße und Alter Hellersdorfer Straße gibt. Egal. Ich hatte nun also 25 Minuten lang die Bespaßung für eine demente Kundin zu liefern.

Sie war wie gesagt sehr ruhig. Aber wenn dann halt doch wieder mal 5 Minuten Wartezeit rum waren, schlug sie eben neue Ziele vor. Zum Sven, nach Hause, zu Wolfgang. Und am Ende halt auch zu mir:

„Ich penn dann auf der Couch im Wohnzimmer, ich bin morgen früh wieder weg.“

„Da müssen Sie was durcheinanderbringen. Ich habe keine Couch.“

„Ach sicher, im Wohnzimmer! Da hab ich doch letztes Jahr schon mal übernachtet. Ich auf der einen, Du auf der anderen!“

Es war also wirklich ernst.

Über den Punkt des Ärgerns war ich da aber schon lange weg. Ich fand es ehrlich gesagt sogar sehr faszinierend, mal zu sehen, wie das menschliche Gehirn mit einem Fehler wie Demenz umgehen kann. Binnen weniger als einer halben Stunde hatte die Kundin mich, den völlig fremden Taxifahrer, in ihre Story mit eingebunden. Eine Story, in der es völlig normal war, dass sie nicht wusste, wo sie wohnt oder dass ihr Schlüssel und Handy „geklaut“ worden waren. Sie fragte mich, ob denn mein „Kleiner“ jetzt die ganze Nacht alleine sei – und als ich antwortete, dass ich kein Kind hätte, winkte sie gleich ab und meinte:

„Ja sicher, das hat ja deine Ex-Frau mitgenommen.“

Und so traurig das auf Außenstehende eigentlich wirkt: Ich finde es fantastisch. Natürlich ist es schade, dass die gute Frau sich nicht mehr in der Welt zurechtfinden konnte, aber für sie selbst war das alles ok und sie hatte nur einen seltsamen Tag. Und ich war heute halt mal Sven oder Hartmut.

Als die Polizeibeamten dann eintrafen und mein Bedauern über die (inzwischen mehrfach veränderte, aber immer noch hochgradig illegale) Haltesituation beiseite wischten, spielten Sie zudem mein Spiel vollkommen mit: Nach der sehr kurzen und erfolgreichen Personalienaufnahme hat einer der beiden ihr dann freudig erzählt:

„Na, dann kommen Sie mal mit zu uns, Frau XY! Ab jetzt sind wir Ihr Taxi. Wir wissen, wo Sie hinmüssen. Die Polizei weiß eben alles oder kann es zumindest herausfinden. Außerdem haben wir sogar den neueren Opel!“

Grmpf. Auf der 2223 rumhacken wäre aber bei lässigen 122.000 km echt nicht nötig gewesen!

Nein, im Ernst: War geradezu vorbildlich. Das wichtigste und zeitraubendste hatten wir unter vier Augen davor schon geklärt:

„Was würden Sie denn jetzt bekommen?“

„30,90€. Aber das spielt in Anbetracht der Umstände keine Rolle.“

„Sie wissen aber, dass sie – auch gegenüber Angehörigen – das Recht hätten …“

„Ich weiß. Aber erstens hatte ich das schon mal und es ist nix passiert und zweitens geht es jetzt darum, dass die Dame nach Hause gebracht wird.“

„Also … Sie … verzichten …?“

„Ich verzichte. Sehen Sie zu, dass Sie sie gut heimbringen.“

Und wie bereits angedeutet: Das zuständige Pflegeheim war schnell ausfindig gemacht und nach einer freundlichen Verabschiedung von meiner „Kundin“ inklusive Handschlag stieg sie mit den Worten „Ach wissense, ich will ja eigentlich nur noch ins Bett!“ in den Streifenwagen.

War für mich eine Scheiß-Stunde. Abgesehen vom entgangenen Umsatz war’s einfach auch anstrengend. Man will ja nicht falsch reagieren, noch mehr Stress provozieren – und obwohl’s vielleicht keinen Unterschied gemacht hätte – auch nicht dreist lügen. Ich hab danach nochmal eine halbe Stunde Pause gemacht, auch ich brauche manchmal etwas Zeit, um so Dinge zu verdauen.

Wahrscheinlich hat sie mich schon vergessen. Oder sie erzählt Sven beim nächsten Besuch, dass die Polizisten echt nett waren, die er ihr rausgesucht hat, ich weiß es nicht. Und so doof das für mich auch gelaufen ist: Ich hoffe einfach, dass es am Ende wenigstens insofern was gebracht hat, als dass sie in ihrer Welt, die mir leider nur bedingt und kurzfristig offenstand, keinen schlechten Abend hatte und dass sie zur Stunde nicht schlecht träumt von schlimmen Taxifahrern. Mehr bleibt mir in meiner kleinen Rolle da wohl nicht übrig. 🙁

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Ich bremse auch für Pokémon!

Der Hype um das Spiel PokémonGo hinterlässt derzeit immer noch Spuren der Ungläubigkeit. Was ist daran jetzt so toll/neu/besonders? Und die andere Hälfte der Menschheit zockt.

Ich muss für meinen Teil ehrlich sein: Ich spiele das Spiel nicht. Dennoch hab ich weit mehr als Hass oder Mitleid übrig für die Spieler, denn ich finde die Idee eigentlich ziemlich geil. Für mich, mit meinem Jahrgang und meiner Peergroup, sind Pokémon nie interessant gewesen. Man hat es mitgekriegt, vielleicht auch mal belächelt wie die Tamagotchis, aber das war es auch schon. Für echten Hass hat es bei mir nie gereicht, wozu auch? Als ob meine Sozialisation mit Knight Rider, MacGyver und GTA irgendwie weniger peinlich verlaufen wäre!

Und ebenso wie ich heute sehr gerne GTA V zocke, finde ich nix komisches dabei, meine bessere Hälfte auch mal zu begleiten, wenn sie den Weg zur Post ausdehnt, um ein paar Pokébälle zu sammeln. Ich verstehe, dass das das Spiel war, auf das eine halbe Generation unbewusst gewartet hat.

Im Taxi hatte ich letzte Woche das erste unterwegs von der Kundschaft gefangene Pokémon. Und ich weiß auch, dass ich das Spiel gerade mit meinem Job echt rulen könnte. Nicht von ungefähr: Etliche Leser haben mir den Link zu heise.de geschickt, hinter dem der Artikel erklärt, dass für ein Taxi-Unternehmen aus Manchester der Hype um PokémonGo inzwischen zu einer ernstzunehmenden Einnahmequelle geworden ist, weil sie Stundenpreise zu Pokéstops und co. anbieten.

Ganz so einfach wäre das in Berlin  nicht machbar, es gibt schließlich die Tarifbindung und einen Stundenpreis gibt es innerorts eigentlich nur bei stehendem Auto. Andererseits muss man auch anmerken, dass wir hier mit der ziemlich einmaligen Wartezeitunterdrückung (bei jedem Halt des Taxis ist die erste Minute Wartezeit umsonst) durchaus auch einen gar nicht pokémonuntauglichen Tarif haben.

So viel dazu.

Darüber hinaus ist mir aufgefallen, dass wir Taxifahrer uns ja eigentlich selbst nur unwesentlich unterscheiden von all den Gamern:

Sich durch die ganze Stadt wuseln, um irgendwelche Monster aufzuspüren, die einem einen Bonus verpassen? Wer hat’s erfunden? (Nur echt mit gerolltem R und der Ricola-Melodie!)

Die Taxifahrer! 😀