Zu viel Spielraum bei der Leine

„U-Bahnhof Leinestraße bitte.“

„Kriegen wir hin.“

Natürlich. Was auch sonst? Ich fahr also los und komme mit dem Fahrgast ins Gespräch. Wir waren am Ostbahnhof gestartet und ich fuhr zielsicher den kürzesten Weg: Schillingbrücke, Adalbertstraße, Kottbusser …

Und während wir gerade herzhaft über Uber diskutierten, zog das Schild „U Schönleinstraße“ an uns vorbei, das ich in Gedanken anvisiert hatte.

„Sorry, ganz kurz: Hatten Sie Leinestraße gesagt? Also … Hermannstraße?“

„Ja, genau.“

Puh!

„Ich hatte irgendwie Schönleinstraße im Kopf.“

„Ach, wenn Sie falsch gefahren wären, hätte ich schon was gesagt.“

Glück im Unglück, dass der kürzeste Weg zu beiden exakt in die gleiche Richtung geht.

Äh …

Große Dinge passieren gerade nicht, obwohl ich brav arbeite. Die Kunden bleiben weitgehend farblos, Smalltalk ist so ziemlich der Tagesinhalt und mein Auto läuft auch einfach so, wie es soll. Da ist man dann höchstens überrascht von sehr sehr kleinen Kleinigkeiten, die aber für sich ja auch schon wieder Volltreffer sein können. So Momente, wo man mehr über Leute erfährt, als man erfahren wollte.

Ich nutze bei späten Fahrten gerne die Floskel „Dann hoffe ich mal, der Wecker klingelt nachher nicht um 6 Uhr!“, um das Gespräch am Laufen zu halten. So unterschiedlich die Antworten sind, so vorhersehbar:

„Nein, leider noch früher.“

„Leider schon.“

„Nein, aber um 8 Uhr.“

„Nee, bis 10 geht schon.“

„Ach was, ich kann ausschlafen!“

Und dann heute das:

„Nein! Wobei: Doch, witzigerweise eigentlich schon. Den hab ich mir mal so eingestellt, jetzt klingelt der immer um 6 Uhr. Ich erschrecke mich dann jedes Mal, merke dann aber, dass ich noch ein, zwei Stunden weiterschlafen kann.“

Bitte WAS? 😀

Und deshalb müssen Taxifahrer alle 5 Jahre zum Arbeitsmediziner

„Ach, auch mal wieder!“

So ungefähr war mein Gedankengang, als Cheffe mir vor einiger Zeit sagte, ich müsse dieses Jahr meinen P-Schein verlängern lassen. Ich will ehrlich sein: Keiner will das Teil sehen, ich selbst spiele auch lieber mit anderen Dingen und lass ihn deswegen im Geldbeutel, ich hätte das durchaus vergessen können.

Also hab ich alle nötigen Termine veranlasst und bin letzte Woche bei der Arbeitsmedizinerin meiner Wahl aufgeschlagen. Ich hab bewusst nicht nach einer der unter Kollegen wohlbekannten Praxen gesucht, bei denen die Tests, ähm, sagen wir: eher Wert auf den theoretischen Teil des Gutachtens legen. Dabei war der Tag alles andere als gut gelaufen, aber die allgmeinmedizinische Überprüfung meiner Fahrtauglichkeit hatte ich schnell hinter mir: Zweimal atmen, einmal nicht „Aua!“ sagen, nie versehentlich umfallen und auf dem Fragebogen bestätigen, dass ich Fragebögen verstehe. Urin in der richtigen Farbe abgeben und das „Bestanden!“-Dokument nicht  vor der Ärztin aufessen, das reicht eigentlich. Was nach inzwischen 25 Wachstunden aber nicht mehr so recht funktioniert hat, war das augenärztliche Gutachten, bzw. genauer gesagt: Die Sehschärfe, ich konnte mich einfach nicht mehr auf eine Richtung zum Hinsehen konzentrieren. Der Rest war gut wie immer, mit meinen 120% Sehvermögen war das ja bisher eher immer so ein Punkt zum Abhaken auf der Liste, kein wirklicher Test.

Also ein paar Tage später einen neuen Termin gemacht, das war dann heute. Ausgeschlafen, hingefahren, in die Röhre geguckt und nicht mehr aus dem In-die-Röhre-gucken rausgekommen. Ja, ich seh immer noch sehr gut, aber wenn man das mal mein linkes Auge alleine versuchen lässt, sieht’s leider etwas anders aus, da krieg ich die erforderlichen 80% nicht zusammen.

Jetzt, wo ich’s weiß, fällt’s mir auch auf. Aber dadurch, dass ich im Alltag selten (und schon gar nicht beim Arbeiten) ein Auge schließe, um mal zu gucken, ob eines nicht reicht, ist mir das nie aufgefallen.

Das ist jetzt zwar nicht unbedingt ein Grund zu überbordender Freude, aber ich hab einfach Nägel mit Köpfen gemacht, war beim Optiker, hab den dritten Sehtest binnen einer Woche gemacht und lasse mir zur Stunde eine Brille fürs Taxifahren zurechtdengeln. Ich hab so gesehen ja das große Glück, dass ich mit einer Kurzsichtigkeit auf einem Auge nun wirklich einen der am leichtesten auszugleichenden Mängel vorliegen hab, das ist am Ende eine leichte Verzögerung des Betriebsablaufs, nix wildes. Muss halt am Ende noch ein weiteres Mal zum Test.

Aber hey, ohne die nötige Untersuchung hätte ich das vermutlich noch eine ganze Weile nicht bemerkt! Man kann’s ja auch mal von der positiven Seite sehen. In meinem Fall also: Rechtes Auge.

Wenn die Brille in zwei Wochen fertig ist, gibt’s auch mal ein aktualisiertes Foto, damit ihr mich am Stand unter all den bärtigen Zwei-Meter-Taxifahrern noch finden könnt. 😉

Knappe Planung

Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein, was die Gebühr für nichtbare Zahlung in Berlin angeht. Ob sie auch für Kartenzahlung gelten muss, ob sie zu hoch oder unnötig ist, was auch immer. Trotz all der dazu anfallenden Diskussion hab ich aber bis gestern noch nie erlebt, dass jemand deswegen nicht Taxi fährt. Dass stattdessen Bargeld rausgekramt wird, ok. Dass die Leute sich ärgern, ok.

Aber dann stand sie gestern da und fragte, ob ich auch EC-Karten nehmen würde.

„Ja, klar.“

„Kostet das Gebühren?“

„Sind in Berlin immer noch die 1,50 €.“

„Hmm, ok, dann nicht. Sorry.“

Mich hätte jetzt eigentlich noch interessiert, ob der Restbetrag auf dem Konto auf 1,50 € Genauigkeit an den zu erwartenden Taxipreis reichte oder ob sie einfach prinzipiell Gegnerin der Gebühr war.

Was die Fahrt anging: Ich hätte sie gerne gemacht, hatte andererseits bereits 12* Sekunden später andere Kundschaft.

*nicht verifizierbare innergehirnliche Messung. 😉

Völlige Verplanung

Eine Sechsertruppe als Winker aufgabeln und mit ihnen eine 30€-Tour haben? Fuck, yeah! Aber wenn dann alle rumflippen, Festpreise erörtern wollen und bei der erstbesten Möglichkeit gleich mal das Taxameter ausschalten? Holy Fuck!

Um ehrlich zu sein: Abgesehen von der Fehlfahrt zu Beginn ist leidlich wenig passiert, wenn man mal blödes Gelaber von der Liste nimmt. Ich war zwar trotz der finanziellen Aussicht froh drum, sie doch nicht anschließend zu ihrem Hotelbesuch zum Club fahren zu dürfen/müssen, aber auch dankbar, die Tour gehabt zu haben. Nachtschichtstress, passiert halt auch mal.

Beim Bezahlen allerdings gingen sie ähnlich clever vor wie beim Versuch, meine Sympathie zu erwerben. Es fing an mit:

„Dann sind wir bei 31,10€.“

„Mach mal 35.“

„Oh, danke.“

„Hier sind schon mal sieben.“

Bei allem folgenden Hin und Her wurde ich gefragt, was noch fehlen würde, und ich hab versehentlich eine leicht zu meinen Gunsten ausfallende Zahl genannt. Es lag mir fern, jemanden zu bescheißen, aber am Ende hat mir das statt 1,90€ wesentlich eher berichtenswerte 6,90€ Trinkgeld gebracht.

Aber wenn selbst ich da nüchtern nicht mehr mitgekommen bin, wird es dem Jungesellenabschied von ein paar Touris sicher auch nix angehabt haben.

Sündenbock

Als ich nach dem Winken angehalten hatte, war ich mir nicht sicher, ob ich mir mit der Fahrt einen Gefallen getan hatte. Vier Jungs, allesamt Brecher meiner Größe und ziemlich laut unterwegs.

„Mach mal Kurzstrecke, Digger!“

Während einer gleich angefangen hat, mir zu beschreiben, wie genau ich fahren soll, meinte ein anderer:

„Ey, mein Bruder is‘ auch Taxifahrer, weisste, Digger?“

Damit war alles ok. Im Ernst. Die größte Sorge bei einem Rudel Betrunkener ist, dass sie irgendwie Ärger machen, wegen Bullshit. Leute aber, die von Bruder, Vater, Tante oder Großcousine wissen, wie der Job so ist, sind  fast automatisch immer lieb. Die sehen in uns halt nicht einfach irgendeinen potenziellen Abzocker am Steuer, wie manch andere in angespitztem Zustand.

Der junge Mann holte dennoch verbal bedrohlich aus, brachte dann aber eine 1A-Pointe:

„Aber weisste, Digger, wenn ich mir anschau, wie so manche Taxifahrer heizen … weisste, die so glauben, dass ihnen die Straße gehört … wenn ich sowas seh, Digger, dann … dann würde ich am liebsten zu meinem Bruder fahren und ihn schlagen!“

😀

Das Ende vom Lied waren zwei Euro Trinkgeld auf eine Kurzstrecke und gute Laune. Und der Bruder hat diese Nacht vermutlich auch nix abbekommen. 😉

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

80€ für Bullshit-Service

Ich hab heute Nacht im tiefsten, naja, wenigstens im tiefen Osten, ein paar Inder aufgegabelt. Sie waren auf Europareise, sehr nett, etwas schüchtern, hatten aber  vor allem das Problem, dass ihr Hotel keinen 24h-Service geboten hat. Folglich standen sie auf der Straße. Sehr ärgerlich natürlich.

Sie fragten mich nach einem nahen Hotel, aber mir ist keines eingefallen. Also zumindest keines, das auch wirklich ganz sicher noch nachts um 2 Uhr Überraschungsgäste aufnimmt. Sie sagten mir dann in sehr verständlichem Englisch, dass ihnen jemand das XY-Hotel empfohlen habe.

Fuck, yeah! An das hatte ich nicht gedacht, aber natürlich: Ein großes Hotel, nur eine Kurzstrecke entfernt und sicher ausgestattet mit Personal für die Nachtschicht. Ich hab also proaktiv eine Kurzstrecke reingedrückt, die beiden Jungs dorthin gefahren und ihnen dann trotzdem angeboten, noch kurz mit reinzukommen, einfach um sicherzugehen, dass das jetzt klappt. Notfalls hätte ich sie natürlich gerne noch weiter in die City gefahren.

Natürlich hatte der Typ am Tresen zu dieser Zeit nicht mit Kundschaft gerechnet, ich male mir da keine Rosa-Einhorn-Welt aus. Aber als wir eintraten, schlurfte er eher missmutig zum Tresen, woraufhin ich einfach mal einwarf, dass die beiden gestrandet seien und nun nach einer Bleibe für die Nacht suchen würden.

„Jaja.“

Besser als „nein“, keine Frage. Da ich eigentlich ja extrem unbeteiligt war, fragte ich ihn, ob das dann alles ok wäre, woraufhin er schlechtgelaunt erwiderte:

„Naja, ersma guckn, ob die auch genug Geld haben!“

Zweifelsohne ein richtiger Einwand, den ich auch verstehen kann, aber ist den ein nettes „Warten Sie mal, aber ich bin guter Dinge!“ wirklich zuviel verlangt?

„Doppelzimmer?“

„We, äh, we need a room for two.“

„Doppelzimmer.“

OK, deutsche Hauptstadt, ein großes Hotel (wenn auch etwas abseits vom Schuss) und kein Englisch? Ehrlich? Verdammte Scheiße, mir als Taxifahrer ist es manchmal peinlich, nicht spanisch oder französisch zu sprechen! Aber halten wir uns damit nicht auf, ein „Sorry“ hätte ja gereicht. Aber nix da. Anzug, Halbglatze und ein zackig gesprochenes „Achtzig Euro!“, mehr war nicht drin. Erst auf Nachfrage:

„Ätih“

„Ah, thank you. That’s all? Nothing cheaper?“

Und da hat er dann aus großen Augen verständnislos in die Runde geblickt.

„Nein! Das ist, das ist, äh fix!“

„Fixed price, ok, sorry man.“

Im Ernst: Völlig ok, dass ein Doppelzimmer in Berlin mitten in der Nacht 80 € kostet! Aber kann man das vielleicht bitte in freundlich kriegen? Noch dazu, wenn man ohnehin schon ein anderes Hotel für gar nix bezahlt?

Ohne das jetzt explizit auf dieses Hotel bezogen zu haben, hab ich meine Fahrgäste mit folgendem Satz verabschiedet:

„I wish you a good night and I’m sorry for your first experiences in Berlin!“

Was will man sonst auch sagen?