Kleiner Hinweis: Nicht direkt nach dem Frühstück lesen. Echt jetz‘, Junge!
„Na scheene Scheiße, was wird’n des jetz?“,
fragte der Kollege hinter mir eloquent, als sich die beiden Frauen zu meinem Taxi begaben. Ich mag derartige Verbalakrobatik nicht unbedingt, aber der Kollege hat mir die Frage im Großen und Ganzen durchaus vorweg genommen. Denn sagen wir es mal so: Betrunken sein ist ja das eine – aber wenn jemand schon ewig draußen saß und beim Aufstehen dreimal umkippt und danach zum Taxi läuft …
Aber ich hatte meinen netten Tag. Ich hatte noch anderthalb Stunden vor mir, es war eh mies gelaufen und wenn ich einer Betrunkenen noch kurz helfen könnte … sei’s drum. Kaum, dass die Spezialpatientin hinter mir saß und schwer stöhnend atmete, stieg auch ihre offenbar halbwegs nüchterne Freundin ein und entschuldigte sich, dass die andere „leider etwas arg angetrunken“ sei.
„Na, solang wir’s schaffen, soll’s mir egal sein …“
„Ach ja, das hoff‘ ich ja auch …“
Na, schöne Scheiße!
Noch dazu über 5 Kilometer Fahrtweg – und die junge Dame sah wirklich kein bisschen gut aus. Die Haare waren schweißverklebt, ihre Gesichtsfarbe wäre mit „reinweiß“ noch übertrieben farbenfroh umschrieben und zu guter Letzt begann sie unmittelbar nach Fahrtbeginn damit, ihren Kopf hin- und herzuwerfen.
„Ach, sie sind der erste Taxifahrer, der uns mitgenommen hat. Ich danke ihnen vielmals!“
Ja, warum wohl war ich der erste? Das war nicht mehr leicht angetrunken, das war heftig. Nach vielleicht fünfhundert Metern fing sie schon zu zappeln an und mit geschlossenem Mund „Mhhhmmmmm, mhhhmmmmm!“ zu rufen. Da hab ich kurz meine einzige Tüte von der Sonnenblende gepflückt und sie nach hinten gereicht. Und gleichzeitig gebremst. Noch bevor ich stand, spürte ich Flüssigkeit meinen Nacken herunterlaufen. Nicht viel, ein paar Tropfen nur – aber seien wir mal ehrlich: Was macht das schon für einen Unterschied?
Ich also raus, Türe auf, und die Kundin sprudelte dankbar auf die Straße.
Ich hab manchmal Angst vor mir selbst. Ich lebe ein friedliches Leben in einem eigentlich harmlosen Job, ich kenne wirkliche Gefahrensituationen kaum. Aber wenn ich das hochskaliere, was ich in ekligen Momenten oder nervenaufreibenden Verkehrssituationen mache, dann antworte ich vermutlich auf körperliche Angriffe seelenruhig mit den Worten „Naja, das ist jetzt deine Meinung …“
Denn während die Freundin panisch ums Auto gewuselt ist und mir Stein und Bein schwor, wie leid ihr das alles tun würde und dass sie ja auch schon lange nicht mehr weiter wüsste und und und … bin ich gemütlich zum Kofferraum, hab mir mit der Küchenrolle den Nacken abgetupft, hab meine Jacke ausgezogen, auch die abgewischt …
„Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, Ich zahl Ihnen die Reinigung!“
… und mich mit den verbleibenden Blättern daran gemacht, die Siffe hinten vom Fahrersitz zu wischen, ganz ungeachtet der Trulla, die mir weiterhin vor die Füße auf die längst zu Boden gefallene Tüte gereihert hat.
Was kein Ding war. Ehrlich. Wisch und weg – wie in ’ner bescheuerten Küchenrollenwerbung. 20 Sekunden Zeitaufwand und die Uhr lief eh weiter.
Während das Häufchen Elend halbwegs malerisch aus dem Fond hing und Fäden bis zum Asphalt zog, sah mich die Freundin ratlos an und plapperte währenddessen panisch umher. Sie bezahle alles, sie wisse nun auch nicht weiter, sie verstehe mich ja, so ginge das ja nicht, das sei alles furchtbar, das wäre das erste Mal seit Jahren, wir, ich , aber …
Ich ruhte tief in mir. Darin, dass das so nix werden würde, war sie mit mir einig. Aber einen Krankenwagen … wegen sowas …
Ja, ich weiß doch auch nicht. Madame Auslaufmodell hatte sich inzwischen zurückgelehnt und das Bewusstsein so langsam gänzlich hinter sich gelassen. Ich hab entsprechend gesagt:
„Ja, alles doof jetzt. Natürlich: Wenn Sie jetzt einen Krankenwagen rufen, werden die wenig begeistert sein. Wegen ’nur sowas‘ angerückt zu kommen. Mein Problem ist: Wir können die Fahrt jetzt fortsetzen. Vergessen wir mal das bisherige Tralala – aber wenn wir alle 500 Meter so eine Aktion haben, dann kotzt sie mir im Laufe der Fahrt das ganze Auto und mich noch dazu voll. Da können wir beide dann auch schrubben wie wir wollen, da kommen im günstigsten Fall 200 € bei rum. Mal ganz abgesehen davon, dass ich am Ende der Ungeeignetste bin, um einschätzen zu können, ob das nicht doch so langsam ernsthaft gefährlich ist bei ihr.“
„Sie meinen also … Krankenwagen?“
Ich hab zögernd genickt und gesagt:
„Eigentlich weiß ich es nicht. Aber für in meinem Auto transportfähig halte ich sie nicht. Also was sonst?“
Ich hab diesbezüglich ja völliges Verständnis für die Rettungskräfte – natürlich ist es wichtiger, einen Schlaganfallpatienten schnell ins Krankenhaus zu bringen anstatt einer übereifrigen Schnapsdrossel. Ein bisschen sauer war ich dennoch, als die wirklich aufopferungsvolle Helferin am Telefon zusammengefaltet und abgewimmelt wurde:
„Ja, sie sind ja eh schon im Taxi, da können sie ja gleich ins Krankenhaus fahren!“
Dementsprechend eine kleine Bitte:
Liebe wirklich sehr geschätzte Rettungsdienstler: Mal abgesehen davon, dass ich mein Geld im Falle von Zwischenfällen wie Erbrechen nicht einfach von der Krankenkasse überwiesen bekomme: Meine medizinische Ausbildung als Taxifahrer ist vergleichbar mit der einer mittelschweren Seekuh: Mag sein, dass ich vor Jahren mal einen Erste-Hilfe-Kurs aus der Ferne gesehen hab, aber korrektes Handling bei Alkoholvergiftungen ist leider wirklich nicht mein Fachgebiet. Und ich bin in so einer Situation alleine und muss zudem fahren! Es war meine Fahrer-Rückenlehne, gegen die getrommelt und gekotzt wurde, ich hatte da keine Trennwand und keinen Assistenten vor Ort – sowas geht auf Kosten der Verkehrssicherheit und damit potenziell der Gesundheit von nicht nur der einen Patientin. Natürlich entscheiden wir Taxifahrer vielleicht mal falsch in Anbetracht der Grauzone zwischen unseren Zuständigkeitsbereichen – aber bitte tut das nicht einfach ab und lasst uns ggf. zusammenarbeiten!
Naja, nun standen wir da. Ich hab wirklich sehr schweren Herzens und leicht nassen Nackens zugestimmt, dass ich bis zum nächsten Krankenhaus weiterfahren würde. Die Patienten wehrte sich nach einer Weile gegen das Krankenhaus, nur um dann umgehend wieder anzufangen zu kotzen, woraufhin ich statt links zur Notaufnahme recht schnell rechts an den Straßenrand fahren musste. Ich hab dabei glücklicherweise meine Reflexe und die Straßenverkehrsordnung irgendwie in Einklang bringen können. Vier Blätter mehr büßte die Küchenrolle dabei ein, das aber sollte es dann gewesen sein: Die völlig verzweifelte Freundin hat beschlossen, die Patientin nun rüber zur Notaufnahme zu schleifen. Obwohl ich nichts auf der Welt weniger wollte als das, hab ich angeboten, sie kurz rüber zu fahren. Waren runde 400 Meter. Mein Tag war eh gelaufen, ich hatte Kotze im Nacken, also bitte.
Sie hat abgelehnt.
Im Gegenzug hab ich abgelehnt, jetzt irgendwie einen Aufstand ums Geld zu machen. Zum einen wollte ich ohnehin heim. Eine Stunde hin oder her. Zum anderen war das Auto schon wieder sauber. Also wirklich sauber. Abgesehen vom eigenen Pulli hatte die Auswurfspezialistin keinerlei Textilien oder sonstwie schwierige Materialen verunreinigt. OK, meine Klamotten. Aber da hab ich großzügig einen Fünfer für die vorgezogene Wäsche erbeten und auch erhalten.
Im Vergleich zu besagter Freundin (die bezahlt hat und noch nicht einmal wusste, wo sie in der Nacht würde schlafen können) ging es mir am Ende doch recht gut. Und der völlig weggetretenen Verursacherin des Ganzen hätte ich mit keiner erdenklichen Strafe einen sinnvollen Denkzettel mitgeben können. War halt ein beschissenes Ende für eine beschissene Schicht. Sowas kommt vor.
Jetzt, wo ich das schreibe, sind die Klamotten in der Wäsche und ich bin frisch geduscht. Ich will jetzt natürlich niemanden daran hindern, mir die in der so verlorenen nächsten Stunde vermutlich verdienten 20 € via Paypal zu überweisen, aber wenn ich ehrlich sein will: Ich bin mit mir im Reinen, was die Sache angeht, ich hatte schon schlimmere Kotzertouren.

PS:
Keine Ahnung, woher meine Ekeltoleranz bezüglich Kotzern kommt. Bei anderen Dingen bin ich wesentlich dünnhäutiger. Aber mich freut’s, das erleichtert mir das Leben in solchen Situationen sehr.