Heimliche Gemeinsamkeiten

Mitten im Taxialltag kommt man bisweilen dazu, sich sonderbare Fragen über die Menschen an sich zu stellen. Zum Beispiel „Welche Sprache sprechen sie gerade?“, „Wie kommt’s, dass kaum jemand sein Limit für Alkohol kennt?“ oder aber auch: „Ist es vielleicht leichter für Menschen, ablehnend als zustimmend zu sein?“.

Die letzte Frage kam nicht von ungefähr, denn ich musste wirklich einen Moment darüber nachdenken, ob ich der Kundin vermitteln können würde, dass ich ihr voll und ganz zustimme. Aber nein, ich konnte es nicht. Es war bereits eine Stunde nach meinem geplanten Feierabend und grob 20 € über Soll, als ich eigentlich nur noch heim wollte. Aber man lässt Leute ja nicht stehen, wenn man am nächsten Tag wieder eine Stunde auf sie warten muss. Und es könnte ja in die richtige Richtung …

„XY-Straße bitte.“

„Uff. Moment, ich überlege kurz …“

„Ist in der Nähe vom Hohenzollerndamm.“

„Scheiße!“

Ich hab’s wirklich gesagt, aber sehr leise nur. OK, 25 € auf dem Silbertablett, aber der Heimweg verlängerte sich damit von 7 auf 35 km. Komplett falsche Richtung, noch dazu einmal durch die komplette Innenstadt. Aber gut, meine Schuld. Ich hätte ja die Fackel ausmachen oder sie sonstwie übersehen können. Also wollte ich erst ein bisschen gute Laune auflegen, aber jetzt fing sie an:

Die Fahrt sei total unnötig und nervig! Sie hätte nach der Weihnachtsfeier einfach mit einer Kurzstrecke heimfahren können: Von Kreuzberg nach Mitte. Aber dann hat sie sich überreden lassen, in einen doofen Club nach Prenzlauer Berg zu fahren, dort kam sie wegen eines blöden Spruchs eines Kollegen nicht rein – und musste nun, weil es so spät war, bei ihrer Schwester am anderen Ende der Stadt pennen. Eigentlich sollte es ja gut fürs Trinkgeld sein, den Kunden zustimmend zu begegnen. Aber wie?

„Ach, dann sind wir schon zwei: Ich hab auch keinen Bock, sie da hinzufahren!“

Kannste ja nicht machen.

Also hab ich während der Fahrt ein wenig überlegt, ob man vielleicht auch in anderen Fällen überwiegend nicht nett zu Menschen ist. Arg viel weiter als bis zu der Tatsache, dass ich schon mehr Menschen „Verpiss Dich, Du Arschloch!“ als „Ich liebe Dich!“ gesagt habe, bin ich aber nicht gekommen. Und an dem Punkt war mir dann auch klar, dass es Gründe gibt, den Feierabend nicht ewig hinauszuzögern – das ist nicht gerade förderlich für den Geist. 😉

5 Kommentare bis “Heimliche Gemeinsamkeiten”

  1. Unterdosis sagt:

    Ach ja, kenne ich aus dem IT-Support. Irgendwas wirft eine Fehlermeldung, aber trotzdem funktioniert alles. „Es ist ja eigentlich unwichtig,“ sagt der User, „aber es stört.“
    Sagt man da jetzt „Verstehe ich, mir geht es gerade ganz genau so“?

  2. Aro sagt:

    „Arg viel weiter als bis zu der Tatsache, dass ich schon mehr Menschen ‚Verpiss Dich, Du Arschloch!‘ als ‚Ich liebe Dich!‘ gesagt habe“
    Wow, das ist ja schon philosophisch.

  3. mathematikos sagt:

    taxifahrer sein heißt ja letztlich auch, die unauswweichliche mentale reibung an den fahrgästen irgendwo in der balance zu halten zwischen ekel und überschwappender symapthie. meist liegt das gefühlsbaro bei mir irgendwo in einer fließenden mitte.
    das trinkgeld korreliert bei mir nur sehr schwach mit meiner laune den fahrgästen gegenüber.
    ein roter faden scheint sch jedoch durchzuziehn.
    irgendwie scheint die trinkgeldgeneigtheit mit der authentizität verbunden sein, die man als kutscher an den tag legt.
    solche verdachtsmoment hege und begrüble ich seit nahezu vierzig jahren im taxigewerbe.
    servus,
    werner aus der hochsteiermark

  4. Rafael sagt:

    Ich finde, man sollte anderen öfter zustimmen als immer dagegen reden.
    Man möchte als Fahrer im Taxi ja verstanden werden – ist ein wenig wie beim Friseur…
    Ich kann dich schon verstehen, man möchte auch mal einfach seine Meinung sagen, aber dafür gibt es bestimmt auch die richtigen Gäste….

    … ach und noch was… wenn ich mein Alkohol-Limit überschritten habe, fahre ich auch lieber Taxi. Mit den öffentlichen wird es ab einem bestimmten Pegel auch gefährlich… da lallt man lieber noch den Taxifahrer zu… ist nicht Böse gemeint…
    Du bist dann der Schutzengel, wenn jemand über die Stränge geschlagen hat.

    Weiter so! und DANKE!

  5. Sash sagt:

    @Unterdosis:
    🙂

    @Aro:
    Na aber sicher doch!

    @mathematikos:
    Na, wenn’s selbst nach 40 Jahren nur zu einem Verdacht gereicht hat …
    Im Ernst: Ich weiß, was Du meinst – aber es ist schon erstaunlich, dass es diesbezüglich keine recht klare Logik gibt.

    @Rafael:
    Danke auch! Was das mit Meinung und Zustimmung betrifft, ist es aber meiner Meinung nach ein viel schmalerer Grat. Natürlich nimmt man viel einfach mal zur Kenntnis und nickt es je nach Kunde auch mal widerstrebend ab – andererseits gibt’s da ja auch die, die Interesse an Austausch haben oder die, die es nun wirklich nicht besser vedient haben. Aber da ist so gesehen jede einzelne Fahrt, jede einzelne Fahrer-Fahrgast-Kombination ein eigener Sonderfall.

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