Baecker, Hans (5)

Schon wegen der Weg gewordenen Überlegungen, die S-Bahn zu nehmen, stand das Taxameter bei der Ankunft vor seinem Haus bei fast 25 €. Er hatte schon vertüddelt, was das eigentliche Problem genau war und meinte, ich solle ihn doch hier am Ostkreuz gleich rauslassen.  Aber er hatte sich schnell wieder gefangen. Er sah aus dem Fenster, die Hausnummer 8 strahlte uns entgegen und er strahlte mich an:

„Hier wohn‘ wir seit 17 Jahren!“

Inzwischen hatte sich nämlich auch das Problem mit dem fehlenden Schlüssel geklärt. Gefunden hatte er ihn zwar nach wie vor nicht, aber seine Frau war zu Hause. Na Gott sei Dank! Mir sollten die Verzögerungen nun nur recht sein, denn das Taxameter ratterte unaufhörlich weiter. Klar, vielleicht hätte ich irgendwo ein bisschen mehr als die 25 € pro Stunde (die es laut Berliner Taxitarif für die Wartezeit gibt) bekommen können, aber wie sagt man so schön? Lieber den Spatz in der Hand …

Das Geld, das er mir nun schuldete, sollte allerdings weiterhin eher die Taube auf dem Dach sein. Er stiefelte zum Hauseingang und beaugapfelte die Klingel aus etwa 5 cm Distanz. Lesen könne er das nicht wirklich, außerdem hätte die Hausverwaltung ja letzte Woche erst neue Klingeln  angebracht. Und wer klingele schon bei sich selbst? Also musste der Taxifahrer ran. Zweites Obergeschoss.

Nun fand sich auf der Klingel allerdings kein Baecker. Auch kein Bäcker, Becker, Beker oder ein sonstwie ähnlicher Name. Ich fragte ihn, ob seine Frau vielleicht einen anderen Nachnamen hätte …

„Ach Unsinn! Wir sin seit 20 Jahrn verheiratet! Det is hier wejen de blöde neue Klingel, verdammt! Sowat hatten se sicher auch noch nie, oder? Ich Idiot!“

„Nein, hier am zweiten OG stehen nur Tinto, Merrakuh …“

„Merrakuh! Det is mein Nachbar. Soll ick da mal klingeln?“

„Nein! Um Gottes Willen! Es ist 4:30 Uhr!“

So langsam beschlich mich eine Ahnung. Aber da hatte Hans Baecker bereits festgestellt, dass die Haustüre offen war …

(Für die ganz nachtaktiven Leser gibt es bereits um 4 Uhr eine Fortsetzung!)

Baecker, Hans (4)

Die nächsten 10 Minuten waren eine Gefühlsachterbahn sondersgleichen. Zunächst entdeckte das immer fahriger werdende Männchen zu meiner Rechten, dass die Bankkarte nicht da war. Ich wurde nun gebeten, an der S-Bahn zu halten und ihn rauszuschmeißen. Er war ihm mehr als peinlich, dieser ganze Heckmeck.

„Det is mir ja noch nie passiert. Du denkst sicher, ick will dir übers Ohr hauen, wa? Ick bin aber auch ein Idiot! Gloob ick ja nich!“

Da regte sich Scham über die Vergesslichkeit im Alter, Hoffnungslosigkeit. Der arme Mensch war weit mehr fertig als ich. Und schon ich hatte Grund genug. Den Gefallen mit der S-Bahn wollte ich ihm fast schon machen. Wenn es schon scheiße läuft, dann müsste ich ihn ja nicht deswegen gleich bestrafen. So menschlich bin ich. Auf der anderen Seite brüllte mein Geldbeutel so langsam, dass ich den Spinner loswerden sollte, wenn er nicht bezahlen kann. Immerhin war nach wie vor die lukrativste Zeit. Aber inzwischen waren wir über 15 € rüber, das würde auf der anderen Seite eben auch ein bisschen arg weh tun. Er betonte mehrmals, dass er mich unbedingt bezahlen wolle, nur gerade nicht wüsste, wie wir das anstellen könnten. An der S-Bahn fragte ich ihn dann noch mal, wo denn seine Bankkarte sei.

„Na, die is zu Hause!“

„Dann könnten wir da doch kurz halten, wenn die Sparkasse gleich um die Ecke ist, oder?“

„Wat? Du bis ja … dass ick da nich alleene druff jekomm‘ bin! Logo!“

Er strahlte so langsam vor Zuversicht und auch wenn mir bewusst war, dass das jetzt der am härtesten verdiente Zwanziger seit Wochen werden würde, so teilte ich dieses Gefühl. Sicher kann auch ich mal mit meiner Menschenkenntnis daneben liegen, aber der Alte war so herzerfrischend ehrlich, ich war mir einfach sicher, dass er mich nicht übers Ohr hauen wollte. Er zeigte mir seine verschmierten Finger und sagte:

„Du musst doch ooch dein Jeld verdien‘. Kenn ick doch! Bin doch bei de BSR, weeß ja wie det is!“

Ungefähr bei 20 € auf dem Taxameter stellte Hans Baecker dann fest, dass er seinen Schlüssel ebenfalls nicht finden konnte …

(Ja, es geht noch weiter. Kurz vor 0 Uhr.)

Baecker, Hans (3)

Auch wenn er mich duzte und so vor sich herberlinerte: Hans Baecker war ein liebenswerter alter Kauz, die Art von Urberliner, die man nur noch selten findet. Aber kaum dass ich den Weg nach Prenzl’berg einschlug, wurde er unruhig:

„Sach ma, wat meinste, kost’n det?“

„Schätze mal, knapp über 20 €.“

„Ach Mensch, det is blöde! Ick hab nur noch 18 € bei – schmeiß mir einfach raus, wenn det Jeld alle is!“

Ich kann es nicht verleugnen: Ich hatte ein wenig Mitleid mit dem alten buckligen Opa und hab ihm gesagt, dass ich wegen ein paar Metern am Ende sicher nicht rummachen würde. Gegen den Gedanken allerdings sträubte er sich mehr als ich, denn er wollte auf gar keinen Fall, dass ich meine Arbeit umsonst mache.
Die Häuser zogen recht schnell an uns vorbei und er nestelte in seinem Portemonnaie herum. Seine Hände zitterten mehr und mehr und irgendwann sah er mich zerknirscht an und meinte:

„Det gloob ick ja nich! Det tut mir sowas von leid, aber ick hab die 18 € wohl doch nich mehr. Willste mir hier rausschmeißen?“

Mir haben sich zwar die Nackenhaare aufgestellt, aber da ich schon rund 12 € auf der Uhr hatte, wollte ich auch nicht kampflos aufgeben.  Zum einen war es die allerbeste Zeit der Woche – da fährt man nicht mal eben eine halbe Stunde für umme – zum anderen wäre ja auch ihm nicht sonderlich geholfen gewesen, wenn ich ihn mitten im Wohngebiet 5 Kilometer von seiner Wohnung entfernt absetzen würde. Also galt es, Alternativen zu finden:

„Wollen wir vielleicht an einer Bank halten, wo Sie Geld holen können?“

„Ja klar! Mensch natürlich! Det machen wir!“

Nach relativ kurzer Zeit war klar, dass es zur Sparkasse gehen würde. Da lagen ja nun einige auf dem Weg – oder zumindest recht nahe. Ich schlug die am Bersarinplatz vor, er meinte, es gäbe unweit seiner Wohnung, direkt an der Ecke Stargarder/Prenzlauer, auch eine. Damit schien die Sache erst einmal in trockenen Tüchern zu sein. Dachte ich …

(Fortsetzung so ungefähr beinahe fast exakt um 20 Uhr)

Baecker, Hans (2)

Hans Beckers 63 Jahre sah man ihm deutlich an. Sein Gesicht war vernarbt, sein Gang gebeugt. Er strahlte ein wenig den Charme eines Landstreichers aus und so ähnlich roch er auch. Nicht eben angenehm, aber in Maßen.

„Wo kommen Sie denn um diese Uhrzeit her?“

„Icke? Na vonne Arbeit! Bei de BSR!“

„Jetzt? Da haben sie aber auch eine ganz miese Schicht!“

„Hör uff! Ick wär längst in’n Bett, aber meine Tochter hat mir anjerufen. Die hat – wejen ihren Kerl da – da hat die Probleme und nu sollte ick nach der Arbeit da mal vorbeikomm‘ …“

„Und sie wohnt am Markgrafendamm?“

„Ja nee, da wohnt eijentlich er. Det is det Haus mit den Hotel. Kennste?“

„Nein, sorry. Wie heißt es denn?“

„Ach, wenn ick det noch wüsste. Is ejal, ick kenn det ja! Fahr mir mal dahin!“

Der Verkehr um die Zeit ist ja großartig, da konnten wir ziemlich flott Land gewinnen. Er grübelte ein wenig vor sich hin und machte sich Gedanken. Besonders toll fand ich ja:

„Und jetzt hat die da Probleme. Sacht se. Ick weeß nich, wat jenau. Nich jetz so hier mit det Sexuelle. Det wär ja noch schöner. Nee, aber irjendwat is da in’n Busch!“

Unsere Fahrt dauerte keine 5 Minuten. Auf der Warschauer hatte ich grüne Welle und das Hotel sollte unweit der Elsenbrücke liegen – dem Durchpfeifen auf der Stralauer stand also auch nichts entgegen. Am Ziel angekommen war er sich dann doch nicht mehr so sicher, welches Haus es eigentlich genau war. Er entschied sich aber am Ende gegen ein Aussteigen:

„Ick bin doch nich mehr der Jüngste und ick komm vonne Arbeit. Det is mir jetz schnuppe. Ick ruf der an, dass ick länger uff Arbeit war und det nich mehr jeklappt hat. Det is ja ooch keene Uhrzeit. Bring mir mal nach Prenzlauer Berg inne Kanzowstraße 8.“

„Wo liegt die genau?“

„Det is nahe bei die Stargarder.“

„OK, wie Sie wollen.“

(Fortsetzung gegen 16 Uhr)

Baecker, Hans (1)

(Gleich vorweg: Alle Namen, auch Straßennamen sind dieses Mal definitiv erfunden. Aus Gründen.)

Die Uhr zeigte 5:31 Uhr am frühen Sonntagmorgen an, ich nahm meine Papiere von der zerknirscht dreinsehenden Polizistin entgegen und fuhr mit äußerst gemischten Gefühlen nach Hause. Es war fast noch ein bisschen früh, aber nach der Tour war mir nicht danach, eine weitere anzunehmen. Was für ein beschissener Abschluss für eine Samstagsschicht!

Eigentlich jedoch beginnt die Geschichte wesentlich früher, so gegen 4.00 Uhr etwa. Man kann ohne schlechtes Gewissen behaupten, dass der Abend bislang nicht sonderlich großzügig zu mir war. Es hat von 19.15 Uhr bis 2.30 Uhr gedauert, um auch nur einen einzelnen Hunderter Umsatz einzufahren. Wenigstens ging es danach etwas flotter voran. Als ich am Frankfurter Tor an die rote Ampel heranrollte, hatte ich fast 140 € auf der Uhr – ich sah gewisse Chancen, den Schwan* noch vollzumachen.

Der CD-Player ließ gerade „die Speicherstadt“ auf Repeat laufen (gar nicht wirklich meine Musikrichtung, aber mit einem leichten Anflug von Müdigkeit treibt einen der Beat doch recht zuverlässig durch die Hauptstadt.), und damit muss ich wohl die Aufmerksamkeit von Hans Baecker auf mich gezogen haben. Er überlegte einen kurzen Moment, dann wackelte er behende und mit breiten Beinen auf mein Auto zu. Ich drehte die Musik schnell nach unten, ein bisschen Professionalität gehört dazu. Und obwohl er mich ohne sie nicht wahrgenommen hätte, wirkte Hans Baecker nicht wie ein Liebhaber schneller Beats. Dazu war er schon mal mindestens zu alt.

Er blickte hastig hin und her, dank seiner gebeugten Gehweise konnte er dabei kaum bis über die Fensterlinie meines Autos sehen – selbst aufrecht maß der Mann höchstens 1,60 Meter. Er klammerte sich an seiner hellbraunen Leinentasche fest und fragte mich, ob ich ihn zum Markgrafendamm bringen könnte. Na klar, warum auch nicht?

(Fortsetzung gegen 12 Uhr)

*ein Kollege hat letztes Jahr das Wort Schwan für 200 € Umsatz erfunden – die geschwungene Form der Zwei hatte ihn dazu inspiriert. Seitdem verwenden einige meiner Nachtschichtkollegen die Formulierung gelegentlich am Stand und mir gefällt sie. 🙂

Hans Baecker ff

Dieses Wochenende hatte ich eine ziemlich außergewöhnliche Tour. Und ja: selbst für mich außergewöhnlich. Sie benötigt etwas Zeit und Platz zum Niederschreiben. Da bin ich derzeit dabei.

Am Stück wäre das ein Mords-Aufwand. Deswegen gibt es heute eine Art Eintrags-Marathon: Alle 4 Stunden haue ich einen neuen Text raus, eine Fortsetzung. Manche Leser mögen das nicht, deswegen sei hier als Service eine Warnung untergebracht:

Achtung! Die folgenden Beiträge enthalten Cliffhanger!

Derzeit weiß ich noch nicht einmal, wie viele Artikel es werden – aber vor morgen solltet ihr besser nicht reinschauen, wenn ihr alles am Stück lesen wollt!

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Park-Philosophen

Aus der Erzählung eines Fahrgastes:

„Früher war hier nicht alles zugeparkt. Dafür sind die Autos da teilweise ganz schön durchgerauscht. Da hab ich mich mal ans Ordnungsamt gewandt, ob wir hier vielleicht so Schwellen kriegen. Dann haben die mir gesagt, dass sich das durch die Leute, die auf der Straße parken, ohnehin bald beruhigen würde. Im Ernst: Das war die amtliche Ansage – das ist so gewollt. Da hab ich eine Kopie davon und die verwende ich jetzt jedes Mal, wenn jemand vom Ordnungsamt oder der Polizei Probleme mit meiner Park-Philosphie hat …“