Osama und Lisa (3)

Der stressige Teil der Fahrt war damit vorbei. Unwiderruflich. Während ich ihr ein paar halbgare Infos für mein Navi aus der Nase zog, telefonierte Lisa nun abermals mit ihrem Freund und war sichtlich bemüht, ihm zu erklären, weswegen da vorher irgendein Kerl ins Telefon gebrüllt hat, dass sie ihn betrügen würde.

Ich hab die Fahrt auf der Uhr weiterlaufen lassen und ihr ganz explizit mitgeteilt, dass sie die rund 5 € Ersparnis als Entschuldigung für den Anfang der Tour werten solle. Sie indes war trotz der ganzen Osama-Geschichte immer noch heilfroh, überhaupt ein Taxi gefunden zu haben. Mit Freude vernahm ich, dass sie dem Freund am anderen Ende der Leitung sagte:

„Und bring einen Zehner extra mit runter, den hat sich der Taxifahrer aber sowas von verdient!“

Dieser Überzeugung war ich nicht wirklich, denn eigentlich hatte ich sie ja mehr oder minder mit diesem Quatschkopf bekannt gemacht. Aber was ignoriert man nicht alles, wenn man froh um seine Ruhe ist und die letzte Tour mal wieder die gesamte Schicht rettet?

Die Zeit verging wie im Fluge und wir nutzten sie zum ununterbrochenen Reden. Anfangs über solche Flachpfeifen wie Osama, später dann eher allgemein über die Arbeit, das Leben, was halt so anfällt, wenn man müde vom Arbeiten dem sommerlichen Sonnenaufgang entgegenfährt.*

Das Taxameter ratterte lustig vor sich hin und ich hatte eine unglaublich nette und unkomplizierte Kundin an Bord, ich hab wirklich gemerkt, wie Stress und Anspannung komplett von mir abgefallen sind. Die letzten Kilometer waren dann mehr eine private Fahrt, wir redeten inzwischen über die Kunden, als wären wir Kollegen und nicht sie etwa Teil meiner Kundschaft. Aber das kenne ich von Gastronomie-Mitarbeitern. Uns eint da tatsächlich einiges und was da gesagt wird, bleibt irgendwie in der Familie.

Zu guter Letzt hat sie ihren Freund zum Bezahlen angeklingelt und als ich vors Haus gerollt bin, wo selbiger schon wartete, zeigte die Uhr 50,60 € an. Einen Zehner hatte ich schon, der nächste wurde mir in diesem Moment gereicht:

„So, das hier ist schon mal dein Trinkgeld!“

Aber es wurde noch besser!

„Und jetzt sag einfach, dass es 50,60 € sind!“

„Aber …“

„Sag es einfach.“

Ich kann das ja nicht. Ich hatte (rund) 40 € offen, selbst wenn das Trinkgeld das Trinkgeld ist. Glücklicherweise hatte ich schon Kasse gedrückt und der Betrag verschwand von der Uhr. Ich drückte mich vor der Lüge und überließ ihr die Ansage:

„Schatz, das sind 50,60 €, ach 50 sind ok! Der Taxifahrer hat das echt verdient!“

Der Freund, ein auf den ersten Blick eher als Türsteher geeigneter Typ mit groben Gesichtszügen, die er weitgehend unter einer Sonnenbrille verborgen hielt, sah für die Uhrzeit und sein sonstiges Erscheinungsbild unglaublich nett und mildtätig ins Auto und reichte mir den Fünfziger. Und obwohl dieser Mensch eine halbe Stunde zuvor extrem seltsame Dinge am Telefon gehört hatte, nahm er es auch allenfalls zur Kenntnis, dass seine Freundin dem Taxifahrer nun noch unbedingt einen Abschiedskuss aufdrücken musste.

Und danach Feierabend. 20 Kilometer über Autobahn und Landstraße, Musik auf Anschlag, ein Lächeln im Gesicht. So muss das.

*Das war ein Bild überdramatisierender Romantik, die Sonne stand schon recht hoch, es war gegen 6 Uhr.

PS: Und falls jemand die Rechnung jetzt nicht verstanden hat: Die Tour hat mir 50,60 € auf der Uhr gebracht und 19,40 € Trinkgeld kamen obenauf. Ich habe mehr als ein Drittel der Kohle in der gesamten Schicht mit dieser Fahrt gemacht und das Ende war zudem entspannend wie kaum irgendwas in den letzten Monaten. Manchmal hat man im Nachhinein gesehen einfach alles richtig gemacht. Und manchmal … naja, fragt Osama, wenn ihr ihn trefft!

10 Kommentare bis “Osama und Lisa (3)”

  1. Caron sagt:

    Ich frage mich ja: Lohnt es sich überhaupt, zu arbeiten, wenn die Heimfahrt nachher über 50€ kostet?

  2. Sash sagt:

    @Caron:
    Na zum einen hat sie nur einen Zehner selbst gezahlt 😉
    Andererseits weiß ich es nicht. Für mich würde es sich sicher nur selten rechnen, aber ich hatte auch schon Kellner im Auto, die sich untereinander übers Trinkgeld unterhalten haben und schon dabei auf fast dreistellige Summen gekommen sind. Das ist sicher nur selten der Fall, aber vielleicht war es bei ihr so. Danach hab ich nicht gefragt.

  3. Lohnstunden sagt:

    Kommt auf deinen Stundenlohn an und wie lange du arbeitest.
    10h gearbeitet zu 10€ macht 100€- 70€
    also 30€ verdienst. Aber eine Gastro-Arbeiterin bekommt meist weniger, allerdings Trinkgeld nicht eingerechnet.

  4. Sash sagt:

    @Lohnstunden:
    Ich will ja nicht das deutsche Steuersystem schönreden, aber 70% Abzüge dürfte niemand haben. Dafür würde ich gerne einen Beweis sehen.

  5. Senfgnu sagt:

    Trinkgeld kommt ja immer drauf an – wenn du eine Horde reicher Russen bedient hast, wird das sicher mehr sein als bei schwäbischen Touristen – und wenn die halt einen guten Tag hatte, dann fährt sie halt Taxi und teilt das Geld 😉

  6. Aro sagt:

    Über die Autobahn zurück? Das ist ja schon fast dekadent 😉

  7. Sash sagt:

    @Senfgnu:
    Ja – und das ist eine der Verhaltensweisen, die ich an Gastro-Mitarbeitern so schätze. Auf der anderen Seite kenne ich das aber auch, wenn ich mir nach einer guten Schicht einen Döner hole. Da leg ich dann auch nochmal extra was drauf. Aber zugegeben: Für solche Beträge reicht’s dann einfach nicht.

    @Aro:
    Naja, war nicht direkt in Erkner …

  8. Andre sagt:

    @Sash

    Sei vorsichtig wg. 70%. Als direkten Steuersatz hat das natürlich niemand (ich glaube der progressive maximale Steuersatz liegt bei roundabout 48% wenn du mehr als 60.000 im Jahr verdienst, dann bist du glaubeich in der Steuerformal am maximalanschlag angekommen).

    Unberücksichtigt dessen kann man natürlich noch beirechnen das du ja noch auf alles was du später kaufst im schlechtesten Fall 19% Mwst zahlst, die verringern ja das dir zur Verfügung stehende Geld auch. Dann kommen, je nach Artikel ja noch andere Steuern drauf (Extrasteuer auf Bier, auf Kaffeepads, auf Alkohol auf x, auf y usw.).
    Dann könnte man noch hingehen (jetzt bitte nicht schlagen, das hier ist kein „Das sind aber 70% weil ich es sage“ Thread sondern nur wie man dahinkommen könnte) und behaupten das ja die Sozialleistungen, die wir zahlen (Krankenkasse, Rentenkasse etc.) ja auch nochmal kosten. Es heißt zwar Sozialbeiträge, verhalten tut es sich aber wie eine Steuer (prozentueller Abzug – ok bis zu einem gewissen Deckelungsbetrag wie z.b. bei der KK, da zahlt man als GKV nie mehr als ca. 570 Euro im Monat, selbst wenn man drei Millionen verdienen würde). Und bloss weil die ja 50% davon der Arbeitgeber abführt, kommen diese 50% ja quasi trotzdem aus dem was mein Gehalt reduziert.
    Wenn wir jetzt also mal fies rechnen und aus dem progressiven Steuersatz einen mittleren Satz von 30% Steuerabgaben über das komplette Einkommen rechnen + 19 % Mwst + 30 Sozialabgaben dann fliessen rechnerisch irgendwo so tatsächlich 70-80% des Einkommsen irgendwo, irgendwo angeblich an den Staat zurück (nicht nur als Steuern, sondern so als Summe aller Abgaben, wie auch immer sie gerade heissen: Steuer, Sozialleistungen etc.). Kann man sich so schönrechnen, richtig. Kommt aber nur raus wenn man entsprechend verdient, GKV ist, keine Lebensmittel kauft weil die nur 7% Mwst. haben usw.

    Ist halt alles, wie immer, eine Frage wer die Statistik rechnet, man kann das auch so rechnen das man ja fast quasi nix zahlt angeblich, es kommt immer drauf an was du da betrachten willst oder auch nicht.

  9. Sash sagt:

    @Andre:
    Da hast Du natürlich recht. Die indirekte Steuerbelastung ist natürlich nicht gering. Insofern lassen sich die 70% sicher knacken – allerdings rechnet damit (wie Du ja sagst) kein Mensch ernsthaft. 🙂
    Viele Punkte werden da schnell hypothetisch, z.B. was der Chef einem zahlen würde, wenn er keine Steuern zahlen müsste usw. usf.
    Am Ende bleibt natürlich: Wir hätten mehr Geld ohne Abzüge 😉
    Ich bin da auch bloß dazwischengegangen, weil einige eben in die andere Richtung ein bisschen einfach denken. Natürlich bin ich nicht froh darum, mein Geld loszuwerden, aber die meisten dieser Rechnungen enthalten immer einen unterschwelligen Vorwurf der Habgier. Der ist sicher auch mal zutreffend, geht mir aber in seiner Indifferenziertheit oft auf den Zeiger. Aber gut, ich will jetzt auch nicht zuviel in den Kommentar von Lohnstunden reininterpretieren!

  10. […] gut, es können nicht alle so nett sein wie Lisa und immerhin hab ich mit der Tour Geld verdient (ca. 5 € netto – wow!). Aber ein bisschen […]

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