So, das Wochenende bietet erfahrungsgemäß wenig Zeit zum Bloggen – aber eine Fahrt vom Freitag muss ich dringend noch unter die Leute bringen. Ich hatte eine frühmorgendliche Ostbahnhof-Kurzstrecke für nicht ganz 6 € zur Warschauer Straße hinter mir. Da hab ich dann beschlossen, mal einen Blick in die Revaler zu werfen.
Das hätte ich mir vielleicht besser erspart. Wenn man morgens als Taxifahrer durch die Revaler Straße in Friedrichshain gurkt, dann kann man einiges erwarten. Eine bunte Mischung an Partygängern aus verschiedenen Clubs watschelt über die Straße, und insbesondere der Beleuchtung wegen ist es eine der Straßen, wo ich die erlaubten 50 km/h eigentlich nie ausreize.
Ich war also auf der Suche nach irgendeinem verstrahlten Pärchen, das heim nach Kreuzberg wollte. So in etwa stellte ich mir die Fahrt vor. Die Nacht war bis dato fantastisch gelaufen, dank etlicher Leute auf der Straße wollte ich gar keine lange Tour in einen Außenbezirk, sondern möglichst eine 10€-Tour, die mich nur 10 Minuten kostet, um dann gleich weiterzumachen, wo ich dann lande.
Statt feierwütiger Clubgänger erspähten meine Augen Donald Rumsfeld. Ich nehme zwar an, er war es nicht wirklich, aber er sah so aus. Von den Haaren über die Brille bis zum Körperbau sah er diesem nicht sehr sympathischen Amerikaner sehr ähnlich, er trug einen Trenchcoat und stand so bekloppt auf der Straße, dass ich es kaum beschreiben kann. Nicht nur, dass er mittig die Fahrbahn versperrte, er stand auch mit ausgebreiteten Armen, jedoch stark zu seiner Rechten geneigt, einfach recht reglos im Weg.
Zunächst wollte ich vorsichtig vorbeifahren, doch er versuchte mir den Weg zu versperren. Nicht, dass ich das sonderlich toll fand, aber ich hab dennoch mal das Fenster an der Beifahrerseite runtergelassen und abgewartet, was er zu sagen hatte. Und was er zu sagen hatte, hätte irritierender kaum sein können. Insbesondere in Kombination mit dem Wie!
Während er die Arme weiterhin ausgebreitet ließ, beugte er sich seitlich herunter und nuschelte aus einem Mundwinkel mit sonst fast starrem Gesicht:
„Brings‘ mich Krankenhaus? Gift!“
„Wie bitte?“
„Brings‘ du mich Krankenhaus. Gift!“
„Wie, Gift?“
„Jemand hat mich vergiftet!“
Na heilige Scheiße. Wat machste nu?
„Äh… welches Krankenhaus denn?“
„Is egal, bring mich nur ins Krankenhaus! Irgendeins!“
Etwas überfordert bin ich die Optionen durchgegangen. Notarzt wäre vielleicht nicht unsinnig gewesen, aber mir fielen auf Anhieb 3 Krankenhäuser in 10 Minuten Umkreis ein. Also bei optimistischer Auslegung der Verkehrsregeln. Ich hab mich für das Klinikum im Friedrichshain entschieden, weil es am günstigsten zu erreichen war, und ich da zudem schon mal an der Rettunsstelle war, und die nicht erst hätte suchen müssen.
Donald kraxelte ins Auto, ziemlich steif, die Arme nach wie vor mehr oder minder ausgebreitet. Ging aber erstaunlich gut. Sah halt völlig bekloppt aus. Ich war mir ziemlich sicher, dass er einfach betrunken ist und vielleicht einen Hexenschuß in Kombination mit Paranoia hat – also nix wirklich ernstes. Aber man weiss ja nie. Während den etwa 3 Minuten, die ich von der Revaler bis zur Mühsamstraße etwa gebraucht habe…
(Hier dürfen die Tagfahrer ein bisschen weinen)
…hab ich versucht, ein paar nähere Infos aus ihm herauszubekommen. Wo er war, wer ihn vergiftet hat, was ihm eigentlich fehlt. Die Antworten waren weitgehend wertlos. Vielleicht war er ja doch wenigstens Politiker. Er war was trinken. Wo, weiss er nicht, ebensowenig wer ihn vergiftet habe. Er könne sich nicht mehr bewegen. Ins Krankenhaus. Schnell!
Irgendwann meinte er dann noch, ihm sei schlecht. In meinem Kopf spukten Gedanken umher, wie es aussehen muss, wenn der Kerl mit erhobenen Armen messiasgleich neben der Straße beginnt, sich von seinem Essen zu verabschieden. Ich konnte den Gedanken allerdings bei weitem nicht ausreichend genießen.
Da sackte er plötzlich mit einem Stöhnen in sich zusammen und fragte, wo wir wären und wo wir hinfahren.
„Äh, wir sind auf der Petersburger. Ich biege jetzt da vorne an der Landsberger links ab und dann sind wir gleich am Krankenhaus.“
„Fahr mich mal zur S-Bahn!“
„Wie jetzt? Kein Krankenhaus?“
„Nee, lass mal. Geht schon wieder.“
„Geht schon wieder? Ich dachte, sie wurden vergiftet!“
„Ja, vielleicht. Aber geht schon wieder. Ich hab ja schon oft zu viel, aber sowas… wow!“
„Ja… wow…“
Ich hab ihn dann auf vermehrtes Drängen hin zum S-Bahnhof Landsberger Allee gebracht. Dort angekommen hatte ich 7,60 € auf der Uhr und der Kerl war eigentlich immer noch ziemlich verstrahlt. Aber wahrscheinlich waren es eben doch nur 3 Bier zu viel. Naja, vielleicht 4.
„Wat krissn?“
„7,60 €.“
„Ok.“
Er kramte in seinem Geldbeutel und förderte einen Fünfer zu Tage. Er begutachtete ihn und meinte:
„Zu wenig.“
Da war was Wahres dran. Er nestelte weiter in seinem heiligen Lederbeutel, öffnete das Kleingeldfach und sagte:
„Auch zu wenig.“
Dann sank er grinsend in sich zusammen. Da er erst einmal keine Anstalten machte, diesen Zustand zu ändern, fragte ich ihn, was nun sei. Plötzlich strahlte er übers ganze Gesicht, so als hätte er irgendwo im Hinterland geheime Massenvernichtungswaffen gefunden und verkündete:
„Haha! Jetz‘ kommt die Schummelkasse!“
Er öffnete das „Geheimfach“ an seinem Portemonnaie und sah mich mit herunterhängenden Mundwinkeln an:
„Auch leer…“
Na meine Fresse! Ist ja klar! Ich scheine die Bekloppten ja mal wieder anzuziehen. Eine Minute später war nicht nur meine Geduld zu Ende, sondern er hatte auch noch mehr oder minder glaubhaft versichert, dass auf der Bank nix zu holen sei. Also was tun?
Entweder ich hole die Cops, und in einer Dreiviertelstunde bin ich hier weg. Dann krieg ich irgendwann meine 2,50 € überwiesen und wir sind alle genervt. Oder…
„Na komm, hau ab!“
„Ehrlich?“
„Pass mal auf: Ich mach den Job, um Geld zu verdienen. Und wenn ich das von dir nicht krieg: Die da vorne am Hotel sehen aus, als könnten sie ein Taxi brauchen. Ich hab jetzt keinen Bock auf großen Stress, also haste mal Glück gehabt. Begeistert bin ich nicht, aber du versaust mir meinen Umsatz mehr, wenn wir jetzt um die Zwofuffzich einen Aufstand machen. Also hau ab!“
2,50 € für eine gute Geschichte. Nicht schön, normalerweise gibt es die umsonst. Aber entweder ich zapfe meine 27 € Trinkgeld für den Quatsch an oder ich lass mir die Kohle als Fehlfahrt gutschreiben. Ist ja kein Weltuntergang. Da ich nach der Tour aber noch mal zackige 50 € Umsatz in den letzten eineinviertel Stunden gemacht habe, sollte auch Cheffe mir diese Nachsicht verzeihen können 😉