Vergessen

Hab ich doch tatsächlich einen Taxiartikel vergessen. Ups. Na dann eben mal freihand:

Vergessen hat auch ein junger Mann im grünen T-Shirt gestern etwas, nämlich gute Laune und eventuell sein Benehmen. Mitbekommen habe ich es eigentlich erst, als er mitten in einer Schimpfkannonade gegenüber einem Kollegen war, der das allerdings mit stoischer Gelassenheit an sich hat abperlen lassen. Der ganze Wutausbruch dauerte runde zwei Minuten, in denen der Typ sein Fahrrad von einem Verkehrsschild abmachte.

Just darum schien es auch tatsächlich zu gehen. Nachdem der Typ sich wutentbrannt verzogen hatte, habe ich den Kollegen gefragt, was denn so schlimmes passiert sei. Und nun ja: Der Kollege hatte ihn wohl ermahnt, sein Fahrrad nicht an dieses Schild zu stellen, weil er dort ggf. Taxifahrgäste am Einstieg hindert. Das ist das Verkehrszeichen am Ostbahnhof, das direkt neben der Taxirufsäule ziemlich nahe an der Straße steht.

Nun gehöre ich nicht zu den gutgläubigsten Fahrern: Ich weiss, dass manche Kollegen gewaltig einen an der Klatsche haben. Den entsprechenden kenne ich nicht, und ich kann auch nicht ausschließen, dass er seine Bitte vielleicht eine Spur zu heftig angebracht hat. Desweiteren kollidieren am Ostbahnhof tatsächlich viele potenzielle Fahrradhalteplätze mit den Taxihalten. Hier sei vor allem das schöne Geländer an der letzten Rücke genannt. Dass es da mal eng wird, weiss ich.

Aber der Hinweis des Kollegen ist sicher nicht aus der Luft gegriffen. Der Anfang des Taxistandes ist scheiße organisiert. Die Rufsäule selbst steht schon blöd im Weg auf dem Gehsteig, und das Schild, dass eigentlich unseren Platz begrenzt, steht knapp einen Meter daneben, ggf. mit Fahrrad als Hindernisvergrößerung. Wenn wir auf der vorgesehenen Höhe halten, müssen die Kunden damit umständlich reinkrabbeln oder wir parken etwas vom Bordstein entfernt, was Bus- und Autofahrer ärgert und für die Kunden, sobald es mal geregnet hat, zusätzliche Mühen macht, weil just dort auch immer die größte Pfütze zu finden ist. Fahren wir – wie es meistens gehandhabt wird – eine Wagenlänge weiter vor als erster, stehen wir genau genommen auf der Bushaltestelle. Das ist wesentlich kundenfreundlicher, aber ich nehme an, dass die Busfahrer uns deswegen trotzdem für Assis halten. Davon abgesehen ist es nicht auszuschließen, dass irgendwann mal ein übereifriger Gesetzeshüter auftaucht. Die haben ja auch ihr Nest direkt vor Ort.
Und je weiter hinten man als erster hält, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kunden einfach über die Straße gehen und eines der anderen Taxis weiter hinten nimmt. Das ist kein Weltuntergang, aber dass man das als erster auch nicht unbedingt forcieren will ist klar. Zudem sich einige eher weniger mobile Leute gerne mal aufregen, warum wir da so weit da hinten stehen…

Naja, und was den Nörgler angeht: Ganz egal, was jetzt genau der Kollege gesagt hat, es wird nicht weniger peinlich gewesen sein als das Argument

„Jetzt komme ich zu spät zum Spiel und dann darf ich mir noch so einen Scheiß anhören!“.

Darüber hinaus glaube ich nicht, dass das

„typisch Taxifahrer“

war. Sonst müsste ich hier ja jetzt „typisch Radfahrer“ argumentieren, und da kenne ich zum Glück schon persönlich genügend, von denen ich weiss, dass sie wegen einer Äußerung zum eigenen Verhalten nicht gleich ganze Berufsgruppen ausrotten wollen…

Guter Kilometerschnitt

Und dann war da der Kollege, der an der Halte mit einem mildtätigen Grinsen „jammerte“, dass er gerade über eine Stunde durch die Stadt gefahren ist.

„Und wofür? Für ’ne Kurzstrecke!“

Ich geb ja ungern an, aber da hab ich dann doch folgendes sagen müssen:

„Weisste, ich steh jetzt seit einer Stunde hier und hab immerhin auch 2 € verdient.“

Und das ist mehr, als der Kollege von der Kurzstrecke netto (oder auch brutto) haben wird. Diese Meisterleistung ist mir allerdings auch nur gelungen, weil die ungefähr 10. Anfrage an diesem Abend am Ostbahnhof nach dem Maria so lief, dass ich gefragt wurde, ich nett und freundlich den unkomplizierten Weg erläutert habe, und die Frau dann völlig überraschend meinte:

„Hey, kann ick dir’n Zwickel jeben?“

Ich hab es nicht übers Herz gebracht, nein zu sagen 😉

Die ganz wichtigen Probleme

Unfreiwillig mitgehört, zwei Mädels hinten im Taxi:

„Ey!!! Muss isch disch mal Bild zeigen! Ey wart mal!“

„Boah, waaaas?“

„Ey, habsch doch gesagt, dass isch die Freundin vom Hassan gesehn hab. Ey Alter, scheiße! Ey die sieht aus wie 13! Habsch misch geguckt, hat aber nur ein Bild bei Internet. Gucksdu!“

„Ey, escht?“

„Ey, Alter, die ist 17! Will der misch verarschen. Ey guck dir die mal an. Und weißsch, die sieht mal von der Seite noch mehr Scheisse aus. Ey, alles was die gleisch mit mir hat, ist dass die auch blond ist! Der will misch verarschen. Gucksdu!“

„Boah krass!“

Bin ich unnormal, weil ich solche Gespräche nie geführt habe?

Der Mike, der Sash und die Einsamkeit

Manchmal wird man wirklich auf eine harte Probe gestellt.

Ich hab sie mitten in Friedrichshain auf der Straße aufgegabelt. Auf dem Weg von nirgendwo nach irgendwo. Sie grinste ein wenig schief, fragte mich, ob es ok sei, dass sie nur eine Kurzstrecke fahren wollte und nannte ihr Fahrtziel. Es war nicht sonderlich weit, nur einmal abbiegen, rein technisch kein Thema.

Sie war schon etwas älter, blond, zierlich und hatte gewaltig einen im Tee.

Sie lallte ein wenig, holte mit den Augen weit aus, wenn sie einen neuen Satz begann, und das tat sie mit einer verblüffenden Frequenz. Aus irgendeinem nichtigen Grund sind wir auf meine 2 Meter Lebendgröße zu sprechen gekommen und da packte sie dann die Erinnerung.

„Weißt du, wissen sie, darf ich du sagen?“

„Klar, kein Thema!“

„“Naja, ich bin ja schon älter, da darf ich das. Du erinnerst mich an Mike.“

Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut…

„Weisst du, Mike war ein Freund, den ich vor einem Jahr verloren hab.“

„Das tut mir leid!“

„Und naja, Mike war genau wie du. Der war auch so groß und kräftig und so gut gelaunt.“

Was antwortet man auf sowas? Mir ist nichts eingefallen. In was für einer Beziehung sie zu Mike genau stand, weiss ich bis heute noch nicht, aber getroffen hat es sie offenbar. Das Fahrtziel wurde nochmal ein paar hundert Meter verschoben, für einen letzten Drink in einer anderen Kneipe, und die letzten beiden Minuten wurden seit einiger Zeit die längsten zwei Minuten im Taxi für mich.

„Darf ich noch was sagen?“

fragte sie, als ich am Ziel anhielt.

„Aber selbstverständlich. Hektik lassen wir so spät nicht aufkommen. Ich bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht!“

Ich bin zu gutmütig, verdammt. Ich hab nen wichtigen Termin, ich muss weg, meine Frau ist schwanger, mein Kind stirbt. Aber nee, ich sage, ich habe Zeit 🙁

Und jetzt rast die Zeit bei allen bitte mal zurück zu all den peinlichen Situationen auf dem Pausenhof, im Klassenzimmer, im Schwimmbad, zu den Kindergeburtstagen in die Wohnzimmer von fremden Eltern. Zu jenen Momenten, in denen man man noch gar keine Ahnung hatte, was man eigentlich will, aber das jemand anders unbedingt mitteilen muss. Zu den Momenten, in denen man erstmals feststellt, dass Augen nicht nur zum Raus-, sondern auch zum Reinsehen da sind. Zu Momenten, die meist mit dahergestammelten Satzfragmenten à la „Du, weisst du, ich, ähm, du bist, ich, ich mag dich.“ enden. Oder mit dem anschließendem Wegrennen. Wenn ihr das vor Augen habt, dann könnt ihr euch vielleicht das Rumgedruckse von ihr vorstellen, die Kraft, die sie sichtbar angestrengt aufbringen musste, um folgendes zu sagen:

„Ich, ähm, ich wünsche mir schon lange mal wieder so einen Freund, wie Mike, wie dich!“

Ich glaube, es gibt keinen richtigen Satz in dem Moment. Meiner hat wenigstens funktioniert:

„Das glaube ich ihnen gerne. Wenn Mike so ein guter Mensch war. Aber glauben sie mir: Es gibt einen ganzen Haufen gute Menschen hier draußen.“

„Früher hatte ich viele Freunde wie dich, große, die mich beschützt haben. Es ist komisch. Ich bin jetzt 50, ich weiss ja, dass das nicht mehr so einfach geht.“

„Machen sie sich doch nicht ausgerechnet heute einen Kopf deswegen. Schlafen sie erstmal ihren Rausch aus, und dann sehen sie weiter!“

Ich bin eine Niete im Körbe austeilen. Aber dieses Mal ging es ja ganz gut aus… abgesehen davon, dass es kein Trinkgeld gab. Nach ein paar weiteren Halbsätzen ist sie dann nämlich ausgestiegen, nicht aber ohne ein letztes Kompliment:

„Du siehst wirklich gut aus!“

Jetzt wo ich das schreibe, geht es runter wie Öl, aber in der Erinnerung habe ich es kein bisschen genießen können. Ich war letztlich froh, als sie weg war. Um sie tat es mir leid, aber ja, es gibt sie, diese Momente, in denen es im Taxi einfach zu eng wird. Viel zu eng.

Jaja, die Kinder…

Fangen wir nach der langen Pause doch klassisch mit einer Matrix-Tour an!

Die Jungs haben mich hinten als Dritten gleich angequatscht, ob ich 5 Leute mitnehmen könne. Und wie viel es zum Generator kosten würde. 7 bis 8 Euro hätte der Kollege gesagt.

„Nee sorry, das reicht nicht ganz. Die Fahrt kostet exakt 9,40 €. Dann kommen aber noch die 1,50 für die fünfte Person dazu. Also 10,90€.“

„Machen wir 10 € glatt?“

„Nee, jetzt stellt euch nicht so an.“

„11 €!“

„Ich hab doch 10,90 € gesagt!“

„OK, alles klar!“

Zum einen hab ich natürlich jetzt drei Jugendliche von der Rückbank pflücken dürfen, um den einen Zusatzsitz rauszuklappen, aber es ist nicht selten, dass die Leute das OK für 5 Leute verwechseln mit einem „OK, ausnahmsweise dürft ihr euch zu viert auf die Rückbank quetschen!“

Dann ist einer der 5 plötzlich weggegangen und hat rumgemeckert, er hätte jetzt schon die Tageskarte bezahlt und er würde so heimfahren, wenn das noch extra kostet. Seine Kumpels haben ihn alle gedrängt einzusteigen, er solle nicht so einen Stress machen wegen dem bisschen Geld – fast schon selten sowas.

Auch wenn das zu Beginn alles recht stressig klingt, war die Fahrt zunächst sehr angenehm. Die 5 haben rumgealbert, sich ein bisschen gegenseitig geneckt, Jugendliche nach einer Party eben! Noch dazu nicht einmal voll wie Eimer, kein bisschen aggressiv… super Kundschaft im Grunde.

An der Warschauer Ecke Kopernikus ist dann tatsächlich die Mimose von vorhin wegen irgendeines unbedeutenden Spruches unter hunderten an der Ampel ausgestiegen und wollte den Rest laufen. WTF?

Seine Kumpels haben mich gebeten, anzuhalten, sie würden dann auch hier aussteigen. Der Unmut wurde allerdings lauter, und so kam es, dass ich rechts rangefahren bin, nicht auf ihre Wünsche gehört habe („Fahr den einfach um, ok?“), und die Fahrt nach halber Strecke quasi beendet habe. 6,70 € standen da, und selbst der eine Spinner, der jetzt nochmal anfragte, ob ich 6 machen würde, war eher auf einen Witz aus.

Naja, einer ist ausgestiegen und die anderen haben beschlossen, auf die beiden Idioten zu pfeifen und wollten, dass ich weiterfahre. Das Taxameter war schon aus, also hab ich es ausgelassen. Ich kenn ja den Gesamtpreis und hab mit den Jungs ausgemacht, dass es dabei bleibt.

Als wir die beiden anderen überholt haben, hagelte es noch böse Sprüche hin und her, der Rest war einfach nur locker. Die drei verbliebenen haben sich noch darüber amüsiert, wie weit der Weg für die anderen beiden jetzt wäre und waren am Ziel blendender Laune. Mit 11 € wollten sie mich von Dannen ziehen lassen, dann aber machte der eine nochmal die Tür auf und meinte:

„Ey, hier haste noch 50 Cent. Hol dir’n Bier! Auf jeden! Wie lange arbeiteste noch?“

„Ach, schon noch so 3 bis 4 Stunden…“

„Aber danach holste dir ein Bier! Versprochen?“

„Ich werd‘ sehen, was ich tun kann.“

Bleibt abschließend nur anzumerken, dass es erstaunlich treffsicher war mit den 60 Cent Trinkgeld. Wo mein Bier in meinem Supermarkt doch 59 Cent pro Flasche kostet 🙂

Ach so, bevor sich jemand wundert:

Ich hab auf dem Rückweg vom Generator in Richtung belebter Gebiete einfach kurz für 4,20 € das Taxameter angeschmissen, damit die Abrechnung auch für meinen Chef stimmt.

Feels good to be back!

Ich fand die Schaltung hakelig!

Anderthalb Wochen nicht im Taxi gesessen. Das ist nicht gut! Und an solchen Details merkt man es dann…

Ich bin wieder weitestgehend fit und hab meine erste Schicht hinter mir. Und anders als damals nach all den Ferien in der Schule hat es sich heute richtig gut angefühlt, wieder da zu sein. Und ich muss anmerken, dass ich fast immer gerne zur Schule bin. Aber Montags um 8 Uhr nach den Pfingstferien 2 Stunden Mathe ist einfach nicht so geil wie Abends ab 20 Uhr ein paar Stunden Wochenendschicht im Taxi in Berlin nach einem gewonnenen Verfahren und einer Woche Krankheit 🙂

Mein Tagesrhytmus ist – nicht zuletzt dank Vodafone – immer noch ein wenig verschoben, deswegen war es keine 10- oder 11-Stunden-Schicht, sondern nur eine verhaltene 8-Stunden-Schnupperphase. 8 Stunden purer Wahnsinn in Kommunikationsform. Intelligenzbremsen und Sympathiekracher, Schwanzmädchen (Hey, nicht meine Wortwahl) und Iren in Kilts. Intelligenzverweigerer und depressive alte Menschen… als ob man die Kelle tief in den Topf mit der Aufschrift „Randexistenzen“ tunkt, und unbesehen den Inhalt zu sich nimmt.

Es hat nur auf 15 Fahrten gereicht, aber mit etwas Geschick kriege ich wahrscheinlich Blogeinträge für eine Woche daraus extrahiert. Tut mir leid, dass dies noch nicht der erste von diesen ist, aber ich wollte zuerst mal verkünden, dass ich jetzt wieder da bin. Und glücklich!

Schönes Wochenende euch allen!

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Sorry, Taxiblogger!

Nummer eins!

Hab mich gerade mal wieder zu google verirrt und bei einer kleinen Anfrage nebenbei festgestellt, dass ich derzeit mit den Begriffen „taxi blog berlin“ das erste Suchergebnis bin. Mir ist schon klar, dass ich seit spätestens Anfang dieses Jahres zu den bekanntesten Taxibloggern gehöre, aber dass ich Frank Fischer bei google mal toppen würde in dieser Stadt… wow!

Olé oléoléolé! Screenshot: google.de

Olé oléoléolé! Screenshot: google.de

Zur Versöhnung: Mit „taxi blog“ ohne Ortsangabe bin ich nach wie vor Dritter hinter Frank und Torsten.