Haste Bock?

[Mundharmonika im Wüstenwind]

Ewig ziehen sich die vielen Kilometer durch die Kreuzberger Nacht bis zum Ostbahnhof. Kaum Leute auf der Straße, und somit vollkommene Trostlosigkeit im Taxiland. Tod liegt in der Luft. Die Nacht ist zwar nicht mal kühl, aber grausam natürlich dennoch. Am Bahnhof angekommen reihe ich mich in die Schlange ein. Mindestens 25 andere Taxen vor mir. Naja, eher tausend. Nach zwei Minuten ein Vorrücken. Endlich die seit gefühlten Monaten ersehnte letzte Nachrückschlange. Offiziell Ostbahnhof. Die Wochenzeitung harrt ihrer Erkundung, hunderte von Seiten Wahlkampfgebrabbel liegen zwischen mir und dem ersten Kunden. Und eine Stange Zigaretten. Mindestens. Ich rutsche im Sitz umher und grabe mich gemütlich in meine Sitzkuhle: Gemütlich machen, wird eine lange Nacht. Während ich durch die Frontscheibe den Mond suche, um ihn anzuheulen, kommt eine ungemütliche Gestalt auf mich zu. Unsere Blicke treffen sich, ein Hauch von wildem Westen liegt in der Luft. Wer zieht schneller? Oder worum geht es eigentlich? Ein einsamer Wanderer vielleicht, der den Weg zu den käuflichen Damen sucht – oder ist es gar ein klammer Reisender, der den Fahrtpreis zum gegenüberliegenden Ibis-Hotel zu erkunden sucht?

„Hey, haste Bock zum Kurt-Schumacher-Damm zu fahren?“

Öhm!? Nö? War grad so toll…

Hey, ein Bundi, der nicht besoffen war! Noch dazu ganz nett und am Taxifahren interessiert. Lange Fahrt – fast 20 € – langes Gespräch, keine Zahlungsprobleme, ein gutes Trinkgeld knapp über dem Durchschnitt und das Ganze für drei Minuten warten. Perfekt.

War wohl nix…

Ich bin schon froh, dass mein Schlafrhytmus wegen des vielen Nicht-Arbeitens in den letzten Wochen ein wenig aus dem Takt ist. Sonst hätte ich die Idee meines Chefs, mich mittags zu einer Werkstatt fahren zu lassen, um ein Dachschild für Werbung montieren zu lassen, weit negativer aufgefasst als ohnehin schon.

Aber er war so nett, mich wenigstens nicht als letzten anzurufen, sodass ich noch eine Terminwahl hatte, die sich wie folgt gestaltete: 11 Uhr, 12 Uhr, 13 Uhr oder 14 Uhr.

Das ist, wie wenn man Menschen mit normaler Arbeitszeit bittet, doch eine Stunde ins Geschäft zu kommen entweder um 1 Uhr, 2 Uhr 3 Uhr oder 4 Uhr morgens… aber naja, ich erwarte von den armen Werkstattmitarbeitern keine Nachtarbeit und da mein Tagfahrer im Urlaub ist, habe ich das Auto nunmal den ganzen Tag…

Ein bisschen deprimierend war dann der Dialog im Autohaus:

Sash: „Hallo, machen Sie die Dachschilder bei uns an die Taxen?“
Mitarbeiter: „Genau! Opel Zafira? Antenne vorne?“
Sash: „Jo!“
Mitarbeiter: „Geht nicht!“

Tja, haben die also festgestellt, dass die Dachträger für die Schilder nicht so aufs Auto passen, wenn die Funkantenne dort angebracht ist… natürlich erst beim Versuch, sie zu montieren. Das waren dann Pi mal Daumen etwa 23 Kilometer Fahrtweg für nichts. Und ich bin – wie eingangs erwähnt – froh, dass mein Schlafrhytmus ohnehin nicht so super war die letzten Tage…

Vorbildlich

So, für alle Interessierten:

Der Fahrgast, dessen Begleitung für den ruinösen Zustand meines Arbeitsgefährtes in den frühen Morgenstunden des 5. September verantwortlich war, hat die Rechnung beglichen. Die Überweisung kam fristgerecht und nicht ohne ein „Danke“ im Verwendungszweck – also ordentlich, wie ich es erwartet habe.

Schön, wenn Menschenkenntnis mal funktioniert.

So hat sich die Schicht insgesamt doch noch gelohnt, was nun aber nicht unbedingt heisst, dass ich nicht einen normalen, angenehmen Verlauf bevorzugt hätte. So knapp bei Kasse, sich einen kotzenden Kunden zu wünschen, muss man erst mal sein…

Nach all den Unterredungen mit Kollegen zum Thema sowie den angeschnittenen Diskussionen in den Kommentaren hier, werde ich wahrscheinlich in Zukunft auch auf Sofortkasse bestehen, aber gleichzeitig bin ich froh, dass das jetzt alles reibungslos funktioniert hat.

Der Betrag war letzten Endes mit 185,75 € inkl. der Fahrt zwar nicht so hoch wie oftmals angesprochen, aber Grund zum Trauern gibt es jetzt, da die Erinnerung an schleimige Zwiebelstückchen langsam verblasst, auch nicht mehr…

Von "Irgendwoher"

Es ist eine verständliche Sache, dass Angestellte der Amüsierbetriebe in Berlin desöfteren bei Taxifahrern aufschlagen, um Werbung zu machen. Ich denke, es ist ein offenes Geheimnis, dass wir recht gut entlohnt werden, sollte ein Gast auf unsere Empfehlung ein Etablissement wählen.

Am Ostbahnhof tauchen also auch gelegentlich Damen und Herren des horizontalen Gewerbes auf, um die Flyer unters fahrende Volk zu bringen. Dazu die kurze Info, wieviel Geld uns erwartet, wenn wir Kunden abliefern und das war’s.

Befremdlich ist es, wenn dann plötzlich der Satz fällt:

„Sie kenne ich doch von irgendwoher…“

Und glaubt mir, es liegt nicht daran, dass Ozie mitliest, wenn ich sage, ich habe bisher erst einmal ein Bordell betreten. Das war schon in meiner Eigenschaft als Taxifahrer und eher eine peinliche Geschichte, weil der Gast dort Stammgast war, was er natürlich in seinem volltrunkenen Zustand während der Fahrt nicht mehr herausgebracht hat. Aber gut…

„Irgendwoher“ kannte sie mich also. Die Geschichte würde den meisten wahrscheinlich links ins Ohr rein und rechts wieder raus gehen, aber ich bin eigentlich jedes Mal überrascht.

Ich sehe einfach nicht sehr durchschnittlich aus. Schon Größe und Gewicht schließen 99% der Bevölkerung als Doppelgänger aus, und es bedarf keiner von Ohr zu Ohr reichenden Narbe um mir zu attestieren, dass ich kein Durchschnittsgesicht habe.

Es lässt mich zwar nicht an meiner Individualität zweifeln, wenn man mich verwechselt, aber es kommt einfach zu selten vor. Genau genommen zwei Mal in den letzten 10 Jahren. Und da zählt die Dame oben schon dazu.

Das andere Mal war aber zugegeben noch ein wenig verwirrender, da mich damals eine Dame vor einem Stuttgarter Supermarkt ansprach und mir fortwährend versuchte einzureden, ich sei doch der Typ von einer Kölner Sauna. Dass beide Ereignisse Frauen als Protagonisten hatten und ich bei beiden den Eindruck hatte, sie wären überzeugt davon, mich schonmal unbekleidet gesehen zu haben, macht die Sache nicht weniger verstörend.

So ein Großes…

„Kann ich bei ihnen mitfahren, ich brauch nicht so ein Großes…“

…und deutete auf die C-Klasse eines Kollegen. Messen die Kunden jetzt den Hubraum oder was?

"In ihrem Alter…"

„In ihrem Alter braucht man das noch nicht…“

war die Aussage einer Kollegin am Ostbahnhof auf die Anfrage einer jungen Familie, ihr kleines Kind ohne Kindersitz mitzunehmen.

Ich muss ehrlich gestehen, ich weiss nicht, ob es irgendwelche derartigen Grenzfälle gibt. Mir sind nur die einschlägigen Paragraphen mehr oder minder bekannt, und soweit ich weiss, ist es in keinem Alter gestattet, Kinder ohne geeignete Rückhalteeinrichtungen an Bord zu transportieren.

Ganz abgesehen davon halte ich es für unverantwortlich, Kleinkinder derart ungesichert mitzunehmen!

Aber kann mir irgendwer (ein Kollege) das bestätigen oder mir zeigen, ob es da eine Ausnahme gibt? Ich hab nichts dergleichen gefunden und halte es nach wie vor für eine selten dämliche Aussage, die einmal mehr nur der Rechtfertigung gedient hat, eine Fahrt anzunehmen, die alle anderen Kollegen abgelehnt haben.

Nachtrag 2011: Inzwischen bin ich auch etwas schlauer und es gibt diese Ausnahmeregelung. Daran, dass es bescheuert ist, hat sich nichts geändert. Hier der Link zum aktuellen Beitrag.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

Abonniert doch den RSS-Feed von GNIT. Mehr von Sash gibt es außerdem bei Facebook und bei Twitter.

Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Kunden haben keine Ahnung! (2.2)

So, liebe Gemeinde. Hier kommt die Auflösung der gestrigen Fahrt!

Wir erinnern uns: Es geht von der Ecke Neue Bahnhofstr./Boxhagener Str. zum Knaack (der Einfachheit halber Greifswalder Str./Immanuelkirchstr.)

Der Fahrtweg, den mir ein Kunde unter dem Stöhnen seiner Mitleidenden (und Mitzahlenden) vorgegeben hat. Er hat hier gewohnt, er kennt sich also aus…

Start in der neuen Bahnhofstr. Richtung Norden
geradeaus Gürtelstr.
geradeaus Möllendorffstr.
links Scheffelstr.
geradeaus Eldenaer Str.
geradeaus Ebertystr.
geradeaus Conrad-Blenkle-Str.
links Rudi-Arndt-Str.
rechts Danziger Str.
links Greifswalder Str.

Und als Fast-Anfänger möchte ich nochmal fragen: Über Boxhagener, Frankfurter Tor, Kalle-Allee und Friedenstr. wäre schon kürzer gewesen, oder?