Ein kleines Bisschen Empathie

Ich hab eigentlich eine sehr klare Meinung zu Leuten, die besoffen oder unter dem Einfluss anderer Drogen Auto fahren. Und ja, auch obwohl ich glücklicherweise selbst vor mehr als einem Jahrzehnt mit ein paar wenigen Verstößen diesbezüglich ungeschoren davongekommen bin. Ich bin inzwischen vernünftig genug, das nicht mehr zu glorifizieren.

Aber dann saß da ein (zumindest halbwegs) sympathischer Mensch neben mir im Taxi und hat mir unbedingt erzählen wollen, wie er vor ein paar Jahren seinen Führerschein wegen Alkohol für ein Jahr abgeben musste. Und die Geschichte ist zu schön, um sie nicht zu teilen.

Es war, als vor einigen Jahren eines der letzten großen Fußballturniere stattfand und er mit einem Freund in einem Wohnmobil einen Urlaub geplant hatte. Nette Gegend in Deutschland, leider waren sie zum Spiel wegen dem lahmen Gefährt spät am Bestimmungsort angelangt und hatten dann auch noch Probleme, eine Kneipe mit Fernseher zu finden, die sie noch reinlässt. Aber am Ende stand das mobile Zuhause auf einem Parkplatz und in der Gaststätte nebenan ließ sich das Spiel verfolgen.

Und dann begann die Kettenreaktion. Zum einen war es ein langes Spiel der Lieblingsmannschaft, es ging über die Verlängerung bis ins Elfmeterschießen. Entsprechend fielen mehr Drinks an. Was ja ok ist, wenn man den Schlafplatz vor der Tür hat.

Dann kam etwas, bei dem mein Fahrgast zugab, dass es sich wie Slapstick-Comedy anhöre, aber wirklich nicht absurd klang: Sein Kumpel ging in Richtung Tresen, woraus er schloß, dieser würde zahlen. Allerdings ging er am Tresen vorbei aufs Klo. Bei der Rückkehr dachte der Kumpel, es wäre bereits gezahlt und fragte, ob sie nun gehen sollten.

Kurzum: Sie verließen die Kneipe ohne zu zahlen.

Als sie am Wohnmobil ankamen, stand plötzlich der Wirt mit drei „Gorillas“ neben ihnen und forderte sein Geld. Mein Fahrgast versicherte, dass sie sich entschuldigten und mit einem Trinkgeld von mehr als 10€ aus dem Missverständnis verabschieden wollten. Das lief wohl vorerst auch gut ab, aber die Schlägertypen zogen sich wohl nicht wirklich zurück, sondern verharrten auch nach der Aktion leidlich versteckt keine zehn Meter entfernt um wer weiß was zu tun.

Da beschlossen die zwei versehentlichen Zechpreller dann, dass sie vielleicht doch nicht auf dem Kneipenparkplatz übernachten sollten und sind trotz dezentem Pegel eine Ortschaft weiter gefahren. Am Abstellplatz dort trafen sie nette Leute, verquatschten sich und stellten dann fest, dass trotz Klärung mit Trinkgeld der Kneipenbesitzer die Polizei informiert hat, dass da ein Berliner Wohnmobil mit besoffenen Zechprellern unterwegs war.

Am Ende kam mein Fahrgast dann wohl nicht umhin, zuzugeben, dass er die Kiste von A nach B gefahren hat, sein Pegel wurde amtlich festgestellt und das war es dann mit dem Führerschein …

Ja, er hätte nich fahren dürfen und ja, er hat dabei natürlich andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, die Strafe ist ok gewesen.

Trotzdem kann ich das alles gut nachvollziehen und bin in meinem Urteil eher milder.

PS: Er hat laut eigenen Angaben den Schein inzwischen wieder, insbesondere, weil er aus eigenem Antrieb (also ja, Angst vor einer MPU) einfach mal ein halbes Jahr nix getrunken und das auch protokollieren lassen hat. Ich vermute wirklich stark, dass das schon in Ordnung geht. Immerhin hat er jetzt nach der Weihnachtsfeier ja auch artig ein Taxi genommen. 🙂

„Drecksvolk, überall!“

Das jedenfalls sah mein Fahrgast bezüglich meiner Arbeit, die er (wie viele andere) sehr theatralisch „ja nicht machen könnte“. Aufhänger seiner Wut über die schlimmen Menschen in Berlin war, dass nach seinem Einstieg ein Typ ans Taxi kam und sich erkundigt hat, ob ich ihn heimbringen könnte. Nach meinem Hinweis, dass ich bereits besetzt bin, hat er nur kurz gefragt, ob die Chancen gut stünden, dass er gleich ein weiteres Taxi finden würde. Ein anderer Mensch, drei Sätze, 20 Sekunden, was halt passiert, wenn man kein Eremit ist.

„Dem Sprallo hätt‘ ick die Fresse poliert, wenn er nich locker gelassen hätte!“

Meinte mein Fahrgast. Das Ganze garniert mit dem Hinweis, dass er das schon oft genug gemacht hätte. Ihm mache da keiner was vor, er sei schließlich ein hohes Tier bei einem Rockerclub. Aha.

Das Kuriose war, dass er dann völlig ohne eine Ahnung zu haben, wie kehrt seine Wende genau war, angefangen extrem nett zu sein. Hat mir den Weg erklärt, beteuert, dass er ja auch Dienstleister sei, hat mir seinen Job erläutert und mir den erwartbaren Fahrpreis plus Super-Trinkgeld gleich vorab in die Hand gedrückt.

Und halt nebenbei bedauert, wie scheiße halt alle sind.

Es mag so eine mir eigentlich bekannte Dunning-Kruger-Effekt-Sache sein, aber ich bin immer wieder fasziniert davon, wenn Menschen genau den Klischees entsprechen, über die sie sich beschweren.

Bitte nur nach Hause …

Retter in der Not ist man als Taxifahrer schon gelegentlich. Nett aber ist das nicht immer. Insbesondere, wenn es mal wieder „Kollegen“ waren, die den ganzen Scheiß erst ausgelöst haben.

Ich war eigentlich auf dem Weg nach Hause. Und damit fast erfolgreich, denn ich fuhr am Bahnhof Marzahn an die Ampel und die war sogar grün. Ich wollte schon in meine Heimatstraße abbiegen, da sah ich ein zaghaftes Winken 50 Meter geradeaus. Und so ist das Spiel eben: Die Fackel war noch an, also bin ich kurz rüber. Eine junge Frau, Party-Outfit und ziemlich durch den Wind. Sie stieg heulend ein und flehte mich an, sie zu einer Haltestelle in Hellersdorf zu bringen. Ich hab das selbstverständlich bejaht und der Tränen wegen nachgefragt, ob ich sonst irgendwie helfen könne.

Nein, nur nach Hause. Sie wiederholte den Haltestellennamen mehrfach und entschuldigte sich fürs Weinen.

„Bringen Sie mich bitte einfach nur nach Hause. Der andere Taxifahrer hat mich hier abgesetzt.“

BITTE WAS?

Aber ja, natürlich. Eine junge Frau will nach Hause und der Taxifahrer wusste angeblich den Weg. Einen trotz der ordentlichen Länge der Tour deutlich teureren. So zumindest meine Vermutung. Das Dumme war nur: Die Frau kannte sich aus und wusste den richtigen Weg. Auf ihre Frage, warum sie jetzt auf die Landsberger fahren, soll der Kollege irgendwas im Sinne von „Halt die Klappe, das passt schon so!“ gesagt haben.

Ich weiß, was jetzt kommt. Ich hätte auch spätestens da die Nummer notiert, vermutlich auch die Firmenadresse. Aber ich weiß auch wo die Daten stehen und außerdem hätte ich da keine Panikattacke bekommen wie die Kundin. Die im Übrigen auch nicht sprichwörtlich Panik hatte, sondern richtig. Also echt, nicht wegdiskutierbar. Sie sagte mir, sie sei schon mal überfallen worden und die Situation, dass der Typ jetzt nicht dahin fahren wollte, wo sie sagte und sie sich zunehmend weniger auskannte, hat sie überfordert. Erst am Eastgate hat sie ihn überhaupt überreden können, sie rauszulassen. Und da stand sie dann, nachdem der Fahrer „sich sein Geld genommen hat“ bei Minusgraden am menschenleeren Bahnhof in der Prärie.

Egal, wie sich dieses oder jenes Detail jetzt vielleicht genau gestaltet hat: Dass der „Kollege“ da völlig versagt hat, da steht meine Meinung fest. Selbst wenn Sie sich bei der Ansage der Route etwas vertan haben sollte: Seine war definitiv falsch! Im Sinne von Kilometerweit falsch! Außerdem: Wenn die Kunden einen Umweg wollen: Sie haben das Recht, den Weg zu wählen! Ob sein Tonfall nun nur so mittel unfreundlich oder arschlochmäßig war: Ich finde beides daneben! Mich haben meine vielen „Wenn ich hier lang und dann hinten bei XY durchfahre ist das etwas kürzer“ nie umgebracht und auch noch niemanden verängstigt. Und zum Thema verängstigt: Wenn sich wer sichtbar unwohl fühlt, fragt man verdammt nochmal nach und bietet Lösungen an!

Hier mal eine Formulierungshilfe:

„Ach, Sie wollten über die XY-Straße fahren? Ich dachte, diese Route wäre kürzer, aber wenn Sie wollen, dann fahre ich jetzt blablabla …“

Wir sind fucking Taxifahrer, wer wenn nicht wir kann drüber reden, warum wir wohin fahren?

Naja, am Ende hab ich die Gute „nur nach Hause“ gebracht. Es war in gewisser Weise anstrengend, weil sie noch sichtbar Angst hatte, aber auch das ist eigentlich eine echte Selbstverständlichkeit. Wenn ich im Folgenden kurz ein paar Dinge aufzähle, die ich gemacht habe, dann nicht, um mich selbst zu loben, sondern zum einen um das zur Diskussion zu stellen für Leute mit Angststörungen oder Traumata, zum anderen um unerfahrenen Kollegen, die sich nur nicht trauen, was an die Hand zu geben:

  1. Ich hab verständlich und in ihren Worten gesagt, dass ich sie selbstverständlich heimbringe.
  2. Ich habe zu verstehen gegeben, dass ich den Weg kenne, habe ihr Wegmarken genannt, die sie kennen müsste, um ihr zu erklären, warum ich wohin fahre. (An der Stelle kann man natürlich auch das Navi programmieren und keinesfalls vom Weg abweichen, egal wie blöd der ist!)
  3. Ich hab sie ernst genommen und gesagt, dass ich verstehe, warum es ihr gerade schlecht geht.
  4. Ich habe mich deutlich von solchen „Kollegen“ distanziert und zudem klar gemacht, dass ihr Anliegen heim gebracht zu werden, völlig normal ist und dass der Fehler nicht bei ihr lag.
  5. Ich hab selbstverständlich ruhig und gelassen reagiert und (obwohl ich zwischendrin Dinge erfragt habe) einfach konsequent mit „Das ist kein Problem“ o.ä. geantwortet.
  6. Mit meinem Blick für Kleinigkeiten hab ich z.B. am Ende, als sie mich noch bis vor die Tür gelotst hat, immer schnell ihre Anweisungen bestätigt, extra früh den Blinker gesetzt usw., um zu vermitteln, dass ich wirklich das mache, was sie ansagt.

Wir haben sogar, obwohl es ihr am Ende immer noch scheiße ging und sie zwei Minuten zitternd ihren Schlüssel gesucht hat, einiges geklärt. Von so Sachen wie der Bezahlung (Sie hätte ja kein Geld mehr haben können) über den „Kollegen“ (der leider wirklich nicht ermittelbar sein wird) bis hin zu Ideen, wie man das nächstes Mal anders machen könnte (Aber ganz ganz wichtig: Ich hab keinen lehrerhaften Vortrag wie jetzt hier gehalten, sondern klargestellt, dass das jetzt kein Vorwurf, sondern nur eine Idee für später ist).

Wie angedeutet: Ich hab da nix „fixen“ können. Panik ist eine ernste Sache, die nicht mit einem „Hab dich nicht so!“ geheilt werden kann. Ob mit oder ohne traumatischen Hintergrund. Und eigentlich war ich am Ende ohnehin nur ein anderer Taxifahrer, zum Glück wohl ein an diesem Abend eher überdurchschnittlicher. Trotzdem hat sie am Ende der Fahrt nach einer Viertelstunde immer noch geheult und ich wusste, dass mein Wunsch, sie möge noch eine wenigstens halbwegs gute Nacht haben, vermutlich für’n Arsch war.

Aber um nicht ganz so traurig zu enden und außerdem weil ich scheiße stolz darauf bin, möchte ich noch anfügen, wie sie sich verabschiedet hat:

„Danke! Du bist super! Bleib so, bitte. Bring Du die jungen Mädels heim, ok?“

Abgemacht. 🙂

Hasse Kraft?

Das hat er mich gleich zu Beginn so gefragt:

„Hasse Kraft?“

Und das nicht, wie ich zunächst befürchtete, weil ich zuvor am Stand die Augen kurz zugemacht hatte:

„Ick hab da’n Fernseher jefunn! Sauschwer. Bin eben umjefalln!“

Nachvollziehbar. Es handelte sich um ein Röhrenungetüm, das näher an unserem 43“-TV war als an meinen 24“-PC-Monitoren und der Typ war um die 60 und wog allenfalls so viel wie die oberen 30% meiner Wenigkeit. Zu zweit war das Ding aber in Windeseile gewuppt und dann ging es zu ihm. Er erzählte mir, dass er die Dinger ausschlachtet, ein bisschen Kohle neben Hartz4, „verstehste?“

Überhaupt hab ich noch einiges aus seinem Leben erzählt bekommen.

Am Ziel angekommen hab ich natürlich auch beim Ausladen geholfen. War aber genauso schnell erledigt, ab der Tür hat dann sein Kumpel mitangepackt, den er in seiner Wohnung einquartiert hätte, weil jener „gar keene Bude“ hätte.

„Wat krichsn jetz?“

„Naja, 13,90€ haben wir schon zusammenbekommen.“

Nur einen Zehner zu bekommen hätte mich nach der Story nicht überrascht. Stattdessen waren es zwei. Und die sollte ich behalten. Unbedingt:

„Dit is ok! Weil de jeholfn hast!“

Also meinen Job gemacht. Aber er schob sogar nach:

„Dit is aba in Ordnung? So finanziell, ja?“

Sagen wir’s mal so: Das höchste Trinkgeld der Schicht. Von einem Arbeitslosen, der seit zwei Jahren keinen Strom in der Bude hat und Fernseher ausschlachtet, um einen obdachlosen Kumpel mit durchzubringen.

Sowas hätte ich gerne einmal von den Typen, die sich gerne verächtlich von „diesen Asozialen“ abgrenzen …