Vier Junkies

Nee, wat niedlich!

Zwei Jungs hab ich eingeladen. Beide ungefähr 1,95 Meter groß, blondierte Haare. Schlank, aber muskulös. War fast schon schwierig, die im Auto gut unterzubringen – obwohl meine Kiste ja recht geräumig ist. Die beiden hätten eine Traumbesetzung für Baywatch abgegeben, ich musste tatsächlich umgehend an Surfer denken, als ich sie gesehen hab. Ganz aus Hawaii oder Florida hat es sie aber nicht nach Berlin verschlagen, es waren Holländer. Der blondere der beiden hat ein zwar einfaches, dafür aber fast akzentfreies Deutsch gesprochen, der zweite hat offenbar nur niederländisch und englisch verstanden. Wie dem auch sei: Genügend Sprachfertigkeiten für die übliche Taxikonversation waren gegeben.

Ins Berghain wollten sie. Die Uhr zeigte kurz nach Mitternacht, der Club hatte folglich gerade aufgemacht. Von der Simon-Dach-Straße – wo ich sie aufgegabelt hatte – liegt das Pi mal Daumen eine Kurzstrecke entfernt, nach einer solchen haben sie aber gar nicht gefragt. War auch gut, dass ich keine angeboten habe, denn es ging zwischendurch noch zu einer Bank. Ich hab scharf überlegen müssen, dann ist mir die Sparkasse in der Grünberger Straße eingefallen. Ohne Umweg, alles bestens.

Ich halte also an, zeige dem Sunnyboy die Bank und er geht kurz rüber. Ich sehe, wie er vor der Bank steht und zögert. Ich hab mich innerlich darauf vorbereitet, auch auszusteigen. Ging die Tür dort nur mit Karte auf? Oder was war sonst so verwirrend? Als er wieder zum Auto trottete, fragte ich ihn umgehend.

„Da sind vier Junkies in der Bank.“

Ich hab einen Blick an ihm vorbeigeworfen und festgestellt, dass vier Obdachlose am Fenster der Bank saßen und sich dort aufwärmten. Das hab ich meinem Fahrgast auch so gesagt – ohne jetzt ein Fass aufzumachen und eine Diskussion über die Begriffe Obdachloser und Junkie zu starten. Der Kerl – dieser Brecher von Kerl! – hatte Schiss vor ein paar alten bärtigen Männern mit Bier in der Hand …
Ich hab ihm Mut zugesprochen, da hat er es noch einmal versucht. Tapfer ist er reingegangen und hat sich an den Automaten gestellt. Und ich hab ihn beobachtet. Sicher aber nicht, um aufzupassen, ob die „Junkies“ ihm was antun. Die Typen haben nicht einmal aufgesehen, als er rein ist.

Und dann?

Hat er sich ein Herz gefasst, sich umgedreht und sich mit ihnen unterhalten. 🙂
Nicht lange, ein zwei Sätze hin und her. Dann hat er ihnen ganz offensichtlich was von seinem Geld gegeben und ist mit guter Laune wieder rausgekommen. Ich mag diese kleinen Momente, in denen man sieht, wie Vorurteile zerbröckeln. Wenn einen etwas an das Gute im Menschen glauben lässt, dann sowas!

Wieder im Auto sitzend hat er seine Erlebnisse mit seinem Kumpel teilen müssen. Ich hab nicht viel verstanden. Aber er hat ihn offenbar darüber aufgeklärt, dass die „Junkies“ keine Wohnung hätten, ihm aber einen schönen Abend gewünscht haben. Und dass er ihnen fünf Euro gegeben hätte, einfach so. Und ich wusste in dem Moment nicht, für wen ich mich eher freuen sollte …

Der Rest der Fahrt war in zwei Minuten erledigt. Ich hab am Ende der Tour finanziell etwas schlechter abgeschnitten als die „Junkies“, aber das war selbstverständlich in Ordnung. Und bei einem Zehner für 7,80 € auf der Uhr kann ich mich ohnehin nicht beschweren. War die Tour des Abends für mich, ganz ehrlich!

Und noch ein kleines PS dazu: Ich seh so viele Obdachlose da draussen und ich werd auch oft genug von ihnen angeschnorrt. Das fühlt sich nicht immer gut für mich an, noch weniger aber wahrscheinlich für die Leute selbst. Und während ich mich darüber freue, dass wir nochmal Schnee haben, müssen sich manche Menschen um Plätze in Notunterkünften streiten. Ich hab echt ein paar nette Typen unter den Wohnungslosen getroffen und im Nachhinein keinen einzigen Euro bereut, den ich abgegeben hab. Und wenn’s für ein Bier war! Scheiß drauf! Wenn’s für ein paar schöne Augenblicke gereicht hat, dann isses doch ok, so lange es mir nicht wehtut.
Ich hab schon ganze Nächte mit „Pennern“ verbracht und am Ende sind es – Überraschung! – Menschen wie wir auch gewesen. Die wollen wie ich auch leben, und ja: auch mal Spaß haben. Die meisten, die ich kennengelernt habe, waren echt nette Leute, ich hab sogar schon Trinkgeld von Obdachlosen bekommen.

Wir alle haben Vorurteile, natürlich. Aber wir haben auch alle die Möglichkeit, sie zu überprüfen, gegen sie anzugehen. Das wollte ich unbedingt mal gesagt haben.

17 Kommentare bis “Vier Junkies”

  1. elder taxidriver sagt:

    Die Obdachlosen oder die so aussehen wie welche, leisten sich ab und zu auch mal eine Taxe ich habe dann nie was gesagt, geschweige denn gefragt ob sie Geld dabei hätten, das wäre eine Frechheit gewesen denen gegenüber. Ehrensache für sie; ordentlich zu bezahlen. Und bei Holländern habe ich immer versucht bei Herausgabe von Münzen zu sehen, ob ich ’ne
    Beatrix-Münze erwische, falls nicht, habe ich mich entschuldigt : ‚Sorry, leider keine KONIGIN‘.

  2. elder taxidriver sagt:

    KONINGIN !!

  3. Wahlberliner sagt:

    Interessanter Artikel, mal wieder was zum Philosophieren. Zum einen bin ich mir nicht sicher, ob sich der Niederländer Beach-Boy (nicht, weil er Niederländer oder Beach-Boy ist) wirklich so dem geöffnet hat, oder ob er nicht einfach nur verlegen war – wenn er sich schon anfangs nicht hereingetraut hat. Aber das kann natürlich auch ein Vorurteil meinerseits sein…
    Und dann, zu den Vorurteilen ggü. Obdachlosen, da fällt mir, wenn ich mein Leben so betrachte auf, dass sich das gesamte Vorurteilsgebäude ggü. der „armen“ Schicht nach meiner „Flucht“ vom ursprünglichen Heimatort, die dann letztlich in Berlin geendet ist, bei mir von selbst komplett eingerissen hat. Ich habe im Tiergarten gezeltet, bevor ich hier eine Wohnung hatte, oder im Auto geschlafen (alles schon über 10 Jahre her), und habe immer auch andere Mittellose an diesem Luxus teilhaben lassen. Eine Woche lang einen Junkie, der lustigerweise zuvor in der selben Stadt gelebt hatte, wie ich, dann eine Woche lang ein Punk-Pärchen (er 16, sie 24…), und auch ein paar Tage lang einen Afrikaner, der nur Englisch konnte.
    Zugleich bin ich aber auch nach Dahlem in eine Luxus-Gegend gefahren und habe dort eine schon etwas angegraute Millionärin mit den Worten „entschuldigen Sie, schöne Frau“ angeschnorrt, was mir 20€ eingebracht hat – jugendlicher Leichtsinn halt 😉

    Aber ja, die Vorurteile ggü. der Oberschicht waren trotzdem auch vorhanden und sind gewachsen (ich bin ja ganz wohlbehütet mittelschichtig aufgewachsen), doch letztendlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man niemanden wegen seiner finanziellen Situation oder seines gesellschaftlichen Status verurteilen sollte. Eigentlich sollte man überhaupt gar niemanden verurteilen (das schaffe ich aber längst noch nicht immer, vor allem bei Personen die mir „dumm kommen“, aber niemand ist fehlerfrei), denn jeder Mensch ist ein Mensch, mit seiner persönlichen Geschichte, emotionalen und/oder materiellen sowie sozialen Dramen, getanen Fehlern die bereut oder nicht bereut wurden, jeder handelt nach seinem eigenen „Gutdünken“, d.h. niemand tut vorsätzlich etwas, was ihm als „sinnlos“ oder „falsch“ erscheint. Nicht jeder kann etwas für seine Situation, weder als Obdachloser, noch als Millionär, und da jeder Mensch gleich viel „wert“ ist (ein Wert, der, wenn man ihn, egal mit welcher Einheit, beziffern wollte, immer gegen „Unendlich“ ∞ geht, so meine Gewissheit mit der ich auf die Welt gekommen bin, bevor ich dazu erzogen werden konnte), ist es eigentlich auch sinnlos, überhaupt irgendwelche Vorurteile zu pflegen – aber niemand ist perfekt, und ich geh dann mal weiter an mir arbeiten ;-D

  4. Senfgnu sagt:

    Kann mir jemand mal erklären, was dagegen spricht, als Obdachloser Bier zu trinken? Das kostet genausoviel oder weniger wie/als Cola und schmeckt mE weitaus besser. Und ganz ehrlich: Ob jetzt Cola mit hundertdrölftausend Kilo Zucker oder Bier mit ein paar Umdrehungen…das nimmt sich nix.

  5. Jungo sagt:

    Kann mir mal jemand erklären, warum es im „Sozialstaat Deutschland“ Obdachlose gibt? Was hindert die Wohnungslosen daran zum Amt zugehen und sich Hartz IV, Wohngeld, Stütze oder was auch immer zu holen, sobald sie in diese Situation kommen.
    Und falls jetzt jemand mit dem Argument kommt: „Sie haben Scham und trauen sich nicht zum Amt, wollen niemandem zur Last fallen usw.“ – wo liegt dann der Unterschied zum schnorren/betteln?
    Sicher, es gibt eine Menge „Freiwillige“ – aber da diese sich definitiv nicht am etablierten sozialen System (Geld gegen Arbeit) beteiligen wollen, möchte ich sie auch nicht unbedingt mit meinem Geld unterstützen. Warum auch?

  6. Sencer sagt:

    Ohne Wohnsitz keine Unterstützung, ohne Unterstützung keine Wohnung. Hat man einmal Wohnung und Job verloren, ist man einmal raus aus dem geordneten Leben ist es tatsächlich sehr schwer wieder reinzukommen.

  7. Micha sagt:

    So grundsätzlich sehe ich das auch wie Jungo. In einem Land wie Deutschland hat es eigentlich niemand nötig, auf der Straße zu leben. Dafür sind unsere Sozialsysteme dann doch zu gut. Wovon ich in diesem Zusammenhang allerdings auch schon gehört habe, ist dieser – für mich recht unverständliche – Zusammenhang, den Sencer hier darlegt. Dem Amt muss doch klar sein, das ein Obdachloser erstmal Stütze benötigt, um wieder zu einem festen Wohnsitz zu gelangen.
    Ich selbst ärger mich hier in Berlin des Öfteren über die Obdachlosen, die in der S-Bahn schlafen und sich aufwärmen. So generell ist da ja nichts gegen zu sagen, außer, das sie schwarz fahren. Aber sie stellen nunmal einen etwas unschönen olfaktorischen Genuss dar, auf den ich gerne verzichten würde. Dieses ganze Geschnorre inkl. den ganzen Straßenfeger/motz-Verkäufern geht mir massiv auf den Zeiger.
    Gegen das Bier für Obdachlose hätte ich nicht das Geringste auszusetzen – auch wenn ihnen in dieser Jahreszeit ein warmer Tee sicher besser bekommen würde. Es sei jedem auch etwas Spaß gegönnt – so frei sollte jeder sein.

  8. elder taxidriver sagt:

    Naja, Jungo ich erkläre es hiermit, in aller Freundlichkeit , ohne große Hoffnung verstanden zu werden, die soziale Wirklichkeit ist komplexer, als Sie es vielleicht vermuten:

    Es gibt Leute mit verschiedensten Motiven, keinen Kontakt zu staatlichen Stellen zu wünschen.
    Und man kann die nicht einfach einfangen und in Lager oder in Wohnungen stecken, da würden sie wieder entfleuchen. Denn man kann sie auch nicht bewachen, solange sie keinem was zu Leide tun..

    Ein Beispiel kann das verdeutlichen:

    Es gab einmal die ‚Tüten-Lady vom Kurfürstendamm‘. Ich weiß sogar wie sie hieß. Die saß Tag und Nacht auf einer Bank Kurfürstendamm Ecke Grolmanstraße. Mit einem Haufen großer blauer Plastiktüten um sich herum. Wenn sich jemand näherte , schrie sie ihn an. Das war ihre Waffe. Sie war dick vermummt, mit Sonnenbrille. Im Winter hielt sie sich tagsüber manchmal in einer Postfiliale in der Nähe auf.

    Der Sozialpsychiatrische Dienst von Charlottenburg hat sich das natürlich genau angesehen. Sie hätte sofort eine Wohnung bekommen, aber sie wollte eben ganz demonstrativ-protesthaft da sitzen. Peng. Und da konnte man sie eben auch nicht mit Gewalt fortschleifen. Das haben wir ja überwunden, diese Staatsform..
    Es wurde auch beobachtet, ob sie sich vielleicht selbst schädigt, in der Kälte zum Beispiel, da hätte man fürsorglich eingreifen können. aber so clever war sie, sich warm anzuziehen. Eine intelligente Frau übrigens, man sah es daran, wie sich sich durchschlug und auch an ihrer Handschrift.. Natürlich mit irgendeiner Art von ‚Störung‘. Sie passte nicht in unsere angepasste Umwelt..

    Es gibt einen Roman darüber, ich kenne ihn nicht, von Leonie Ossowski. Mit der hat sie auch nicht gesprochen, obwohl die sich sicher große Mühe gegeben hat..

  9. dave sagt:

    Guter Artikel, macht nachdenklich. Vorurteile zu haben ist keine Schande, sich ihrer nicht bewusst zu sein/daran zu arbeiten aber schon. Freut mich dass die Geschichte eine so überraschende wie positive Wendung genommen hat. Bin selber kein Zwerg, aber in derselben Situation wie der Sunnyboy hätte ich vermutlich auch ein leicht mulmiges Gefühl gehabt, obwohl ich bis auf nerviges Betteln noch nie schlechte Erfahrungen mit Obdachlosen hatte.

  10. […] Vier Junkies » gestern-nacht-im-taxi.de […]

  11. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Wie immer schöne Geschichten und interessante Einblicke. Danke! 🙂

    @Senfgnu:
    Ich wollte es ja nur gesagt haben. Gibt ja eine Menge Menschen, die es irgendwie moralisch für verwerflich halten, die Leute so in ihrer Sucht zu unterstützen.

    @Jungo und Micha:
    Es ist tatsächlich von außen nicht immer ersichtlich, wie sowas passieren kann – aber so simpel, wie Du es darstellst, ist es eben auch nicht. Ich hab keine Erfahrungen mit Wohnungsverlust – aber wenn ich mir anschaue, wie schwierig es schon bei Hartz IV ist, zu seinem Recht zu kommen … da gewöhnt man sich das schnelle Vorurteil ab.
    Und auch wenn’s schwer fällt: die Menschen sind nunmal unterschiedlich. Wir haben sicher alle schon mal hier und da irgendwas gemacht, erreicht, geregelt bekommen, was andere einfach nicht hinkriegen, weil es ihnen schwerfällt. Nimm ruhig mich als Beispiel. Ich könnte mich doch auch hinstellen und sagen:
    „Hey Taxifahrer, jammert nicht über euer Gehalt, sondern verdient euch einfach mal 500 € monatlich nebenbei mit Schreiben. Geht, ich mach’s doch auch!“
    Sicher, glücklicherweise haben wir ein Netz, das im Großen und Ganzen jeden auffangen müsste. Es klappt trotzdem nicht immer.

    @dave:
    War ja auch einfach nett mit den beiden. 🙂

  12. Wahlberliner sagt:

    @Jungo; @Micha: Abseits der genannten Gründe ist es ja seit „Hartz IV“ so, dass nur der Leistungen erhält, der „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht“ – das tut jemand, der ohne festen Wohnsitz lebt, aber in der Regel nicht. Des Weiteren sind viele der Vorgänge zur „Wiedereingliederung“ in die „Wohnhaft“ (so wird das teilw. wirklich von den Pennern genannt, wobei „Penner“ hier keine Beleidigung ist, sondern selbstgewählte Bezeichnung, weil sie eben irgendwo „pennen“) mit Anforderungen verbunden, die man nicht leicht erfüllen kann. Ich habe eine Zeitlang in der Redaktion einer der berliner Straßenzeitungen mitgearbeitet, und daher weiß ich folgendes: Als Obdachloser (dieser Ausdruck wird übrigens – im ggs. zu „Penner“ – von den Betroffenen oft negativ empfunden) ist man zu einer *extremen* Flexibilität gezwungen. Man wohnt praktisch in der ganzen Stadt, ist morgen hier, abends dort, und zwischendrin nochmal woanders, und schlafen tut man womöglich wieder an einem anderen Ort. Zugleich sind diese Menschen auch einen viel größeren Freiheitsgrad gewohnt, denn: Sie haben viel weniger zu verlieren, als Menschen, die in einer normalen Wohnung leben. Daher ist es – sowohl auf Grund der „Anforderungen“ an (vor allem örtlicher) Flexibilität, als auch auf Grund des „Freiheitsgrades“, an den sich nach einiger Zeit eine Gewöhnung einstellt, diesen Menschen oft nicht wirklich einfach möglich, den Anforderungen gerade der Job-Center, die nun auch für sie zuständig sind, zu genügen. Dort ist nämlich alles auf Effizienz ausgelegt, der Mensch eine Ware (oder ein Maschinenteil, wenn der Vergleich passender erscheint), die/das möglichst schnell darauf getrimmt werden muss, wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Für Adaptionszeiten, die im Fall einer beendeten Obdachlosigkeit in jedem Fall nötig sind, ist da oft einfach keine Zeit, weil es in unserem System eben nicht um die Menschen geht, sondern um das Geld.

    Ich finde, der „Katzenvergleich“ ist da sogar auch passend: Es ist leichter, eine Katze „auszuwildern“, sie also in ein Leben draußen auf sich selbst gestellt zu überführen, als eine seit Geburt frei lebende Katze einzufangen und in der Wohnung zu halten. Erstere Katze wird sich eine gewisse Zeit unbequem fühlen, aber irgendwann gut damit leben lernen. Zweitere Katze ist für den Rest ihres eingesperrten Lebens unglücklich und geht ein. Es gibt von den ersteren natürlich auch solche, die sich wieder einen neuen Menschen suchen.
    Das ist aber bei Obdachlosen ebenso: Viele suchen sich Hilfe und eine Wohnung – oft bekommen sie aber keine solche vermittelt, sondern werden nur in eine „Unterkunft“ gesteckt. Ich hatte das Glück, nur insgesamt 7-8 Wochen wohnungslos zu sein (es war eine interessante Zeit, und ich will sie nicht missen, aber zugleich auch genug davon) – von dieser Zeit nur die zweite Hälfte (relativ) unfreiwillig (d.h. auf Wohnungssuche), und in Berlin (das jedoch freiwillig). Ich bin mir jedoch sicher, dass ich extremes Glück hatte. Wäre ich älter gewesen, hätte ich mit Sicherheit mehr Schwierigkeiten gehabt, die Hilfe zu erhalten, die es mir ermöglicht hat, mich wieder wo anzusiedeln.

    Übrigens bekommen Wohnungslose noch die geringsten Sozialleistungen von allen. Nämlich gerade mal den Tagessatz, und das auch nur, wenn sie sich täglich bei „ihrem“ Amt (der Bezirk wird anhand des Geburtsdatums ausgewürfelt, egal ob sie sich da normalerweise aufhalten oder nicht) melden, was den wenigsten gelingt, da es oft auch Gegenden sind, in denen sie sich nie ansiedeln wollten.

    Es gibt nicht viele, denen es wie einem Wohnungslosen geht, den ich mal kennenlernen durfte: Er kam irgendwann von der Arbeit heim, und ist nochmal raus gegangen (zum Briefkasten oder zum Einkaufen) und hatte den Schlüssel in der Wohnung vergessen. Also hat er sich gesagt: „OK, dann eben jetzt halt ohne Wohnung weiter“. Der roch nicht, war immer vernünftig gekleidet, nie „abgeranzt“ und auch kein Alkoholiker oder sonst wie drogenabhängig (hat nicht mal geraucht). Hat aber zugleich aktiv bei verschiedensten Initiativen mitgearbeitet, hier gekocht, dort eine Radiosendung moderiert und sich noch für mehr engagiert. Ein sehr interessanter Mensch, den kennenzulernen ich heute noch dankbar bin. So frei (im Geist) muss man erst mal sein, egal ob man eine Wohnung hat, oder nicht.

  13. Sash sagt:

    @Wahlberliner:
    Sehr schöner Kommentar, fast schöner als mein Artikel. Vielen vielen Dank dafür!

  14. Sven-Erik sagt:

    2003: Ich wollte mich von meiner Freundin trennen, mit der ich 2,5 Jahre zusammen lebte.
    Ich wollte, dass sie auszieht, aber sie sagte nein,du ziehst aus.
    Die Wohnung hatte ich vorher gemietet und sie lief auf meinen Namen.
    Sie hatte aber ein Kind ( nicht von mir ) und deshalb hätte ich ausziehen müssen. Eheähnliche Beziehung usw..
    Somit hätte ich fast auf der Strasse gesessen.
    Sie ist dann doch ausgezogen und seitdem spende ich an Obdachlose.
    Z.B. Hamburger Tafel und an Weihnachten verteile ich 10 Euro Scheine. Ich sammel neue 10 Euro Scheine von Fahrgästen und lege diese zur Seite. Diese gebe ich dann Nachts an die Menschen, die in Ladeneingängen liegen.

  15. Sash sagt:

    @Sven-Erik:
    Sehr löblich! Zu so einer regelmäßigen Sache hab ich das Spenden bislang leider auch noch nicht gemacht, teilweise aber auch nicht machen können … 🙁

  16. EutinOH sagt:

    Entweder man respektiert alle Menschen, mit allen Konsequenzen, oder nur seine eigene Meinung. Die schwerste Entscheidung überhaupt.

  17. Sash sagt:

    @EutinOH:
    Ganz so schwarz-weiß würde ich das nicht sehen. ALLES muss man sicher nicht akzeptieren, auch wenn man grundsätzlich ein toleranter und weltoffener Mensch ist.

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