Nun soll es also keine Veränderung des Ladenschlussgesetzes geben, den Berliner Spätis soll es nicht erlaubt werden, Sonntags zu öffnen. Wie man an der gestrigen Reaktion in den Medien gemerkt hat, bietet das durchaus Stoff für Diskussionen – und diese werden auch geführt. Ich hab das Thema öfter mal nebenbei angeschnitten, gerade neulich wieder in den Kommentaren, aber ich möchte jetzt auch mal hier mit dem Klöppel vor der großen Glocke stehend dazu etwas sagen.
Ich finde die Einschränkung des Ladenschlusses schon seit jeher bescheuert, wirklich auf die Palme aber bringen mich regelmäßig die Argumente der Gegner. Wer sich nicht gleich als geistgläubiger Religionsanhänger outet, wuselt mit Argumenten zur Ausbeutung der armen Beschäftigten durch die Diskussion. Beidem fehlt ein wichtiger Bezug: Der zur Realität. Zumindest zu einem Teil davon.
Die christliche Tradition der Sonntagsruhe hat es zu Verfassungsrang gebracht, ein Artefakt der Menschheitsgeschichte, das einmal mehr klarmacht, dass man mit Formulierungen vorsichtig sein sollte, da sie sich von Nachgeborenen mitunter idiotisch auslegen lassen. Der Traum eines arbeitsfreien Sonntags ist seit über 100 Jahren ausgeträumt und das mit gutem Grund: Es nützt der Gesellschaft und dem einzelnen. Sicher brauchen wir alle mal eine Auszeit, de facto sichert uns die allerdings schon das Arbeitnehmerschutzgesetz – über dessen Einhaltung man sich mal eher Gedanken machen sollte als über eher dogmatische als sinnvolle Öffnungszeiten.
Man kann von der Schnelllebigkeit der Welt halten was man will, gewisse Vorteile der schrittweisen Aufweichung des arbeitsfreien Sonntags wissen wir alle zu schätzen. Ob es die wirklich lebensrettenden Einsätze von Ärzten, Polizisten oder Feuerwehrleuten sind oder doch nur die Möglichkeit, abends bei Bedarf an der Tanke noch Knabberzeug zu kaufen. Und ich als Taxifahrer in der Nachtschicht sehe mich bei der Frage durchaus auch auf dem Prüfstand:
Ist meine Arbeit unnötig?
Im Grunde ja, zumindest hier in Berlin. Das ÖPNV-Netz ist gut erschlossen und mit ein paar Abstrichen auch nachts absolut brauchbar. Jeder kommt überall hin um jede Uhrzeit. Klar, man muss warten, Zeit einplanen und am Ende ein bisschen laufen – aber für die, die das nicht können, gibt es ja noch Rettungswagen und Behindertentransporte.
Aber ich bin nicht der einzige. Clubs haben am Wochenende auf, Restaurants, Bars – die ganze Gastronomie. Fiele das weg, würde Berlin ebenso belächelt, wie wenn es keine Hotels mit 24-Stunden-Rezeption bieten würde. Darüber hinaus werden tatsächlich auch Busse und Bahnen von Menschen gelenkt. Sogar nachts. Auch am Sonntag.
Mir liegt nicht viel an Schwarz-Weiß-Denken – es ist also ok, darüber nachzudenken, ob es nicht Ausnahmen geben könnte. Aber warum ausgerechnet der Einzelhandel? Während Schichtarbeit in Fabriken erlaubt ist, jede Menge Dienstleistungen rund um die Uhr, ja 24/7, angeboten werden, muss ausgerechnet der Einzelhandel gezähmt werden? Wieso? Beziehungsweise: Wieso sollen Sonntags Bäckereien geöffnet bleiben, nicht aber wenn sie nebenbei Zigaretten verkaufen? Wieso darf ich Sonntag früh nach der Arbeit zwar Blumen kaufen, nicht jedoch Zwiebeln? Und was ist eigentlich mit eingepflanzten Zwiebeln?
Dass ich morgens um 5 Uhr Menschen in den Puff fahre, ist gesellschaftlich akzeptiert – aber dass ich mir um 7 Uhr ein Feierabendbier bei einem Späti hole, widerspricht den christlichen Traditionen? Hier im atheistisch geprägten Ost-Berlin? Hat dieses Land noch alle Latten am Zaun?
Und nein: Ich vergesse und übersehe die armen Beschäftigten in den Supermärkten und Spätis nicht. Die müssen laut Gesetz zum einen einen finanziellen Ausgleich bekommen, zum anderen sind für eine ausbeuterische Unterdrückung noch ganz andere Faktoren entscheidend als nur die Arbeitszeit. Dass die Bezahlung auch Mittags um 12 Uhr scheiße ist, wird gekonnt ignoriert und dagegen scheint auch die Kirche nichts zu haben (was kein Wunder ist, schließlich speisen eine Menge kirchlicher und kirchennaher Vereine und Organisationen ihre Mitarbeiter ebenso mit Hungerlöhnen ab).
Das Problem – so es überhaupt eines gibt – liegt wirklich nicht an der Tageszeit. Ich arbeite nachts und ich liebe es. Ich arbeite auch gerne am Sonntag und an Weihnachten und ich bin da sicher nicht alleine. Es gibt allenfalls kleine Mankos. Zum einen bin ich eingeschränkter in meinen Einkaufszeiten, zum anderen läuten diese verschissenen Kirchenglocken immer während meiner Schlafenszeit. Wenn es nach mir geht, sollte man daran was ändern …