Jede Branche hat so ihre Geheimnisse und ihre Verhaltensregeln. Mit dem Taxifahren ist es nicht anders. Die meisten nicht niedergeschriebenen Regeln sind aber auch hier Ansichtssache. Dass ein Fahrgast zum Beispiel zum ersten in der Reihe geschickt wird, halten viele für eine Notwendigkeit. Ich tue das nicht. Denn zum einen habe ich genügend Kollegen erlebt, die die Fahrgäste dann von vorne wieder nach hinten schicken, weil ihnen die Fahrt zu kurz ist, zum anderen ist es so oder so für die Kunden nicht schön, abgewiesen zu werden. Da bevorzuge ich die Ansicht, dass die Kunden schon einen Grund haben werden, warum sie mich ausgewählt haben und sich das unter den Kollegen irgendwann so oder so ausgleicht. Dass ich bei einer Nachfrage natürlich stets den Kollegen, der am längsten wartet als Alternative erwähne, ist natürlich dennoch Ehrensache.
Aber es gibt eines, das im Grunde von fast allen Kollegen gleichermaßen geachtet wird:
„Wir überholen keine leeren Kollegen!“
So – leider ohne nähere Erläuterungen – wurde es mir am ersten Tag unmissverständlich mit auf den Weg gegeben. Aber schon die ersten zwei Stunden auf der Straße machen einem klar, was gemeint ist.
Als Taxifahrer ist man mehr oder minder immer auf der Jagd nach Kundschaft, Beute monetärer Art. Dadurch, dass wir keine festgeschriebenen Bereiche für die Jagd haben, fahren wir uns immer wieder gegenseitig vor den Wagen. Und wenn an der nächsten Ecke ein Kunde steht, bekommt ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste in der (fahrenden) Reihe. Da ist das Überholverbot gewissermaßen schon eine Regelung, die für Verkehrssicherheit sorgt. Denn ohne würden die Taxen auf Deutschlands Straßen sich wahrscheinlich mörderische Rennen liefern, immer nur in Sorge, ja der Erste in der sich bewegenden Schlange zu sein. Mit dem traurigen Nebeneffekt, dass ausgerechnet die gesittetsten Fahrer die wenigsten Kunden hätten.
Wie bei allen Regelungen ist es ziemlich interessant, diese in der Realität zu beobachten. Ich bin selbst – ohne hier angeben zu wollen – einer der kollegialsten Fahrer da draussen. Wenn ich um mich an die Halte zu stellen wenden muss, ist klar, dass der Fahrer, der mir entgegenkommt, zuerst ranfahren darf. Wenn man eine solche Regel irgendwie fassen kann, dann am besten mit den Vorfahrtsregeln der StVO. Auf der anderen Seite gebe ich – wenn ich geradlinig angeschossen komme – durchaus auch gerne mal Signal, dass der Kollege doch kurz wenden und sich vor mir einordnen soll. Wenn es hochkommt, kostet mich dieses Verhalten 30 € im Jahr, das ist es mir ohne weiteres wert. Und vielleicht gleicht es sich so oder so aus. Dafür sind die Kollegen glücklich.
Auf offener Straße tut es hingegen natürlich manchmal weh. Gerade wenn man auf Kundenfang ist, fährt man auch mal ein bisschen langsamer als die StVO es zulassen würde, was natürlich die Kollegen hinter einem – die dank mir ja gerade sowieso kaum eine Chance haben – mal nerven kann. Ich bin hier eisern, überhole nicht. Aber ich kann es auch auf den Tod nicht ausstehen, wenn ein Kollege das tut. Fehler im Straßenverkehr erlaubt sich jeder mal. Da bin ich nachsichtig und lege es nicht gleich als Boshaftigkeit aus, was ja scheinbar ein großer Teil der Autofahrer macht. Beim Überholen eines Kollegen kann ich aber davon ausgehen, dass es mit Absicht geschieht. Und das kotzt mich an!
Natürlich sind wir nicht nur Kollegen, sondern auch Konkurrenten. Aber die Arbeit macht nunmal nur halb so viel Spass, bzw. ist doppelt so stressig, wenn man zusätzlich zur nicht allzu rosigen Geschäftslage auch noch Krieg gegen die eigene Fraktion führt.
Klar, manchmal muss man überholen, um ein Verkehrschaos zu vermeiden: Wenn man gerade auf unterschiedlichen Spuren ist, und es dort unterschiedlich schnell vorangeht vor allem. Aber dass ich mich da wieder zurückfallen lasse, den Kollegen vorbeiwinke oder gar schweren Herzens einen Winker für ihn stehen lasse, sehe ich als selbstverständlich an.
Sehr verbreitet ist unter Kollegen, die das nicht so sehen, z.B. auch die Angewohnheit, die Fackel auszumachen, vorbeizuziehen, und dann – wenn ich an einer roten Ampel halten muss – das Licht wieder anzumachen. Irgendwann werde ich mal anfangen, Buch zu führen über die Leute…
Dennoch bin ich ziemlich überrascht darüber, wie gut es im Grunde funktioniert. Die Momente des Ärgerns sind tatsächlich selten, und das ein oder andere Mal stellt man sogar fest, dass alles nur ein Missverständnis ist. Wie bei einem Kollegen neulich:
„Hat der mich überholt, und ich natürlich gleich hinterher! Zwee Ampeln weiter hatt‘ ick den und frach den, was dette soll und er sei ja wohl bekloppt von wegen überholen und so. Meent der mit’n Lächeln: Kollege, musst du Lampe anmachen, wenn du nicht überholt werden willst…“