„Aandere Geeld“

Ich fragte noch, ob wir seine Taschen besser hinten einladen sollten, aber der komische Kauz fühlte sich auf dem Beifahrersitz zwischen seinem Gepäck eingeklemmt scheinbar wohl. Er nannte mir mit sehr grobem russischen Akzent eine Adresse in Hellersdorf, die mir überhaupt nix sagte. Das in Kombination mit den etwas wirren Anweisungen meines Passagiers führte zu einem veritablen Umweg, aber das sollte im Verlauf der Geschichte keine größere Rolle mehr spielen.

Ich bekam nur wenige Worte aus ihm herausgekitzelt, was zum einen daran lag, dass er offenbar eine Reise direkt aus Russland hinter sich hatte und dass zweitens ich alleine von seiner Fahne schlagartig bei ca. 0,5 Promille war und eigentlich das Auto hätte abstellen müssen. Oder, um es mit den Worten des Passagiers zu sagen:

„Bijn ich schalaaferig. Daas is meijne Probleem.“

Er hielt sich die ganze Fahrt über am Handgriff über der Beifahrertür mehr oder weniger aufrecht, sackte aber doch oft genug zusammen. Allerdings nur, um anschließend hochzuschrecken, festzustellen, dass wir auf dem richtigen Weg waren und dann zu juchzen:

„Ja, bravo! Seehr gut, prima! Aalles prijma!“

Und wie er da so rumzuckte, sturzbesoffen mit nur zwei Taschen am Leib und auf dem Weg ans Ende der Welt, beschlich mich doch ein wenig die Frage, ob er überhaupt genügend Geld dabei hatte. So ganz zurechnungsfähig war er dann halt doch nicht mehr und man weiß ja nie. Da am Ende aber 99,9% aller Fahrten gut ausgehen, hab ich meiner Statistik vertraut. Zumal der Kerl ja sichtlich gute Laune hatte, altersmäßig an der 60 kratzte und man sich vor einer ED-Behandlung einfach keinen so lustigen Schnauzer stehen lassen würde.

Am Ziel lotste er mich trotz Navi (das er meinte, loben zu müssen, warum auch immer) direkt vor die Haustüre und freute sich wie ein kleines Kind, endlich da zu sein. Ich nannte den Fahrpreis, und das waren inzwischen 32,70 €. Mein Fahrgast schielte  aufs Taxameter, holte den Geldbeutel raus. Stunde der Wahrheit …

„Keijne Probleem!“,

sagte er, grinste und reichte mir zwei Zehner und einen Zwanni. Wow, nicht mal ein Fünfziger, perfekt!

Da ich aber in der Situation nicht so recht einschätzen konnte, ob er das mit dem Geld richtig einschätzen konnte, sagte ich erklärend, dass das 40 Euro wären und machte mich auf die kurze Suche nach dem Rückgeld. Als ich den Fünfer schon in den Fingern hatte, hob der Kerl beschwichtigend beide Hände und sagte:

„Chaaalt! Keijne aandere Geeld! Keijne aandere Geld. Is meijnee Geeschenk!“

Und nur mal so: Er meinte nicht, dass ich außer dem Fünfer nix raussuchen soll. Den hat er nämlich auch abgelehnt. Da soll noch mal jemand behaupten, Sprachbarrieren würden am Trinkgeldgeben hindern! 😀

Winkertour der Woche

So kann’s dann halt auch mal laufen:

"Nur kurz ums Eck. Luftlinie 300 Meter." Quelle: osrm.at

„Nur kurz ums Eck. Luftlinie 300 Meter.“ Quelle: osrm.at

Nein, sie haben gleich gesagt, dass es eine lange Tour werden würde. Und die Streckenwünsche kamen ebenfalls von der Kundschaft, im Übrigen im Wissen, dass da noch etwas Ersparnis dringewesen wäre. Aber so sind das, nur mal zur Einordnung, satte 52,50 € auf die Hand gewesen. I like. 🙂

Und schon keine Lust mehr …

Die Zieladresse existierte nur so als grober Plan. Eine U-Bahn-Station. Kann man machen. Sie war mir bekannt, lag ein paar Kilometer weit weg und damit hätte wirklich alles schnuffig sein können. Und der Typ, der mich an der Halte rausgepickt hatte, wirkte auch wie ein netter junger Kerl, nur etwas zu müde zum feiern. Alltag halt.

„Ja Schnucki, wie soll ich denn jetzt noch hier reinpassen?“

„Ehrlich!? Vielleicht gar nicht, weil dein Freund nur was von fünf, nicht von sechs Leuten erzählt hat?“

Also nochmal alle von der Rückbank würfeln. Immerhin lief die Uhr schon. „Oktoberfest“ am Ostbahnhof, was willste erwarten?

Aber gut, man will ja Geld verdienen.

Die offizielle Zielangabe blieb der U-Bahnhof, hinter mir und um mich herum flogen die Adressen allerdings bald nur so umher. Zu Frank, zu Olaf, ein Späti müsse noch sein, in die Franz-Fickdichstraße, alles laut, wichtig, aber natürlich nicht für meine Ohren bestimmt. So musste ich dann noch eine Art Gefahrenbremsung vor dem Späti abliefern, musste unbedingt eine durchgezogene Linie ignorieren und war vor allem deswegen cool, weil ich „kein Scheiß-Türke“ war.

Mein „fetter Bonus“ waren am Ende atemberaubende 1,40 € Trinkgeld und dafür durfte ich anderthalb Minuten im Starkregen stehen, weil die feinen Herren und Damen das mit dem Aussteigen, bei dem ich selbstverständlich behilflich war, kaum noch auf den Plan gekriegt haben. Ih bäh!

Das Wochenende jetzt ist eh schon nicht meins gewesen. Zu wenig Lust, zu viel Müdigkeit, was halt alle paar Monate mal so passiert. Nach dieser Tour aber wollte ich dann wirklich nur noch duschen und mich ins Bett schmeißen. Manchmal ist Dienstleistung auch einfach eklig.

Als Atheist weiß ich nicht, wem ich dafür danken sollte, aber glücklicherweise war die anschließende Winkertour quasi das komplette Gegenteil und ich hab es immerhin noch auf ein paar Euro Umsatz gebracht.

„Dezent“ fehlgeleitete Kunden

Der Typ mit der Grüne-Knöpfchen-Schwäche war noch nicht einmal beim Türsteher des Puffs, da winkten gegenüber bereits zwei neue Fahrgäste für mich. Also welche, die offensichtlich aus genau jenem Laden gekommen waren. Und da ist man als Taxifahrer ja nicht wählerisch.

Ob ich sie zu ihrem Hostel in Mitte bringen könne? Na, sicher. Aber wenn sie schonmal bei mir im Auto säßen: Ob ich nicht vielleicht einen besseren Club kennen würde als diesen hier, der sei scheiße, sie wollen tanzen.

WTF?

„OK, guys, just to be sure here: You’re searching for a music club? Just party and dancing, not a night club with prostitutes to fuck with?“

Ich hätte es sicher auch netter ausdrücken können, aber wenn einem zwei junge Kerle in Muscle-Shirts im Auto sitzen, die sich über die schlechte Mucke in einem Flatrate-Puff beschweren, dann könnte ja alles passiert sein. Und ich hatte nicht Unrecht: Die beiden wollten tanzen gehen und irgendwer (womöglich Kollegen) haben das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal falsch interpretiert. Vor dem Flatrate-Puff waren sie nämlich im KitKat gelandet, das vielleicht nicht wirklich wie von ihnen vermutet zu 100% gay ist (wobei ich nicht weiß, was an dem Abend für eine Party dort war), aber zumindest mal bekannt für seine Fetisch-Parties, was trotz erkennbarer Toleranz der beiden jetzt halt auch nicht unbedingt das ist, was man erwarten würde, wenn man einfach mal zu guter Musik chillen will. Ich gebe ja zu, ich konnte mich in dem Moment nicht zwischen Mitleid und lautem Loslachen entscheiden. 😀

Ich hab sie am Ende für weniger als 10 € zum 40 Seconds gebracht. Keine Ahnung, was dort an dem Abend gespielt wurde, keine Ahnung, ob es nun wirklich noch eine richtig geile Partynacht geworden ist. Ich hab ihnen auch gesagt, dass ich ihnen keine Versprechen machen will, nur, dass ich ganz sicher den bisher besten Tipp an dem Abend gegeben habe. Aber da konnte ich nach dem Vorspiel auch nur schlecht was falsch machen! 😀

Sash, 34, Knöpfchenexperte.

Eigentlich war mir nach vier Touren in Folge ja so langsam mal nach einer Pause. Nikotinentzug und so. Vom Ostbahnhof trennte mich kaum mehr ein Kilometer, es lief alles blendend. Dann eine Hand.

Der Typ war ein paar Jahre älter als ich, sah nach einer durchzechten Kneipennacht aus und äußerte ohne jegliche Begrüßungsfloskel nur den Namen eines bekannten Puffs in Schöneberg. Nette Tour eigentlich. Dann folgte allerdings sofort der Hinweis, er müsse noch zu einer Bank. So weit auch ok. Ich hab gar nicht wegen Kartenzahlung angefangen, denn dass der weitere Abendverlauf ebenso Geld kosten würde, war offensichtlich.

An der nächsten Kreuzung war gleich ein Automat, den mein Kunde auch begeistert empfing, er hatte beim Raustorkeln nicht einmal mehr die Kraft, die Autotüre hinter sich zu schließen. Aber gut, ich hatte dicht am Bordstein gehalten, so gesehen kein Problem. Tja, dann stand er da und drückte rum. Am Ende kam er wieder und meinte, es würde nicht gehen. Das ist nun nicht gerade was, was einem Freundentränen und Hoffnungsschimmer entlockt, aber der Weg war noch lang und ich war ehrlich gesagt so zufrieden mit dem Abend … selbst der Kilometerschnitt war gut genug, um die Fahrt in den Sand zu setzen, wirklich! Also nicht, dass ich das vorgehabt hätte, aber der Gedanke an eine unbezahlte Fahrt hat mich einfach nicht so beunruhigt, wie das sonst der Fall gewesen wäre.

Die nächsten zwei Banken hatten zu und dann wurde es auch so langsam eng. Mein Fahrgast war eh genervt, obwohl ich wirklich den absolut kürzesten Weg gefahren bin. Am Ende hab ich 300 Meter vor dem Puff an einer Taxihalte schnell eine Kollegin gefragt, ob sie einen Automaten in der Nähe kennen würde. So sehr ins Blaue fahr ich echt nur selten. Aber siehe da, sie kannte einen quasi direkt gegenüber des Zieletablissements. Also hab ich im Vorbeifahren die Uhr ausgemacht und mich darauf eingestellt, dass ich das jetzt eben würde regeln müssen. Im Zweifelsfall hätten die wahrscheinlich sogar im Puff selbst noch eine Option gehabt.

Nun aber eine Bank, von der ich nie gehört hatte, der Kunde vor dem Automaten und abermals die Meldung, dass es nicht gehen würde. Da wir uns ohnehin auf Englisch unterhalten haben, seine Muttersprache aber eher russisch oder so war, hab ich ihn gefragt, ob er das Menü auch in Englisch gewählt hätte. Da kam dann sogar Deutsch hinzu:

„Beide. English und Deutsche!“

„OK, show me!“

Datenschutz hin oder her, ich hab auch schon die PIN für Leute eingegeben. Natürlich nur auf Wunsch, aber beachtlich find ich’s eigentlich trotzdem.

Naja, da standen wir also und er folgte dem englischen Menü bis zur PIN-Eingabe. Er hackte ein paar Zahlen ein, wobei ich nachfragte, ob er sich mit denen auch sicher sei.

„Da! Yes, yes! Of Course!“

Und dann zuckte er mit den Achseln, während auf dem Bildschirm deutlich lesbar stand, dass er die grüne Taste zur Bestätigung drücken solle. Das hab dann nach 5 Sekunden Ratlosigkeit seinerseits ich übernommen. Und – o Wunder! – er durfte nun auswählen, welche Summe er abheben will!

Im Folgenden war das mit dem Abheben und der Bezahlung meiner Wenigkeit recht schnell und leider ziemlich trinkgeldlos erledigt, aber das störte mich ja nun auch kein Bisschen an dem Abend. Er versicherte sich nochmal, dass der Puff auch wirklich das Haus mit den roten Lichtern sei, wankte davon und musste fortan nur noch einmal von mir zurückbeordert werden.

„HEY, GUY, ONE LAST THING!“

„What?“

„Guess you’d like to have your backpack with you …“

Denn außer mit grünen Knöpfchen kenne ich mich halt auch mit dem Blick auf die Rückbank aus. 😉

Aber … geradeaus!?

Sie winkte mich auf der Rechtsabbiegerspur am Frankfurter Tor ran. Nur eine Kurzstrecke zur Oberbaumbrücke. Kein Ding an sich, aber der Verkehr war doch recht dicht, also bin ich rechts ab in die Frankfurter und hab gesagt, dass es leider nicht anders geht gerade.

„Aber … ich dachte, Du hättest geradeaus fahren können …“

„OK, das hätte ich vielleicht machen können. Aber da kann ich ja noch länger nicht wenden.“

„Aber ist doch nur geradeaus.“

„Sorry, aber: Nein.“

Da wir 30 Sekunden später wieder am Ausgangspunkt waren, hab ich ihr die Situation sogar nochmal zeigen können und sie hat dann auch eingesehen, dass ich recht hatte, konnte es aber nicht so wirklich fassen:

„Das macht mich jetzt echt total fertig, dass ich mich da so vertan hab.“

„Na, das passiert. Seien Sie froh, dass es nicht ich war, das wird ja dann schnell teuer.“

Aber da hatte ich dann eher sogar einen wunden Punkt getroffen.

„Aber ich wollte ja die Straßenbahn zum U-Bahnhof Warschauer nehmen. Und als die dann kam, hab ich mir gedacht: Ja nee, die fährt ja mal voll in die falsche Richtung! Deswegen sitze ich ja jetzt bei Ihnen.“

Im Wissen, dass es am Ende nicht wirklich ein Problem mit dem Fünfer war, muss ich rückblickend dann auch süffisant anmerken: Ja, doch, sich beim Falschliegen so sicher zu sein, dass man der Straßenbahnbeschriftung misstraut – das muss man, bei aller gesunder BVG-Skepsis, auch erst einmal schaffen! 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Gna!

Rückblickend könnte man natürlich nach jedem Mist, der passiert ist, sagen, dass man dies oder jenes hätte anders machen können. Immer. Das liegt in der Natur der Sache und das verstehen auch alle, bis auf die paar Leute, die nicht einmal ohne Taucherbrille einen Waschlappen benutzen und hinterher im Internet dem Rest der Menschheit erklären, dass sie selbstverständlich auch vorher alles besser gewusst hätten.

Aber bei der Tour war eigentlich alles bestens. Die Kundin nannte eine Straße, die ich kannte, spezifizierte die Hausnummer mit einem Platz, den ich ebenfalls kannte und stimmte zu guter Letzt zu, dass meine Idee, über die XY-Straße dorthin zu fahren, wohl ziemlich gut sei. Das ist so ein klassischer Fall, wo das Navi selbstverständlich aus bleibt und man sich freut, dass alles so einfach ist.

Als wir dann an besagter Platz- und Straßenecke standen, war die Hausnummer indes nicht wirklich in Reichweite. Die 43 war angesagt, aber auf der einen Seite waren wir gerade bei der 12, auf der anderen liefen sie nach der Hufeisenreihenfolge in die 200er. Da ich wusste, dass die Straße auf der einen Seite nur hundert Meter weitergeht, in die andere hingegen ca. 2km, war die Richtung klar: Ein paar hundert Meter links ab, es war nicht einmal ein Umweg, so wie wir gefahren waren.

Meiner Kundin indes gefiel das nicht. Sie glaubte, es sei rechts rum, sie war ja schon mal da. Entgegen der Einbahnstraße natürlich. Ich stoppte kurz und fragte nochmal der Nummer wegen nach. Sie befragte ihr Handy und beharrte auf der 43, aber selbst als ich ein paar Meter weiterfuhr und die Zahlen von der 12 an anstiegen, beruhigte sie das nicht. Und dann kam, was in solchen Fällen natürlich nicht fehlen darf: Eine Straßensperrung, ein Umweg, der zwingend einen noch weiteren Umweg erforderte und am Ende eine Kundin, die die zwar im Rahmen liegenden 13 € mit einem kleinen Trinkgeld beglich, sich aber am Ende ein paar hundert Meter vom Ziel entfernt ausladen ließ. Sichtlich genervt davon, dass … ja, was eigentlich?

Klar: Dass ICH keine Ahnung hatte.

-.-

Ich  nehme das heutzutage auch sportlich. Ich bin mir wirklich nicht zu fein, einer Hausnummer wegen das Navi anzuschmeißen, aber wenn die Kundschaft sagt, dass das genau da-und-da liegt und das Problem am Ende ist, dass die Angabe um mehr als einen halben Kilometer falsch ist, dann ist das echt nicht meine Sorge und dann muss ich die zwei Euro extra, die ich deswegen vergurke, eben auch in Rechnung stellen.

Lieber gewesen wäre mir natürlich auch ein ehrliches „So genau weiß ich das jetzt nicht“, dann hätte ich Onkel Google befragt und eventuelle Umwege danach wären auch auf meine Kappe gegangen. Naja, Lehrgeld und so …