Glück im Unglück, Kotzer-Edition

„… und fahren Sie bitte nicht zu ruckelig!“

Spätestens bei der Ansage verdrehen alle mitlesenden Taxifahrer die Augen. Kundschaft mit Magenproblemen, die Königsklasse unter den Beförderungskandidaten. Zumindest wenn man halbwegs gängige Phänomene betrachtet. Mit etwas schmutziger Fantasie fallen einem noch viel schlimmere Dinge ein, aber ich will ja jetzt auch niemandem beim Lesen das Frühstück versauen.

Der Dame also war übel, mit dem mitreisenden Herrn habe ich mich blendend unterhalten. Da kann man doch mal beherzt zum Es-war-ja-nicht-alles-schlecht greifen, das sonst nur von äußerst unangenehmen Zeitgenossen strapaziert wird. Aber der Zustand der jungen Frau war ernst, wirklich ernst. Gut, im Gegensatz zu anderen Auswurfaspiranten war sie zurechnungsfähig, aber bereits im Stadium „Bläschen vor dem Mund“.

Wie immer habe ich alle schlauen Sprüche runtergebetet. Den mit dem Warten für zwei und dem Kotzen für 200 Euro, dass ich super schnell anhalten kann – und wie immer auch, dass es niemals und unter keinen Umständen eine Lösung ist, einfach aus dem Fenster zu reihern. Und das sage ich ja nicht, weil ich’s mir nicht irgendwie ästhetisch vorstellen könnte, einen Springbrunnen spazieren zu fahren, sondern weil’s keine Sau mehr auf die Reihe kriegt, wenn es wirklich spitz auf knapp steht. Und dieses Es-läuft-zwischen-Scheibe-und-Tür ist nunmal ein Horrorszenario sondersgleichen. Da geht’s ganz ganz schnell um mehrere ausgefallene Schichten und mit großer Wahrscheinlichkeit um Werkzeugeinsatz und enorme Kosten.

Hat natürlich nix gebracht. Ich weiß, wie sehr Alkohol die Mir-egal-Haltung fördert, aber ich verstehe es wirklich nicht, wie man nach so einer Ansage „Stopp!“ rufen kann und nach dem Halt des Autos aus dem Fenster kotzen. Die Türhebel im Zafira sind wirklich nicht schwer zu bedienen.

Aber – Ehre wem Ehre gebührt! – sie hat es geschafft! Als Erste bisher! Nix im Innenraum, nix an der Scheibe! Vielleicht liegt meine Latte nach sechs Jahren Nachtschicht etwas tief, aber ich war in der Laune für eine Medaillenvergabe. Natürlich nicht wortwörtlich, denn daran, dass die Kiste außen vollgekotzt war, änderte sich ja nix. Aber im Gegensatz zum Innenraum sind das ja Lappalien. Ich hab am Ende nur gesagt, sie sollen mir einen Fünfer extra geben für die Waschanlage.

Noch lange kein guter Deal für mich, denn auch zur Waschanlage musste ich erst einmal fahren und die verlorene Lebenszeit durch die Anspannung während der natürlich überdurchschnittlich langen Fahrt ersetzt mir keiner. Aber zum einen freut’s wirklich ungemein, wenn der Kelch an einem vorübergeht, zum anderen sind gerade solche Fälle auch eine Frage der Sympathie. Mein Job ist es, Leute sicher heimzubringen – und wenn sie trotz miserabelster Begleitumstände nett bleiben, mitarbeiten und Verständnis für meine Position haben, dann kann ich auch mal fünfe gerade sein lassen.

So gesehen: Job erledigt und zwei Leuten ein echt stressiges Tagesende erspart. Kann ich mir jetzt zwar nix von kaufen, aber dieses gute Gefühl ist es manchmal dann auch wert.


Update: Was ich beim Schreiben des Textes noch gar nicht gesehen hatte: O.g. Begleiter hat sich via Facebook für die gute Heimfahrt bedankt und gesagt, er werde sich nun nach meinem Buch umsehen. 🙂

13 Kommentare bis “Glück im Unglück, Kotzer-Edition”

  1. ednong sagt:

    Du bist vielleicht eine zu gute Seele manchmal 😉

    Ich hätte um einen 10er für die Waschanlage gebeten – ich denke, das wäre nicht zuviel gewesen, Sympathie hin oder her. Wie du es ja auch schreibst – deine Zeit, deine Kilometer, dein Sprit – und dann kostet das Waschen ja auch noch Geld.

    Wobei man dann in solch einer Situation als Fahrgast immer hofft, auf Leute wie dich zu treffen.

  2. mathematikos sagt:

    tja,
    solchen leuten verweigere ich die beförderung. wenn jemand nicht selbständig gehn kann, nicht weiß, zu welcher adresse er will und bei der frage nach einer vorauszahlung des halben fahrpreises sich taub und blöd stellt, der hat bei mir schon verloren. allerdings kennen wir in unserer 20.000_seelen_stadt so ziemlich alle unserer pappenheimer…..

  3. Christian sagt:

    Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie man sich derart betrinken kann, dass man erbrechen muss. Werde ich wohl nie verstehen.

  4. Sash sagt:

    @ednong:
    Ja, hätte ich tun sollen. Ich denke da bloß irgendwie immer zu geradeaus an den Preis, den ich zahle und nicht an meine investierte Arbeitszeit.

    @mathematikos:
    Ich hab’s in dem Fall ja auch erst mitbekommen, als sie im Auto saßen. So waren die beiden nämlich unspektakulär unterwegs.

    @Christian:
    Also wenn ich mich an meine jungen Jahre erinnere: Das Können ist nicht das Schwierige an der Sache … 😉

  5. Bernd K. sagt:

    Bei diesen zurechnungsfähigen Kandidaten fällt mir mal wieder das „Thema Kotztüte“ ein. Hatten wir ja schon mal vor längerem.
    @Christian: es gibt zwar einen Zusammenhang zwischen Alkoholmenge und Auswurfwahrscheinlichkeit, aber der ist alles andere als proportional. Hängt u.a. von Tagesform, Essen und Art der Getränke ab. Da soll kein Nicht-Abstinenzler den ersten Stein werfen.

  6. S2B2 sagt:

    @Christian:

    Hah! Alles Anfänger! Ich kann sogar derart viel essen, dass ich erbrechen muss!
    Vor allem Schokolade. Und Gummibärchen. Und Rollbraten.

  7. elder taxidriver sagt:

    S2B2:

    Ah , ganz klassisch wie die alten Römer, die haben auch ‚gewoomert‘, nach dem Mahl. Das war der Ausdruck für absichtliches Kotzen. Da konnten sie danach nochmal zugreifen bei den Köstlichkeiten..

  8. Andy sagt:

    Kriegt man Kotze nicht provisorisch und kostenlos gut mit den Scheibenwischer in gern an jeder beliebigen Tanke runter? Oder trocknet das doch so schnell fest?

  9. Bernd sagt:

    Wenn ich mich so recht zurückerinnere, dann sind mir solche Hühnerfutterspenden auch nur entfahren, solange ich pubertierte. Das ging eine ganze Weile, etwa so bis 25. Ich kann mich erinnern, am 18.4.1973 einen Doppelstockwagen auf dem Weg von Aschersleben nach Halle außen frisch mit Linseneintopf lackiert zu haben. Später wollte mir ein Freund unterstellen, ich hätte in Halle auf den Bahnsteig gepinkelt, was ich aber mit Sicherheit verneinen konnte, denn ich war ja noch normal im Kopf. Außerdem hätte ich in diesem Fall ein Verhörprotokoll der TraPo vorweisen können! 😉
    Für besonders Interessierte könnte ich sogar noch das Rezept für diese Meisterleistung aufschreiben.

  10. Sash sagt:

    @Andy:
    Nein, das Problem ist, dass das bei runtergekurbelten Scheiben eben reinläuft und dort nicht entfernbar ist, weil man nicht hinkommt. Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Wenn man nämlich die miese Mischung aus „flüssig“ und „riecht kernig“ hat, dann fährt man den Scheiß ein paar Monate spazieren. Und da man das insbesondere den anderen Fahrgästen nicht zumuten kann, muss man dann halt die Tür auseinandernehmen.

    @Bernd:
    Ach, Jugenderinnerungen. Und dann auch noch so ansprechend formuliert. 🙂

  11. nadar sagt:

    @Bernd K.: Da ich weder Abstinenzler bin noch je wegen des Genusses von Alkohol mich meines Mageninhaltes entleeren musste, dürfte ich wohl den ersten Stein werfen.
    Ich kann nicht verstehen, wie man ein Ritual daraus machen kann, sich jedes Wochenende in dazu bestimmten Einrichtungen zu enormen Preisen mit Alkohol zu vergiften, bis man nicht mehr Herr seiner Sinne und/oder seines Mageninhaltes ist.

  12. Raoul sagt:

    „Da ich weder Abstinenzler bin noch je wegen des Genusses von Alkohol mich meines Mageninhaltes entleeren musste, dürfte ich wohl den ersten Stein werfen.“

    Nein.

    Zitat: „Da soll kein Nicht-Abstinenzler den ersten Stein werfen.“

  13. Philipp sagt:

    Naja,Ende gut alles gut.

    Es hätte schlimmer kommen können.

    P. S. hab dein Buch heute gekriegt und schon kräftig reingelesen!

    Grüße aus Dresden

    Philipp

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: