Also Fahrten zu Bordellen sind wirklich mit die seltsamsten im Taxigewerbe. Manchmal wissen zwar auch nicht geschäftlich Verbandelte zu überraschen und so mancher Puffgänger erweist sich als überaus langweilig. Aber die Besonderheiten des käuflichen Sex wirken natürlich fort bis ins Taxi.
Den Kunden mangelt es grundsätzlich eigentlich nie an Geld (was aber natürlich nicht heissen muss, dass sie es in der Taxifahrt gut angelegt sehen) und die meisten sind (oft bis zur Peinlichkeitsgrenze) mitteilungsbedürftig. Die meisten missinterpretieren unsere Tätigkeit bisweilen als mobile Beichte oder vermuten sonst irgendein ominöses Schweigegelübde in unserer Zunft.
Dass Sexualität auch Privatsache sein kann, ist für die meisten kaum verständlich. Aber darüber wollte ich mich gar nicht beschweren. Damit kann ich leben, und auch wenn ich selbstverständlich Mensch bleibe, wenn ich hinter dem Steuer sitze, kann mich keiner damit schocken, dass er sich auf die Paarung vorbereitet (solange er das gedanklich tut, selbstverständlich).
Neulich hatte ich wieder so einen Spezialfall, bei dem ich mir sicher bin, dass ich eigentlich nicht beschreiben kann, was das wirklich Seltsame an seiner Art war. Die Begrüßung war jedenfalls filmreif:
„Guten Abend! Wo soll es denn hingehen?“
„Wo et hinjehn soll? Na in’n Puff! Jetz komms‘ du!“
Naheliegende Witze über das Verb „kommen“ hab ich vermieden und bin professionell mit ihm zusammen zur Problemlösung übergegangen.
Ich bin ja nach wie vor sicher nicht der Informierteste, was das Gewerbe angeht. Das hat keinen speziellen Grund, es ist wie mit allen Bereichen, bei denen es um nähere Kenntnis geht: Ich selbst sehe von den meisten Einrichtungen, in die meine Kunden so gebracht werden wollen, herzlich wenig. Alleine um all die Clubs mal von innen gesehen zu haben, müsste ich etliche Hunderter an Eintrittsgeld ausgeben, ohne dass ich das wollte. Von den Strapazen, die nötig wären, um Hotelübernachtungen und die Reinlichkeit von Straßenstrich-Prostituierten bewerten zu können, oder die Qualität der geschätzten 15.000 Döner-Stände in der Stadt, will ich mal gar nicht anfangen.
Ich lese viel und lasse mir gerne von Kunden Dinge erzählen, beschreiben und bewerten. Einen Anspruch auf Aktualität und Richtigkeit kann das aber alles gar nicht haben. Mein Wissen wird zweifelsohne wachsen, da bin ich froh drum, aber mehr geht nicht, sorry.
Das kann ich auch nur immer wieder bezüglich Adressen so sagen: Für den Kunden ist es natürlich das selbstverständlichste, dass ich mich jetzt ausgerechnet in dem Bereich, den er gerade für wichtig erachtet, besser auskenne als er. Für mich ist es eventuell doch nur der zehntausendste Berliner Hinterhof, den ich seltener anfahre als die 9.999 anderen.
Mein Kunde jedenfalls hatte jetzt nicht irgendeinen Puff in Aussicht, sondern er wollte, dass ich ihm was tolles zeige. Nummer 1 und 2 hat er gleich mal ausgeschlossen, und „in den Westen“ wollte er gleich dreimal nicht. Also in der Umgebung.
Schade für mich, da die Clubs, die meines Wissens nach vermittelnde Taxifahrer gut entlohnen, alle im Westen angesiedelt sind, aber kein Weltuntergang. Immerhin kannte ich im Umkreis einige Läden sogar bezüglich der Preise.
Aber mein Kunde suchte nun unbedingt nach einem Puff mit Barbetrieb, einer Möglichkeit zum Aussuchen der Damen quasi. Dann sollte es günstig sein – aber bitte nicht total billig! Die Damen sollten jung sein, hübsch sowieso und das natürlich auch jetzt – am frühen Mittwochabend.
Mit anderen Worten: Ich hatte keine Ahnung, auf welchen der Läden auch nur ein Teil der Angaben zutraf. Aber er erklärte sich bereit, sich einfach zu ein paar Adressen mitnehmen zu lassen, die mir einfallen. Die Regelung zwischen uns war einfach: Ich warte eine Zigarettenlänge, und wenn er wieder rauskommt, geht es weiter. Wenn nicht: Erfolgreich, Pflicht erfüllt.
Die ersten beiden Etablissements erfüllten wohl nicht einmal den Barbetrieb, was mich zwei sehr unbefriedigende Zigaretten kostete, die ich nur angezündet hinterlassen musste.
Zu dieser Zeit bot die Diskussion im Taxi als wesentlichen Inhalt meinen Job. Wie viel ich verdiene, ob ich nicht auch noch einen „richtigen Job“ habe, etc. Teils nervig, aber ich bin es ja gewöhnt, und irgendwann spult man da auch nur noch sein Programm ab. Etwas genervt, aber mit Lächeln und gespieltem Enthusiasmus. Wahrscheinlich unterscheidet uns Taxifahrer in solchen Momenten wirklich nicht viel von Nutten.
An jedem Stopp pflegte er ein besonderes Zahlungsritual:
„Wat macht dit jetze? N‘ Fünfer?“
„Nee, leider nicht ganz: 8 €.“
„Na dann’n Zehner! Bitte!“
Über Trinkgeld konnte ich mich also schon mal nicht beschweren. War ja nicht nur ein Stopp. Das Taxameter hat ihn eigentlich gar nicht interessiert, was immerhin schon sehr angenehm und ungewöhnlich ist.
Ich hab das ganze trotz Taxameter-Stopp an den Läden als eine Fahrt verbucht. Ich will nicht übermäßig mitfühlend sein, aber er hat sich meines Unwissens wegen auf eine Rundtour eingelassen. Da kann man im Rahmen der Bestimmungen auch mal kulant sein.
Zum dritten Etablissement bin ich dann tatsächlich noch über den Fluss gefahren, was bei ihm scheinbar irgendeine Ost-West-Phobie ausgelöst hat. Die panische Angst, im Westen zu sein, war aber nur niedlicher Nebeneffekt. Der eine Laden hatte tatsächlich zu, und dann kam er zurück mit den Worten:
„Also die, mit der ick da jetze jesprochen hab – anjeblich die Putze – die hat mal sowas ’ne erotische Stimme, da hätt‘ ick ja fast jehofft, dat die mir schnell mal ein‘ bläst…“
Verbale Inkontinenz und Paarungsdrang. Alles kein Problem. Kommt vor. Auf der Fahrt zum fünften Laden kam dann die Frage:
„Wat is? Warste schonmal in’n Puff?“
„Nee, ehrlich gesagt nicht.“
„Wieso nich?“
„Ich bin ja nun schon eine ganze Weile mit meiner Freundin zusammen…“
„Na und? Muss ja keener mitkriejen! Kiek mir an: Ick war verheiratet, hab 3 Kinder und jeh in’n Puff!“
„Nee danke, ich sehe da ehrlich keinen Grund.“
„Janz ehrlich: Is schon ok, wenn du’n Weib hast. Ick hab dit ja och jahrelang so nich jemacht.“
Na da bin ich aber mal beruhigt. Und Ozie erst! 🙂
Aus der fünften Bude ist er dann tatsächlich nicht mehr rausgekommen. Ich nehme an, dass die Kombination aus den Überzeugungskünsten der Professionellen und der traumatischen Erfahrung mit der körperlosen Putzfrau da zusammengewirkt haben.