Der Frühling bringt es ja mit sich, dass ich nicht mehr nur in der schützenden Dunkelheit der Nacht unterwegs bin, sondern in den späten Abend- und frühen Morgenstunden auch ein bisschen Sonnenlicht an mich heranlasse. OK, ich bin ehrlich: Es nervt mich.
Aber nun am Wochenende war es einmal mehr soweit, und ich tätigte meine vermeintliche Abschlussfahrt um 6.30 Uhr vom Ostbahnhof nach Mariendorf. Guter Schlussstrich: Nette Frau, viel Gerede, Umsatz damit bei 200 und Trinkgeld gab es auch noch. Nichts was aus der Reihe fällt, aber das schadet nach über 10 Stunden Dienst ja auch nicht.
Fest entschlossen, gen Marzahn zu cruisen hätte ich die kuriose Winker-Truppe am Mehringdamm fast verpasst. Das lag aber wesentlich weniger an meiner Entschlossenheit, als an deren Unentschlossenheit, die letztlich dafür sorgte, dass der Arm erst eine Wagenlänge vor mir emporschnellte. Der Bremsvorgang war aprupt, wenn auch nicht reifenschädigend. Ausreichend: Nach einem kurzen Schockmoment wussten alle Beteiligten, dass ich für sie und nicht für ein ominöses Tier auf der Fahrbahn gebremst habe. Also noch eine Abschlusstour. Mitten am Tag, 7.15 Uhr.
Zunächst stolperte eine Blondine kopfüber ins Auto, die offensichtlich beim verzweifelten Ringen darum, ob nun Absätze höher oder Ausschnitte tiefer sein sollen, bei beidem neue Maßstäbe gefunden hatte.
„Ich… hihi… möchte nach Hause.“
„Das ist ein guter Anfang. Jetzt muss ich nur noch wissen, wohin genau!“
Hinter ihr her schob sich eine wesentlich gefasstere Frau auf den Rücksitz und nannte schwer verständlich eine Adresse in Prenz’lberg. Auf den Vordersitz setzte sich ein Schwarzafrikaner, dem irgendjemand ein Grinsen ins Gesicht getackert hatte, das beim Hinsehen weh tat. Ein zweiter Schwarzer wollte sich noch auf die Rückbank zwängen, wurde aber von der zweiten Lady mehr oder minder bar jeder Eleganz mit Handschlägen und Fußtritten davon abgehalten.
Während Blondie bereitwillig mit ihrem zweifelsohne folgenden Koma flirtete und ich überlegte, wie die Adresse wohl auf Deutsch heisst, oder ob es in Polen noch ein Prenz’lberg gibt, entbrannte ein weiterer Streit mit Black Grinsi und der resoluten Wortführerin.
Ich habe noch überlegt, wie ich das zu werten habe, als sie bereits ausgestiegen ist, und den jungen Mann aus dem Auto geworfen hat, der der für ihn scheinbar normalen Situation mit stoischem Dauergrinsen begegnet ist.
Also hatte ich nun zwei Frauen auf der Rückbank, die nach Prenz’lberg wollen. Auch nicht schlecht. Im Verlauf der eher kurzen Gespräche kam dann heraus, dass Blondie seit drei Stunden nicht zum Heimgehen zu animieren war, und jetzt – da sie endlich auf der Straße war – nichts besseres zu tun gehabt hatte, als irgendwelche jungen Kerle mitzuschleifen.
Auf diese Vorwürfe aber reagierte selbige gar nicht, da sie schlief. Während der sonst stressfreien Fahrt wachte sie nur zweimal auf. Beim ersten Mal änderte sie das Fahrtziel zum McDonalds in der Schönhauser (was quasi der selbe Weg war) und beim zweiten Mal kündigte sie an, kotzen zu müssen. Diese Ansage fanden nun weder ich, noch ihre Begleitung irgendwie komisch, aber bei einem eiligen Halt meinerseits grinste die betrunkene nur selig und verkündete, dass sie erst später kotzen müsse.
Sonderlich wohl war mir bei der Weiterfahrt nicht.
Aber sowohl wir als auch das Auto sind heil und sauber angekommen. Am Ziel bestand dann nur das Problem, dass Madame sich zwar offenbar beim Grinsetypen angesteckt hatte, allerdings immer noch schlief und keine Anstalten machte, das Fahrzeug zu verlassen.
Ungeachtet der Tatsache, dass ich eine enge Straße komplett blockierte, habe ich meine Hilfe (beim Stützen, Tragen, whatever) anbieten wollen, aber die Freundin meinte lapidar, sie würde sie schon aus dem Auto ziehen. Dieses Schauspiel endete so schnell wie es begann – und zwar damit, dass die schlafende Grazie mit nur leichter Stütze seitens ihrer Freundin auf die Straße purzelte. Grinsend und leblos.
Da lag sie nun. Mit dem Rücken auf dem Kopfsteinpflaster, die Füße noch in meinem Wagen. Schlafend und grinsend. Immer wieder faszinierend, wie glücklich frei verkäufliche Chemikalien einen doch trotz widrigster Umstände machen können.
Abgesehen davon, dass ich die Tür zur Weiterfahrt gar nicht hätte schließen können, spürte ich dann doch so einen Anflug von Verantwortungsbewusstsein. Von der Höflichkeit ganz zu schweigen und die Selbstverständlichkeit, die sich auf einen Notfall und auf 3,20 € Trinkgeld berufen kann, nur leicht mit einbezogen.
Die Freundin ist zur Haustüre geeilt, um sie zu entriegeln. Und zwar mit den Worten:
„Wenn das meine Eltern sehen, die wohnen auch hier…“
Aber damit nicht genug: Sash sollte auch was tun.
„Heben sie sie bitte auf!“
Ich denke kurz darüber nach, ob sie weiss, dass ich einen Staplerschein habe, verwerfe den Gedanken aber schnell wieder, weil er zu absurd ist und bei allen Schwierigkeiten nun wirklich kein schweres Gerät notwendig war. Aber das ist eine unangenehme Situation, ehrlich. Und das liegt nicht daran, dass ich für solch eine Aktion zu wenig Kraftreserven hätte. Auch nach 10 Stunden Arbeit. Aber es liegt mir nicht so sonderlich, fremde Menschen mal spontan grob anzupacken. Ganz davon abgesehen, dass ich für gewöhnlich als monogamer Beziehungsmensch die Anzahl mir in die Arme purzelnder Brüste auf zwei beschränke, und zwar nicht auf die zwei einer betrunkenen Dame in einem von fragwürdigem Geschmack zeugenden Schneeleoparden-Outfit mit einem Grinsen im Gesicht.
Aber gut, genug dramatisiert!
Sie ist letztlich wieder wachgeworden, hat sich ohne Grund einen der beiden Schuhe ausgezogen und ist froher Laune mit der wiedergewonnenen Mobilität ins schützende Haus ihrer Freundin getapst, wo sie wahrscheinlich umgehend auf dem Teppich eingeschlafen ist.
Und wieder eine Schicht abgeschlossen, und ein paar Menschen geholfen! So grotesk sich das lesen mag: Ich liebe meinen Job auch solcher Fahrten wegen!
PS:
Das war dann doch nicht die letzte Tour, mir ist noch eine Frau vors Auto gesprungen. Aber das war eine völlig harmlose Tour kürzester Sorte und wird mir im Gegensatz zur oben geschilderten sicher nicht im Gedächtnis bleiben.