Fahre ich heute um 0.30 Uhr am Matrix vorbei. Zu früh, keine Frage. Aber was soll man machen, wenn man schon in der Nähe aufgeschlagen ist. Zwei Kollegen stehen schon dort, und sofort fällt mir ein junger Mann auf, der von ihnen zu mir wankt.
„bla bla Kurzstrecke“
war ein von ihnen mir zugerufener Hinweis. Äh, was bitte? Will der Kerl also eine Kurzstrecke und konnte bei den Kollegen (verständlicherweise) nicht landen?
„Nimmst mich mit?“
fragte er mich.
„Gerne, aber was ist denn mit den Kollegen?“
„Ach, die Wichser haben irgendein Problem!“
Jaja, vonwegen Kurzstrecke vom Stand, denke ich mir. Ist ja nur berechtigt. Das hat durchaus mein Interesse geweckt, aber er war nicht gewillt, weitere Auskünfte zu geben. Naja, ich will zwar keine Kollegen verärgern, aber Kundschaft verprellen ist auch nicht besser, also lasse ich ihn einsteigen. Falls die Kollegen mitlesen: Sagt mir doch bitte, was los war, ich will es einfach nur wissen!)
„Bringst mich nach Adlershof?“
OK, das ist nun wirklich alles andere als eine Kurzstrecke. Eine echt gute Tour, fast das doppelte vom Durchschnitt. Naja, vielleicht haben die Kollegen ihn nicht mitgenommen, weil er zu betrunken ist. Er konnte mir nämlich nur kurz folgen, legte als Zielpunkt den S-Bahnhof Adlershof fest und schlief fast umgehend ein.
„Stress gehabt?“
fragte ich ihn noch, aber das war sinnlos, denn seine letzten Worte vor dem Wegschlummern waren:
„Wenn ich wollte, schon. Aber heute nicht. Ist genug…“
Äh? OK! Ein sonderlicher Ausbund an Sympathie war er wirklich nicht. Dass er Stress im Matrix oder mit den Kollegen hatte, verwunderte mich nicht. Aber er war bei mir sehr friedlich und schlief seelenruhig. Dass es beim Bezahlen Ärger geben könnte, habe ich befürchtet. Ich habe mir überlegt, ob ich mir via Funk vorsichtshalber eine Eskorte ordere, aber während der (reichlich vorhandenen) Zeit zum Überlegen ist mir klargeworden, dass er schon eine äußerst kuriose Waffe haben müsste, um in seinem Zustand noch ernstliche Probleme zu machen, die ich selbst nicht bewältigen könnte.
Ich habe ihn also schlafen lassen, und erst kurz vor dem Bahnhof wieder angesprochen:
„Hey, wir sind jetzt fast am Bahnhof. Wohin jetzt?“
„Egal!“
„Wie egal? Ich kann ja jetzt nicht einfach immer weiter fahren…“
Am Bahnhof bin ich rechts rangefahren und habe ihn dann endgültig aufgeweckt. Er war zwar – was seinem Zustand nach zu erwarten war – etwas verwirrt, aber zugleich froh, am Bahnhof zu sein.
„Was macht’n das jetzt?“
„18,50 €.“
„Waaas? Scheiße hier, soviel hab ich nicht. Von wo bist du denn gefahren?“
„Vom Matrix!“
Er hat sein Portemonnaie umgegraben, und ich hab beim Zusehen festgestellt, dass er einen Zwanziger darin hat. Puh! Erstmal durchatmen! Zur Bank geht der also höchstens alleine! Er hat das Geld, und ich werde da auch rankommen. Punkt.
Den Zwanziger hat er – ob gewollt oder nicht – übersehen, und angefangen, Kleingeld zu zählen.
„Des is? Was? Wieviel?
„18,50!“
„Des hab ich nicht. Wo ist denn der Rest?“
„Welcher Rest?“
„Bin ich allein mit dir gefahren?“
„Äh… ja! Du bist auf mich zugelaufen, hattest wohl noch Stress mit meinen Kollegen. Warum, weiss ich nicht, dazu wolltest du nichts sagen. Sonst war da keiner mehr!“
„Was macht das?“
„18,50!“
„Soviel hab ich nicht!“
An dem Punkt habe ich meine Contenance vergessen, gepaart mit ein wenig überwissendem Nachdruck:
„Du hast noch nen Zwanni! Gib mir den, und mach hier nicht rum!“
Er hat daraufhin den Zwanziger gezückt, ihn mir gegeben, und dann noch einen Fünfer:
„Hier hast du 20, 25…“
Für einen Moment habe ich schon gedacht, hier liegt eine Situation vor, in der ich meinen Fahrgast davor warnen müsste, dass er zu viel Trinkgeld gibt. War natürlich nicht so. Hätte ich wissen sollen…
Während er seinen Geldbeutel nach Kleingeld durchforstet, sagt er mir folgenden – definitiv noch nie gehörten – Satz:
„Ich geb dir achtnzwanzigfünfzich und du gibs mir’n Zehner zurück!“
Kurios, aber immerhin mal was neues! Ich hab ihm den Zehner gegeben, und lauschte ebenso irritiert wie fassungslos, dass er sich verabschiedete mit den Worten
„Ich hoffe, dass ich von hier aus heimkomm…“
Kann mir das mal einer erklären?