Nacht

Im Vergleich zum Taxi kommt die Nacht hier im Blog oft nur als Nebendarstellerin weg. Ein pures „Und wann spielte die Geschichte nochmal?“, mehr nicht. Dabei ist das natürlich Teil des Ganzen. Meine Fahrgäste fragen gerne, ob ich freiwillig mit der Nachtschicht angefangen habe. Dass ich es jetzt mag ist die eine Sache, beim Anfang war es nicht ganz so offensichtlich. Hat mein Chef mich damals mehr gedrängt, als ich es heute im Kopf habe? Könnte schon sein. Nachtfahrer werden fast überall eher gesucht. Und dann noch so Typen wie ich, denen die meisten Feiertage und jedes einzelne Wochenende genehm ist. In meiner Erinnerung war das nur ein „Probier’s halt mal, vielleicht gefällt’s Dir ja.“ Ist das noch freiwillig? Wer weiß.

Aber dass ich die Nacht mag, das hat noch nicht einmal was mit Berlin zu tun. Das hat schon in Stuttgart angefangen, auch wenn ich da meist tagsüber gearbeitet habe. Städte sind einfach faszinierender nachts. Vielleicht gerade weil sie so extrem auf Menschen und viel Verkehr ausgerichtet sind – und während der dunklen Stunden so leer und auf seltsam inspirierende Art grotesk erscheinen. Als faulen Menschen hat es mich immer nur zu Fuß auf die Straße verschlagen, wenn anders nix machbar war. Und Taxi war damals nie machbar. Zumindest gefühlt nicht.
Aber dann war’s immer wieder herrlich. Einmal hat’s mich auf Schusters Rappen von Fellbach bis nach Stuttgart-Gablenberg getragen, von einem Freund zu meiner Mutter, ganz alleine – abgesehen von einem Sixer Bier. Übers freie Feld bis Untertürkheim, weiter zwischen Mercedes-Benz-Teststrecke und Neckar durch die Dunkelheit und dann durch die leeren Straßen meines Kiezes.

Und jetzt: Berlin. BÄM!

Aber auch hier stiefel‘ ich lieber alleine durch Marzahn als durch Mitte, manchmal bleibe ich nachts einfach vor meinem eigentlich fast schon hässlichen Plattenbau stehen, weil er nachts gleichzeitig schicker, bedrohlicher, unnützer und doch passender wirkt. Ich glaube nicht, dass ich mir von Leuten in durchdesignten Wohnungen erklären lassen muss, wie man die kleinen Dinge des Lebens genießt.

Jetzt gerade, vor zwei Stunden, war mir total langweilig und mir ist die Decke auf den Kopf gefallen. Nicht einmal bloggen wollte ich. Da hab ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und bin raus. Obwohl ich erst heute Abend wieder arbeiten werde, stand das Taxi schon bereit und ich konnte meine Zeit damit verbringen, zu ihm zu fahren und es dann hier vor die Haustüre umzuparken. Rechnerisch eine dumme Idee: Heute Abend spart mir das vielleicht eine Viertelstunde, jetzt war ich am Ende 50 Minuten unterwegs. Aber als ob es wirklich ums Auto gegangen wäre! Ich wollte raus, in die Nacht!

Und so lange gedauert hat es auch nur, weil der Stopp-Knopf in der Straßenbahn nicht so recht wollte und ich eine Station später aussteigen musste. Kein spektakulärer Weg, ein paar Minuten zwischen Plattenbauten und Parkplatz. Gepisst hat es auch noch. Aber ein neuer Blickwinkel, 500 Meter bisher unbekanntes Terrain, alles ruhig und friedlich, menschenleer.

Gesellschaftlich bin ich dafür, dass die Nacht mehr als normale Tageszeit akzeptiert wird. Ganz egoistisch für meine Wenigkeit würde ich mir wünschen, dass ich – wenn ich nicht gerade arbeite und auf der Suche nach Kundschaft bin – diese dunklen Stunden für mich alleine habe. Diese stillen Zeiten – meist nur Minuten – sind mein Urlaub, mein Ausspannen. Mein Weg-von-der-Hektik, mein Neujustieren und Krafttanken. Im Taxi gönne ich mir das selten. Auf meine verquere Art arbeite ich dann ja doch eher effizient, wenn ich’s mal tue. Aber wenn ich wie heute einfach gar nix erwarte, dann genieße ich das doch sehr. Und dann komme ich halb durchnässt nach einer Stunde heim und hab plötzlich wieder Lust zu schreiben.

GNIT verdankt der Nacht also mehr als nur die fünf Buchstaben (und damit zusätzlich noch einen Bindestrich) in der URL, sondern viel mehr. Wenn auch meist nur als Kulisse oder so wie jetzt eher hintergründig. Ich vermute, nur wenige teilen meine Liebe zur Nacht und insbesondere die vorgebrachten Gründe. Manche mögen es vielleicht nicht einmal, dass ich das hier in diesem Eintrag jetzt so pseudo-romantisch runtergeschwurbelt habe. Manchmal ist es mit den Texten halt wie mit mir selbst: sie müssen einfach raus. In die Nacht. Und es ist auch hier völlig offen, ob man dabei noch von Freiwilligkeit sprechen kann.

Ein schönes Wochenende Euch allen! 🙂

12 Kommentare bis “Nacht”

  1. Wahlberliner sagt:

    Ich habe momentan einen ähnlichen Tagesrythmus wie Du: Morgens schlafen gehen, und nachts wach sein. Ich versuche dauernd, es hinzubekommen, das zu ändern. Manchmal schaffe ich es für ein paar Tage, manchmal nicht mal für einen Tag (dann bin ich mal um 00 Uhr müde und falle ins Bett, nur um 3h später wieder aufzuwachen. Daraufhin denke ich mir dann, ach, jetzt nochmal vormittags ein paar Stunden schlafen bringt doch nix, ich mache durch, nur um dann doch wieder erst nach 25-26h einzuschlafen, obwohl 20h des Wachseins meinem Plan eher gedient hätten). Ich mag die Nacht auch, aber vor allem ist es da einfacher, am Rechner zu sitzen und sich in diese Welt zu versinken. Ich mag auch den Tag, weil man tagsüber viel mehr hinkriegt, was auch der Grund dafür ist, weshalb ich meinen Rythmus gerne umstellen würde, aber irgendwie stellt sich das, wenn man einmal daran gewöhnt ist, als ziemlich schwer heraus. Wobei ich Dir zustimme und Dich zugleich beneide, dass es in der Stadt nachts draußen schöner, weil ruhiger ist. Wobei, so richtig ruhig ist es hier auf der Straße nur, wenn Deutschland in irgendeinem „bedeutenden“ Fußball-Länderspiel spielt, oder an Heiligabend mal für ein paar Stunden. Ansonsten ist für Ruhe eigentlich noch am ehesten die Zeit zwischen 1 und 4 Uhr morgens zu gebrauchen, denn dann kommt nur alle paar Minuten mal ein Auto. Beneiden tu ich Dich aber nicht deshalb, sondern weil Du eine Beobachtungsgabe hast, und einen „sense of appreciation“ für die kleinen Dinge, die ich allzu oft ausblende. Das liegt auch nicht daran, dass ich seit über 10 Jahren hier wohne, sondern hat vermutlich irgendwas mit meiner Fixierung auf das Digitale zu tun…wenn man den größten Teil der Zeit damit verbringt, irgendwelche User-Interfaces (seien es Webseiten oder Programme) zu bedienen, dann ist anscheinend die Aufnahmebereitschaft im „RealLife“ automatisch geschmälert…etwas, was sich hoffentlich auch wieder korrigieren lässt!

  2. Max sagt:

    Ich bin kein Taxifahrer, aber als Autofahrer in einer Großstadt kann ich deine Liebe zur Nacht und deine Präferenz zur Nachtschicht vor allem aus einem Grund nachvollziehen: Es ist einfach die Hölle, tagsüber in deutschen Großstädten herumzufahren. Oder nennen wir es eher, herumzukriechen, von Stau zu Stau, von Ampel zu Ampel. Wäre ich Taxler, würde ich mich definitiv auch nur für die Nachtschicht entscheiden – aus dem einen Grund, dass ich nie nie nie eine Tagschicht machen wollen würde. Für mich unverständlich, wie viele Leute genau diese Schicht gerne machen. Das hat aus meiner Sicht weniger mit der Verkehrssituation zu tun (die kann man ja wohl kaum lieben), sondern eher damit, dass diese Leute einen „gesellschaftlich akzeptierten“ Tagesrhythmus möchten – morgens aufstehen, abends ins Bett. Das allein könnte mich aber nie überzeugen, mich Tag für Tag durch den Verkehrsinfarkt einer Großstadt zu quälen, und ich nehme an, dir geht das genauso, Sash.

  3. Taluien sagt:

    Vor einer Weile, nachdem man schon den Abend mit Billiard und Gesprächen mehr als gut rumgebracht hatte und es nun darum ging sich wieder nach Hause zu trollen, meinte ein Freund von mir „Weisste was, ich hab noch Bock zu laufen, Bock zu reden, ich komm noch mit bis nach dir zuhause.“ Also nochmal 20 Minuten drangehängt, durch die leergefegte, spärlich erleuchtete Fußgängerzone hier in Velbert. Bis zu mir. Da meinte dann ich „Ich hol nur eben kurz was von oben runter, warte mal noch.“ Bin mit zwei Flaschen Bier wieder runter, wir haben uns auf dem stockdunklen Sportplatz nebenan auf ne Bank gesetzt und noch ne Ewigkeit gequatscht, in die Sterne geschaut und einfach mal das Leben genossen. Das ist das Zeug, dass einem die Batterien wieder aufläd, egal was für Mist im Alltag so läuft.

    Es gibt da ein wunderbares Lied des einfach grandiosen (meiner Meinung nach) Klaus Hoffmann, „Ich liebe die Nacht“. https://www.youtube.com/watch?v=2ktDgwpp3_I

  4. Jepp, Nächte haben was!

    Hier sogar mit altem Kommentar von Dir: http://www.berlinstreet.de/377
    Und mittlerweile dürftest Du diese Vertrautheit wohl haben 🙂

  5. Morgis sagt:

    Ich kann die Liebe zur Nacht durchaus nachvollziehen. Auch ich fahre am liebsten Nachts. Die Straßen sind frei und es ist einfach irgendwie ruhiger. Auch wenn es hier nicht Berlin ist sondern eher landwirtschaftlich hier zugeht hat es auch hier seinen Reiz. Manchmal wenn ich mitten in der Nacht besonders weit raus muss (und vorsichtshalber etwas eher los fahre), irgendwo in einem gottverlassenen Nest mitten im Nichts, dann stelle ich mich in der Nähe des Abholortes irgendwo hin, rauch erstmal eine und genieße es einfach nur dort zu stehen. Dann schau ich in die Sterne (so vorhanden), denke daran, wo ich da gerade bin und dass ich ohne meinen Job wohl niemals dort gelandet wäre und lass so meinen bisherigen Lebensweg im Kopf Revue passieren und denke was wäre wenn ich was wann anders gemacht hätte usw. und bin dann doch jedesmal sehr zufrieden, dass ich da mutterseelenallein mitten in der Pampa stehe mit einem Auto das mir nicht gehört, rauche und auch noch Geld dafür bekomme.

  6. Holger _nine_Fingers sagt:

    Nabend,

    ich habe das Spiel ja auch einige Jahre gespielt und bin im Pott lieber nachts als tagsüber gefahren. Gerne an Weihnachten, weniger gerne im Karneval.
    Nachts ist das Publikum anders, weniger Verkehr und bei uns war noch mehr zu tun als tags.

    Die Nacht selbst – ich bewege mich auch gerne nachts. Es ist übersichtlicher, ruhiger. Nach der Schicht in der Großstadt noch 20 Minuten zu Fuß heimlaufen – das hatte schon was.

    Viele Grüße & gute Schicht!

  7. Sash sagt:

    @Wahlberliner:
    Ich verbringe doch auch die meiste Zeit vor Bildschirmen. Sicher dreimal so viel wie im Taxi. Das alleine kann’s bei Dir nicht sein. Und ich wohne inzwischen auch seit sechseinhalb Jahren hier. Ich könnte das auch alles schon öde und langweilig finden.

    @Max:
    Natürlich ist mir der Berufsverkehr inzwischen ein Greuel. Aber nur weil man etwas nicht mag, muss man etwas anderes ja nicht toll finden. Da ist schon mehr als das Fehlen von Ampeln. 🙂

    @Taluien:
    Erinnert mich ein bisschen an meine Nacht in Wien. 🙂
    Klaus Hoffmann geht natürlich nochmal viel grundsätzlicher ran. War nicht ganz das, was ich meinte. Aber ja, kann man machen.

    @Nachteule Aro:
    🙂
    Ja, schätze schon.

    @Morgis:
    Genau das beschreibt es ganz gut. Und genauso hab ich’s draußen auf dem Land bei meiner letzten Fernfahrt auch gehalten. 🙂

  8. Sash sagt:

    @Holger_nine_Fingers:
    Sorry, hab Dich übersehen. 🙁
    Stimme Dir absolut zu und grüße müde, aber gut gelaunt zurück. 😀

  9. HonkyTonk sagt:

    Einer der schönsten Texte zu meiner Lieblings-„Tages“-Zeit die je lesen durfte!

  10. Sash sagt:

    @HonkyTonk:
    Danke. 🙂

  11. fathor sagt:

    Ich hab‘ nächste Woche meine (dritte…) mündl. Prüfung; aber für mich steht jetzt schon eines fest: wenn ich anfange zu arbeiten, dann nur die Nachtschicht. Zum einen weil ich eben ein Nachtmensch bin, zum anderen weil mich der Verkehr hier in Berlin tagsüber einfach nur ankotzt (ich sag‘ nur Baustellen).
    Das was Taluien geschrieben hat geht mir genau so. Nachts mit einem guten Freund spazieren und über alles mögliche quatschen, ohne Ziel, ohne Eile.

  12. Sash sagt:

    @fathor:
    Na dann schon mal viel Glück für die Prüfung!
    Vielleicht sieht man sich dann ja mal irgendwann … nachts. 🙂

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