Und als ich so an der Ampel stand, drehte er sich um und sah mein Taxi. Er stieg ein und fragte freudig:
„Ater, was geeeeeeeeeht?“
„Das selbe könnte ich dich fragen …“
„Fahr mich mal nach Teltow.“
„Das Teltow bei Potsdam?“
„Nee, fahr hier geradeaus!“
Deswegen fragt man ja. Er war knackig dabei wie ein Rudel frisch zubereitete Vollkorntoastbrösel und verstrickte sich bei seiner Angabe mehr und mehr in Widersprüche. Ich hab ihm klargemacht, dass ich mich im Umland aber sowas von keinen Fatz auskenne und so genau wie möglich informiert zu werden gedenke. Das Navi spuckte nämlich undankbarerweise nur das Teltow bei Potsdam aus. Allerdings war ich ja gerne bereit, ihn irgendwohin zu bringen, wo die Dörfer ähnlich heißen. Teltau vielleicht oder Deltow – was weiß ich schon? So ganz lupenrein war seine Aussprache auch nicht mehr …
„Aber es liegt sicher nördlich von Berlin?“
fragte ich ihn, da wir gerade die Greifswalder Straße hochgefahren sind.
„Ja Mann! Boah ey!“
„Haste mir vielleicht einen Nachbarort?“
„Ruhlsdorf!“
„Na dann geb ich das doch mal ein …“
Und siehe da: Mir ward umgehend ein U-Turn empfohlen. Also doch das (südwestlich von Berlin gelegene) Teltow bei Potsdam! In dem Moment war mir der Umweg, den wir bisher genommen hatten (Hin- und Rückweg gut je zwei Kilometer) egal. Er raffte offensichtlich gar nix mehr und ich bin nunmal nicht für alles verantwortlich. Ich war ja schon froh, dass wir vor Bernau auf diesen Fehler gekommen sind.
Ich hab mich mit ihm in deeskalierendem Smalltalk geübt und nebenbei ein paar Grundsätzlichkeiten herauszufinden versucht:
„Und, Geld haste genug dabei für die Fahrt? Oder sollen wir vorher noch an einer Bank anhalten?“
„Geld? Logo!“
„Naja, nach dem Feiern tauchen einige hier blank im Taxi auf, deswegen frag ich ja …“
„Kommt ja auch drauf an, was Du haben willst …“
„Lass mich rechnen … naja, so 40 € werden es sicher. Aber da ich ja noch nicht genau weiß, wo es hingeht, ziehe ich mal eine Obergrenze bei 50 €.“
„Fuffzsch issokeh!“
Er hielt mehrere Geldscheine zur näheren Betrachtung in der Hand, einer davon war ein Fünfziger. Na also! Tatsächlich beruhte meine Aussage noch auf der Strecke nach Ruhlsdorf, aber das hatte ich jetzt – ungefähr am Potsdamer Platz angekommen – auch vor zu ändern. Da ich ja jetzt wusste, in welches der vielen einen Teltows es gehen sollte, fragte ich nach einem Straßennamen:
„Ja, Teltow halt.“
„Kein Straßenname?“
„Ey, in Teltow gibt’s sowas nicht.“
„Da gibt es keine Straßennamen? Na dann aber sicher Nummern?“
„Nee, aber den Ruhlsdorfer Platz – da muss ich hin!“
Na also. Schwere Geburt mit allerlei Unwahrheiten, aber diese Adresse fand mein Navi umgehend. Noch dazu war die Strecke einen Kilometer kürzer als nach Ruhlsdorf. Alles würde gut werden!
Als wir an der Potsdamer Ecke Bülowstraße waren, öffnete er vorsichtig die Türe. Ich wunderte mich. Hätte er kotzen müssen, wäre das nur der logischste Verlauf des Abends gewesen, aber es waren erst zwei Kilometer zurückgelegt, seit er meinen Gedanken, er könne vom Alkohol kotzen müssen, vehement und lautstark von sich gewiesen hatte.
„Äh, was machst Du da?“
„Ich steig hier aus, da fährt meine S-Bahn.“
Er guckte mich ungläubig an, als sei das das Selbstverständlichste auf der Welt. Ich hatte allerdings auch noch zwei Asse im Ärmel:
„Warte mal besser kurz: Erstens ist das hier eine U-Bahn und keine S-Bahn und zudem würde ich doch darum bitten, dass Du die Fahrt bis hierhin trotzdem bezahlst. Ich halte gerne hier an der Ecke, dann können wir zweiteres klären. Eine S-Bahn allerdings musst Du dir dann selbst organisieren.“
„Äh, na dann bring mich zur S-Bahn!“
„Also nicht mehr nach Teltow?“
„Nee Mann, das ist zu teuer!“
„Meinetwegen, mach ich gerne, ich sollte es halt nur wissen! Die nächste S-Bahn-Station, die mir einfällt, wäre die an der Yorckstraße …“
„Dann bring mich dahin!“
Ok -.-
Um die Länge der Fahrt ging es mir nicht. Ich hatte meinen Umsatz gemacht in dieser Schicht und die Aussicht, aus Teltow bis nach Lichtenberg heimzufahren, reizte mich kein bisschen. Aber wirklich sinnig war das dennoch nicht. Nicht in seinem Zustand. Egal, der Kunde ist König! Ich fuhr ihn kurz um die zwei Ecken und hielt am S-Bahn-Eingang der Station Yorckstraße.
„So, da wären wir. Das macht 19,40 €.“ (Umweg und so …)
Er reichte mir einen Zwanziger:
„19,40? Zwanzig!“
Ich steckte das Geld ein und warte. Er meint:
„Äh, krieg ich jetzt mein Geld?“
„Was? Ach das … sorry! Wenn die Leute Zwanzig sagen, dann meinen sie in der Regel, dass sie das als Trinkgeld …“
„Ja, aber bei zwanzig wären das …“
Ich merkte ihm das Grübeln an und reiche im 60 Cent.
„Sechzig!“
„Ja, hier.“
Man beachte meine Gutmütigkeit, das wäre schließlich ohnehin ein schlechtes Trinkgeld gewesen …
„Na dann noch einen guten Heimweg!“
„Ja, toll! Ich weiß ja nicht mal, wo ich hier bin …“
Sprach’s, machte die Tür zu und stand in der Gegend rum. Breit wie ein Frosch unter der Dampfwalze! Ich hab mich dann dennoch vom Acker gemacht. Wahrscheinlich hat er eine Viertelstunde später ein anderes Taxi angehalten.
Dass all das so kommen könnte, hätte mir früher bewusst sein können. Kleiner Rpückblick: Vor einer halben Stunde etwa fuhr ich über die Alexanderstraße an den Alexanderplatz heran. Ich beschleunigte etwas, um die grüne Ampel noch zu erwischen, da bemerkte ich den über die Fahrbahn schlurfenden Troll, den ich ohne weiteres über den Haufen geheizt hätte. Ich bremste, hupte aber auch. Einerseits natürlich aus Verärgerung darüber, dass ich jetzt warten müsste – andererseits aber auch verkehrsgerecht, um ihn auf die Gefahr hinzuweisen.
Er schlurfte weiter über die Straße und zeigte mir geistesabwesend den Stinkefinger. Als er die Ampel überquert hatte, blieb er mit dem Gesicht von mir abgewandt stehen. Für einen Moment dachte ich: Bevor der hier reinkommt, schließ ich das Auto ab. Jemand, der mir den Stinkefinger zeigt, hat eigentlich jedes Anrecht auf eine Beförderung verwirkt. Aber sollte ich wirklich? Oder nicht?
Und als ich so an der Ampel stand, drehte er sich um und sah mein Taxi …
