Im Wendekreis der Kundschaft

Na was für eine Überraschung! Kundschaft! Das kommt mir ganz gelegen, denn ich bin schon von Karlshorst aus bis nach Friedrichshain gegurkt. Leer. Aber aufs Leben im Boxhagener Kiez ist Verlass! 🙂

Ich befand mich auch direkt auf der Boxhagener in Richtung Westen. Die Kundschaft auf der anderen Straßenseite. Ich versuchte zu erkennen, ob sie die Straße überqueren wollen. Viele scheuen sich ja, das Taxi nochmal wenden zu lassen. Was das wieder kostet! Diese nicht. Die warteten, bis ich gedreht habe. Kein Thema.

„Wir müssten in die andere Richtung!“

Kein Problem, ich war gespannt, wo es hingeht. Ich wendete das Auto also ein zweites Mal und fragte, wo es jetzt genau hingehen soll.

„Also da in Rummelsburg wäre das die…“

„Rummelsburg? Das wäre aber die andere Richtung…“

„Ach ja, wir sind ja vorher von da gekommen!“

Also nochmal gedreht. Ich bin ja froh, dass mir nicht so schnell schwindelig wird im Auto 😀

Feilschen wie beim Bäcker

Achtung! Dieser Artikel enthält 5% Bäckervergleiche.

Taxifahren zum Festpreis? Billiger als zum Taxitarif? In dem meisten Städten und Landkreisen in Deutschland ist das illegal. Gemacht wird es trotzdem immer wieder – und zwar mit folgenden total schlüssigen Begründungen. Zur Erklärung sind vergleichbare Anliegen in der Kundenbeziehung zwischen Bäcker und Brotkäufer angefügt. Diese sind im Einzelfall nicht 100%ig identisch, aber wenigstens völlig legal. Eine Möglichkeit, sich das Geld fürs Taxi zusammenzusparen?

Kommen wir zu den Begründungen, warum ich den Kunden teilweise bis zu 50% des Fahrpreises erlassen soll:

1. Du fährst doch eh in die Richtung!
(Das Brot ist doch eh schon gebacken!)

Ja, zugegeben: Es würde mir keine direkten Mehrkosten verursachen, einen Kunden mal so mitzunehmen. Zwei Gegenargumente gibt es dennoch: Zum einen wäre ich dann besetzt und müsste (den Normalpreis be-) zahlende Kundschaft ggf. stehenlassen. Zum anderen bin ich nicht zufällig vor Ort. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, zu gewissen Zeiten an gewissen Orten zu sein und diese Leistung ist in dem Moment schon erbracht. Das muss nicht immer viel sein, vielleicht bin ich nach dem letzten Kunden nur einmal ums Eck gefahren – aber diese Schwankungen des Arbeitsaufwandes pro Kunden sind normal. Dafür können wir am nächsten Tag 10 Kilometer Anfahrt für eine Fahrt in Kauf nehmen…

2. Aber letzte Woche hab ich das auch gemacht…
(Ich hab letzte Woche in der Bäckerei gegenüber aber Brötchen gefunden, die eigentlich…)

Ob etwas in Ordnung oder machbar ist, richtet sich (manchmal durchaus leider!) nicht danach, was irgendwann irgendwo mal irgendwie geklappt hat. Nur weil ein Kollege das Gesetz bricht, bin ich nicht auch dazu verpflichtet.

3. Fährste halt ohne Uhr. Der Chef merkt das nicht, dann haste sogar mehr davon!
(Back halt ein paar Brötchen nach, dann fällt das nicht auf!)

Vielleicht geht das im Trubel tatsächlich mal unter. Aber das geht einfach nicht dauernd. Vom moralischen Dilemma mal ganz abgesehen: Bei 100 Kilometern mehr oder bei 20 Kilogramm Mehl wird es dann eben doch auffällig. Denn die Kosten entstehen trotzdem, die Einnahmen entgehen uns ebenso in Realität und das Spielchen lässt sich nirgends ewig spielen.

4. Wenn du mich fährst, haste wenigstens was. Mehr verdienste so jetzt auch nicht…
(Den Kuchen kauft doch jetzt niemand mehr, ist schon 14 Uhr. Lieber halber Preis als gar kein Geld!)

Ja, aber wenn es schon so schlecht läuft, dann warte ich doch lieber auf eine richtige Tour, die mir vernünftige Umsätze beschert! Es ist ein Glückspiel für uns, das ist wahr. Aber nicht ohne Grund darf ich eine kurze Fahrt nicht ablehnen, nur weil ich auf eine lange Tour hoffe. Es läuft mal so und mal so – und vor allem: Es weiß keiner. Ja, vielleicht hat man durch so eine Tour wirklich mehr Geld am Ende. Vielleicht aber auch erheblich weniger. Ein Argument ist das nicht wirklich.

5. Aber ich bin doch nur armer Student…
(Aber ich bin doch nur armer Student…)

Ja, traurig. Und nichts gegen eine Erhöhnung des BaFöG, mehr Kindergeld usw. usf. Weswegen ich als armer Taxifahrer jetzt mein Einkommen deswegen schmälern soll, entzieht sich mir. Ich geb gerne was an Bedürftige ab, aber an manchen Stellen kann nicht groß gespart werden. Hey, dafür ist die Monatskarte für die BVG günstiger als meine und vielleicht gibt es beim Bäcker ja doch das Mittagsmenü zum Schülerpreis mit Studentenausweis. Und was zur Hölle machen wir, wenn ich nebenher studieren sollte?

6. Der Abend war schon so teuer, der Eintritt und der Alk – ich hab nur noch 10 Euro!
(Sorry, ich hab beim Metzger und im Supermarkt so viel eingekauft, kann ich die Brötchen billiger haben?)

Nö, zahl mir den Zwanni und zieh‘ es deinem Vermieter von der Miete ab!

7. Wenn du mich nicht für 10 fährst, nehm‘ ich einen anderen!
(Dann geh ich halt zum Bäcker um die Ecke!)

Das ist jetzt sicher nicht schön für uns. Aber mal ehrlich: Da kommt eine Anfrage nach einer Tour für 50 – 75% des Normalpreises. Laut meinem Chef bleiben am Ende des Monats rund 5 – 10 % Gewinn übrig bei einem Taxiunternehmen. Irgendwas sagt mir, dass ich auf den Kollegen kein bisschen neidisch sein sollte…

8. Mach mal billiger, weil wenn ich die Bahn nehme, kostet die auch nur 2,30 €!
(Warum soll ich für ein Käsebrötchen so viel zahlen? Ohne Käse kostet das nur 30 Cent?)

Muss ich das eigentlich ernst nehmen? Aber gut: Wir fahren dann in einer halben Stunde los, solange wartest du draußen. Dann nehmen wir noch diese 5 Typen nach Wannsee mit und ich lasse dich in anderthalb Stunden 1,2 km von deiner Haustüre entfernt raus. Deal? Man muss den Mehrwert einer Taxifahrt nicht schätzen. Ich fahre selbst oft genug Straßenbahn in Berlin. Aber Taxifahren ist ein Gesamtpaket. Da kann man nicht mal eben ein paar Dinge außen vorlassen. Wenn man keinen Fahrer braucht, ist Carsharing oder ein Mietwagen eine Lösung. Scheißt man auf Komfort, tut es ein Fahrrad. Hat man Zeit und ist noch fit, kommt man mit der Bahn fast überall hin. Kurze Strecken kann man laufen und der beste Kumpel trägt einen vielleicht umsonst sogar ein paar Meter. Aber gerade weil es das alles gibt, ist es doch nicht meine Aufgabe als Taxifahrer, alles anders zu machen…

Abschließende Worte

Ich weiß, dass das Gejammer über Festpreise bei vielen Taxikunden auf taube Ohren stößt. Und dass die Bäckervergleiche nicht immer zu 100% passen 😉
Aber es ist für mich als Nachtfahrer wirklich ein ständiges Ärgernis. Keine Nacht, in der ich nicht wenigstens eine Anfrage hätte! Taxifahren ist teuer, ja. Ein Teil der Kosten und ein Teil der Arbeit bleibt für Kunden dabei meist unsichtbar – aber das ist wie in jeder anderen Branche. Der Weizen und ein bisschen Strom für den Ofen lassen ein Brötchen auch keine 50 Cent kosten. Genausowenig wie Benzin für 5 Kilometer und ein Fahrerlohn für 10 Minuten eine Taxifahrt 11 € kosten lassen. Es hat sich eingebürgert, im Taxi zu handeln, ok finde ich das kein bisschen. Wir sind Teil des öffentlichen Nahverkehrs und unser Tarif wird alle paar Jahre aufs Neue mit der Stadt ausgehandelt. Meines Erachtens nach wird dabei auch mal zu viel draufgeschlagen, aber letztlich sind die jammernden Berichte der Fahrer, die kaum von dem Geld leben können, nicht erfunden. Der Bäcker kann viel freier und spontaner seine Preise anpassen oder Produkte die sich nicht lohnen wieder vom Markt nehmen. Wir können das nicht. Wir dürfen das nicht! Ich darf mir die Preise nicht aussuchen, rein rechtlich nicht einmal die Kundschaft.
Die Tarifbindung ist nicht immer schön – auch für uns Fahrer nicht. Wo es hinführt, wenn man sie nicht beachtet, kann man in Ansätzen auch hier sehen: Natürlich sind es dieselben Fahrer, die einerseits mal für 5 € schwarz ein paar Kilometer weiter fahren und am anderen Ende der Stadt einem Touristen 20 € für eine Zehner-Tour aus der Tasche ziehen! Anders lohnt es sich für die nämlich auch nicht. Ich bevorzuge da lieber faire und transparente Preise für alle – auch wenn das im Einzelfall mal ärgerlich sein kann.

Taxi-Demo am 23.4.2012

Am kommenden Montag, zwischen 8.30 Uhr und 14 Uhr ist eine große Sternfahrt zum Brandenburger Tor mit anschließender Kundgebung eben dort geplant. Der Grund sind die Regelungen am neuen Flughafen BER.

Ich hab gestern schon einen Artikel drüben beim Taxihaus-Berlin geschrieben, das muss ich jetzt nicht hier alles wiederholen. Einen downloadbaren Demo-Aufruf gibt es dort auch. Letzterer empfiehlt sich allerdings eher, falls man was von Layout versteht und nach einem Grund für seinen Suizid sucht. Link: Taxi-Demo am 23.4.12 in Berlin!

Wer es gerne noch schlechter gestaltet haben will, kann auch diesem Link zur Taxi-Innung folgen. Dort steht der Aufruf praktischerweise auf der Startseite, so dass dieser Link bald ungültig wird…

Wie man sieht: Nur Profis am Werk. Ich hoffe allerdings trotzdem, dass einige Kollegen sich aufraffen. Ich selbst werde um die Zeit in Ermangelung eines Taxis wahrscheinlich trotzdem schlafen.

Fünf. Und. Zwanzig. Tausend.

Nein, die Überschrift hat leider nix mit meinem Verdienst zu tun. Ich wünschte es mir sicher mal, aber in der Regel lasse ich sogar Fahrgäste einfach aussteigen, die mal eben 100.000 € mit sich durch die Gegend schleppen

Aber es ging wirklich nicht ums Geld, sondern um ISO-Werte. Mein Fahrgast stieg mir am Berghain ein, wollte kurz nach Hause und anschließend zurück. Das passiert bisweilen, meist sind es Clubgänger mit Geldsorgen. Er jedoch berichtete mir, dass er gar nicht so ein x-beliebiger Besucher wäre, sondern der Einzige, der im Berghain auch offiziell fotografieren dürfte.

Ich erfuhr von ihm, dass es im Berghain ungern gesehen wäre, wenn fotografiert würde. Im Grunde nicht weiter verwunderlich, ist der Club doch auch überregional bekannt für mehr oder minder wilde Orgien. Und das – wenn ich das meinem Fahrgast glauben darf – ist auch der Grund, weswegen man dort keine Fotos schießen darf oder sollte: Die Leute sollen tun und lassen können, was sie wollen, ohne dabei Sorgen zu haben.

Er aber ist wohl mit den Inhabern bekannt gewesen und hatte nun nach langer Abstinenz mal wieder vor, Fotos zu machen. Der Grund: Er hatte eine neue Kamera. Eine nagelneue Canon, die eine Empfindlichkeit von ISO 25.000 hat…

Im Gegensatz zum oben verlinkten Cello mit wesentlich mehr Wert hätte ich lieber dieses Schmuckstück entwendet!

Denn als Nachtschichtler hat man es schwer mit Fotos. Ich würde gerne mehr fotografieren, aber ich kann ja schon von Glück reden, dass meine Digicam es bis ISO 1600 schafft. Bilder von bewegten Objekten bei Nacht sind dennoch schwierig festzuhalten. Kameras, die in der Nacht gute (nicht verrauschte) Fotos machen, sind selten. Sein Teil wäre mir zwar zu groß gewesen, aber ich hab mitfühlen können, wieso es ihm jeden einzelnen der 2.000 € wert war…

Er hat dann während der Fahrt einfach so ein paar „Schnappschüsse“ aus dem fahrenden Taxi heraus geschossen… verdammt, ja: Ich bin neidisch!

Bahnföhrer

Manchmal hab ich ja mehr oder weniger frustrierte Bahngäste an Bord. Der hier war eher belustigt. Und das hatte auch einen Grund. Sein Zug hatte Verspätung. Das wurde auch durchgesagt, leider hat das Mikro manchmal den Dienst versagt. Und so verschluckte es an etwas ungünstiger Stelle wohl das Wort „Zug“:

„Sollten Sie weitere Fragen haben, wenden sie sich bitte an den …Führer.“

Prompt schreckte eine alte Dame hoch:

„Was, der lebt noch!?“

Ich hätte  ja auch gelacht, ganz ehrlich! 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Furchtbare Tragödie!

Er war ein bisschen ein schräger Vogel, aber einer von der ganz lieben Sorte. Ein bisschen Alt-Rocker, ein bisschen über 50 und ein bisschen angetrunken. Er winkte mich zu sich an den Straßenrand und gab als Fahrtziel an:

„Einfach gradeaus!“

„Wie weit etwa?“

„Puh, so bis Allee der Kosmonauten…“

Ich frage das bei unklaren Zielangaben gelegentlich, auch um den Leuten noch eine Chance mehr zu geben, sich an die Kurzstrecke zu erinnern. Manchmal frage ich ja auch selbst nach – obwohl ich das nicht müsste. Er war so ein Fall, bei dem ich mir vorstellen hätte können, dass er erst die Ansage vergisst und nachher überrascht ist, dass sein Geld nicht reicht.

Aber auch ich vertue mich gelegentlich bei der Einschätzung – sowohl von Leuten als auch Strecken – und die Fahrt kostete am Ende acht Euro. Wir standen inmitten einer neuen Wohnsiedlung und er hatte mir bereits erzählt, dass er auf seine alten Tage, nach dem Auszug des Sohnes, doch noch eine Eigentumswohnung erworben hat. Keine Story von Reichtum und Glück, mehr eine von verpassten Chancen, kleinen Freuden und langen Wegen zur Vernunft. Ein Soziogramm, 3 Kilometer lang, mittelschwer und irgendwie hat ihm das wohl ganz gut getan. Die einen freuen sich über anonymen Sex in bestimmten Clubs, andere quatschen sich gerne anonym aus – auch ein Anwendungsgebiet von Taxen.

Er wollte mir seinen letzten Zehner vermachen, den er schon vor Fahrtbeginn artig aus der Brieftasche gezogen hatte. Und jetzt nicht fand.

Natürlich nur vorübergehend. Dass ich am Ende mein Geld kriegen würde, war mir gleich klar. Im schlimmsten Fall mit etwas Wartezeit als Bonus, weil er kurz in die Wohnung sprintet, vielleicht auch mit drei Euro extra für eine Fahrt zur Sparkasse. Aber eigentlich war ich auch sicher, dass der Zehner irgendwo war.
Ähnlich wie ich trug der gute Mann eine Funktionsjacke mit zig Taschen und Täschchen, Einschüben und Halterungen. Je nach Kreativität kann so ein kleiner Geldschein da überall landen. Ich hab mein Sprüchlein aufgesagt:

Nur mal keine Hektik – damit fangen wir um die Uhrzeit gar nicht erst an!“

„Ja nee, aber das tut mir jetzt voll leid!“

„Was denn?“

„Na, dass ich hier so ewig suchen muss.“

„Machen sie sich mal keinen Kopf!“

„Nein, du musst ja auch weiter.“

„Ja, aber auf 2 Minuten kommt es ja nicht an.“

„Ach was, das ist doch aber Scheiße jetzt…“

„…“

„Ich bin sonst echt nicht so. Das tut mir so leid!“

„Wie gesagt: Ruhig Blut, checken sie die Taschen einfach der Reihe nach…“

„Ach Mensch, halt mich jetzt bitte nicht für so ein Arschloch!“

„Wieso sollte ich?“

„Na wenn ich dir hier die Arbeitszeit klaue, weil ich mein Geld nicht finde…“

Dieser Dialog ging noch ewig weiter und am Ende hat er doch nur drei Minuten gedauert.

Um es mal klarzustellen: Es ist nicht so, dass ich darum betteln würde, unbezahlt im Auto zu sitzen! Natürlich nicht. Bei so kleinen Verzögerungen ist aber meist das Glück ein viel entscheidenderer Faktor. Seine Tour war ein gutes Beispiel: Ich bin von ihm letzten Endes mit drei Minuten „Verspätung“ gestartet und hab auf meinem Weg nach Hause (kurz Pause machen) noch eine weitere Tour in die richtige Richtung gekriegt. Wäre ich drei Minuten vorher die Rhinstraße entlanggegurkt, hätte ich statt 7,50 € wahrscheinlich 0,00 € verdient auf diesem Weg. So viele Winker rennen gegen Mitternacht nicht durch Marzahn, da mal zwei in Folge zu erwischen, ist Wahnsinn!

Natürlich bin ich froh, schnell wieder wegzukommen. Aber eine wirkliche Katastrophe sieht dann doch anders aus…